Die Weiterbildung in der Maritimen Medizin ist eine interdisziplinäre medizinische Ausbildung, die sich mit der Gesundheitsversorgung von Personen in der Seefahrt und auf Offshore-Anlagen beschäftigt. Sie richtet sich an Ärzte, die gern als Schiffsärzte in maritimen Umgebungen arbeiten möchten, was eine breite Palette von medizinischen Herausforderungen und Aufgaben mit sich bringt.
Inhaltsverzeichnis
Im Oktober 2023 hat die Bundesärztekammer ein entsprechendes Curriculum veröffentlicht, denn die Qualifizierung von Schiffsärzten ist von besonderer Bedeutung. Sie stellen als ranghohe Offiziere einen wesentlichen Teil der Besatzung dar, sodass ihr Verhalten und ihre Aufgaben an Bord dem Ansehen ihres Ranges entsprechen müssen. Daher ist es wichtig, dass sie die seemännischen Anforderungen der Schiffsführung kennen und verstehen. Beispielsweise in Notfallsituationen an Bord müssen Schiffsärzte die Schiffsführung in medizinischen Belangen fachgerecht beraten können.
Worauf es auf hoher See als Arzt sonst noch ankommt, welche Kriterien für das zugehörige Kammerzertifikat notwendig sind und welche Berufsperspektiven die Ausbildung eröffnet, klärt folgender Beitrag.
Weiterbildung Maritime Medizin im Überblick
Die Anzahl der Fachärzte und -ärztinnen in diesem Bereich ist begrenzt, da die Weiterbildung sehr spezifisch ist. Unter anderem auch deswegen übersteigt, neben dem allgemeinen Personalmangel in der Medizin, auch auf See die Nachfrage an Schiffsärzten das Angebot.
Jedoch ist wichtig zu erwähnen, dass die Entscheidung, ob ein Arzt als Schiffsarzt angeheuert wird, allein bei der jeweiligen Reederei liegt. Die Zusatzausbildung Maritime Medizin ist also nicht generell verpflichtend, um auf See tätig werden zu können. Dennoch wird, wegen der besonderen Anforderungen, von entsprechenden Vermittlungsportalen dringend empfohlen, die Ausbildung vor Aufnahme einer Tätigkeit zu durchlaufen. Mehr zur Arbeit als Schiffsarzt hier:
Maritime Medizin – Voraussetzungen
Grundsätzlich kann die Zusatzausbildung Maritime Medizin von jedem Arzt absolviert werden und ist fachgebiets- sowie voraussetzungsfrei. Wer allerdings das zugehörige Kammerzertifikat erhalten möchte, muss bestimmte Vorraussetzungen erfüllen.
Wer sich als Schiffsarzt bei der BG Verkehr registrieren möchte, muss beispielsweise gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 4 der Maritime-Medizin-Verordnung (MariMedV) beispielsweise seine praktischen und theoretischen Kenntnisse mit Hilfe des Kammerzertifikats nachweisen.
Folgende Voraussetzungen sind für den Erwerb des Kammerzertifikats notwendig:
- abgeschlossene Facharztausbildung in einem Gebiet der unmittelbaren Patientenversorgung
- Nachweis über die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin ODER Fachkundenachweis „Rettungsmedizin“
- Teilnahme an allen Kursmodulen
- Erfolgreicher Abschluss der Lernkontrolle am Ende der Weiterbildung
- Zweiwöchiges Bordpraktium (vom Kapitän bescheinigt und von der BG Verkehr anerkannt)
Maritime Medizin – Ausbildungsinhalte
Die Ausbildung in der Maritimen Medizin ist Modular aufgebaut und setzt sich aus 16 Lernmodulen sowie einem zweiwöchigen Bordpraktikum zusammen. Zudem erfolgt eine Lernkontrolle zum Abschluss
Modul I – Institutionen in der Seefahrt und deren Aufgabenbereiche (2UE)
- Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten von Institutionen des Bundes und der Länder
- Aufgabenbereiche und Zuständigkeiten der Fachgesellschaften, Vereine und Verbände der Seefahrt
Modul II – Gesetze und internationale Übereinkommen in der Seefahrt (3UE)
- Nationale Rechtsvorschriften
- Europäische Rechtsvorschriften
- Internationale Rechtsvorschriften
Modul III – Arbeitsplatz See (4UE)
- körperliche Anforderungen (Klettern, Steigen, Stand- und Trittsicherheit auf schwankendem Untergrund, Tragen von Lasten usw)
- psychische Anforderungen (Seediensttauglichkeit, Einschränkungen des Wohnkomforts, begrenzte Freizeit- und Sportoptionen, soziale Isolation)
- Arbeitsbedingungen (Schichtdienst, Schlafdefizit, Lärm, Vibration, Jetlag, Termindruck usw.)
- Seediensttauglichkeit/Seelotseneignung (Zulassung von Ärzten, Untersuchungsumfang, Beurteilung der Ergebnisse, Gültigkeitsdauer, Widerspruchsverfahren usw.)
- Basic Safety Training (Überlebenstechniken, Brandschutz, soziale Verantwortung, Erste Hilfe usw.)
Modul IV – Spezifische Gefährdungen an Bord von Seeschiffen (2UE)
- Schiffspezifische physische Gefährdung (Lärm, Stolper-/Rutschgefahr, Absturzgefahr, elektrische Anlagen, Gefährdung durch Ladung, Klima, Infektionen, Strahlung usw)
- Schiffsspezifische psychische Gefährdungen (Alleinarbeit, Übermüdung, Piraterie, Seenotfälle, Geflüchtete aufgreifen)
- Gesetzliche Regelungen für Gefahrguttransporte
- Äußere Gefahren (Seegang, Wetter, Piraterie, Tropenkrankheiten usw.)
- Typische Verletzungen der Seefahrt (Thermische Verletzungen, Elektrounfälle, Chemikalienverletzungen, Absturz, Quetschungen, Augenverletzungen)
- Berufskrankheiten (Asbest, Lärmschwerhörigkeit)
Modul V – Ausbildung von Seeleuten (4UE)
- Studium/Ausbildung der Seeleute
- „Nicht-typische“ Berufe an Bord
- Berufsgruppen und Dienstgrade
- Nationale und internationale Zertifikate
Modul VI – Organisation der medizinischen Versorgung auf Seeschiffen (8UE)
- Verantwortlichkeiten
- Schiffsarztqualifikation
- Medizinische Ausbildung von Seeleuten
- Medizinische Räumlichkeiten an Bord
- Medizinische Ausstattung von Seeschiffen
- Funkärztlicher Beratungsdienst
- Medizinisches Handbuch
- Medizinische Versorgung auf Marineschiffen, Kreuzfahrtschiffen und Forschungsschiffen
Modul VII – Medizinische Ausstattung und Räumlichkeiten an Bord (2UE)
- Bekanntmachungen der Ausschusses für die medizinische Ausstattung von Seeschiffen zum Stand der medizinischen Erkenntnisse
- Empfehlungen zur Einrichtung der medizinischen Räumlichkeiten auf Kauffahrteischiffen des Bundesamtes für Seeschifffahrt und Hydrographie
- Aufbau und Systematik der Bordapotheke
Modul VIII – Aufgaben des verantwortlichen Schiffsoffiziers (2UE)
- Überprüfung der medizinischen Räumlichkeiten
- Überprüfung der medizinischen Dokumente
- Einhalten der Hygiene und des Desinfektionsschutzes
- Überwachung der medizinischen Ausstattung
- Medizinische Versorgung der an Bord befindlichen Personen
- Zusammenarbeit mit den Hafenärztlichen Diensten
- Organisation und Dokumentation von Arztbesuchen an Land und erforderlich werdende Folgemaßnahmen
Modul IX – Schiffsarzt/Schiffsärztin (2UE)
- Gesetzliche Grundlagen
- Stellung an Bord und Aufgaben
- Internationale Bestimmungen
- Fortbildungsmöglichkeiten für Tätigkeiten auf Kreuzfahrtschiffen
Modul X – Behandlung im Ausland (1UE)
- Beurteilungskriterien von möglichen Nothäfen unter Berücksichtigung der hygienischen, medizinischen, sicherheitsrelevanten und formalen Gegebenheiten sowie der Sprachbarrieren und gegebenenfalls der Weigerung von Patienten, dort an Land zu gehen
- Verfahren bei an Land zurückgelassenen Personen
- Pflichten der Reedereien
- Rolle der Protection and Indemnity Clubs und der lokalen Korrespondenten
Modul XI – Verhalten bei Seenotrettung (5UE)
- Notfallplanung, Übungen und Ausbildungen
- Recovery of persons: schiffsindividueller Plan für die horizontale Bergung, Cold Water Survival, Suche und Rettung
- Funkärztlicher Beratungsdienst: Zuständigkeit, Erreichbarkeit, Indikation, Voraussetzungen für Beratung, Kostenträger
- Evakuierung an Bord: Methoden und Equipment, Berücksichtigung des Eigenschutzes, Vorbereitung des Patienten, Rettung aus geschlossenen Räumen und Tanks, aus Räumen mit gefährlicher Atmosphäre, vertikale Evakuierung, Einsatz von Atemschutz
- Rettung aus See: Person über Bord, Suche und Rettung, Hypothermie, Dauer von Suchmaßnahmen, Rettung von Geflüchteten (Crowd Management, Infektionsschutz, Behandlung und Versorgung einschließlich Triage usw.)
- Weitere Seefahrt spezifische Szenarien: Feuer, Grundberührung, Stabilitätsprobleme, Piraterie, Ölaustritt, Verschmutzung, Kollision, Wassereinbruch, Verlassen des Schiffes, Notschleppen, Schlechtwetter (schwere See), Ladungsunfälle, Hilfestellung für Schiffe in Not
- Räumung an Bord
Modul XII – Tod an Bord (1UE)
- Dokumentation und Mitteilungspflichten
- Protokoll über die Anzeige eines Todesfalles an das Standesamt Berlin
- Meldung der Bundesstelle für Seeunfalluntersuchung, bei Arbeitsunfällen der BG Verkehr
- Aufbewahrung und Transport von Toten
- Sorge für Sachen des Verstorbenen
- Seetestament
- Betreuung der Hinterbliebenen und Besatzungsmitglieder unter Berücksichtigung multikultureller und religiöser Faktoren
Modul XIII – Hygiene und Desinfektion an Bord (2UE)
- Hygienepläne, Hygienevorgaben
- WHO „Guide to Ship Sanitation“ und „Handbook for Inspection of Ships an Issuance of Ship Sanitation Certificates“
- Seegesundheitserklärung
- Vector Management Plan
- Persönliche Schutzausrüstung an Bord
- Isolation von infizierten oder infektionsverdächtigen Kontaktpersonen
- Hygienemaßnahmen der medizinische genutzten Räume und Einrichtungen
- Trinkwasserhygiene
- Hygiene bei der Wäscheaufbereitung
- Lebensmittelhygiene und Leitfaden für die Lebensmittelhygiene an Bord von Schiffen unter deutscher Flagge
- Bekämpfung von Schädlingen
Modul XIV – Prävention und Gesundheitsschutz (3UE)
- Prävention der gesetzlichen Unfallversicherung
- Verordnungen zu arbeitsmedizinischen Vorsorge
- Gefährdungsbeurteilung: Erstellung, Mitwirkung, Verantwortung, Umsetzung, Durchsetzung, Überwachung, Anpassung usw.)
- Impfungen und Prophylaxe unter Berücksichtigung der Fahrtgebiete
- Vorgaben der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung
Modul XV – Tauchmedizin (2UE)
- Maritime Aspekte der berufsbedingten Tauch- und Überdruckarbeiten
- Maritime Aspekte der Druckkammermedizin
- Besondere Gefährdung durch Ausrüstung und Umgebungsbedingungen
- Erkennung und Management von Überdruckunfällen vor Ort: Barotrauma, Akutversorgung von Dekompressionsunfällen, Hinweise zum Patiententransport, Hilfe durch funkärztliche Beratung
Modul XVI – Offshore (2UE)
- Überblick über verschiedene Arten von Offshore-Einrichtungen und die gesundheitlichen Gefährdungen
- Gesundheitliche Voraussetzungen für Offshore-Arbeit
- Gesetzliche Regelungen
- Lehrgänge zur Offshore-Arbeit und Zusatzqualifikationen
- Grundlagen der medizinischen Versorgung auf Offshore-Anlagen (Ausbildung, Fachpersonal, Rettungskette, Telemedizin)
Maritime Medizin – Bordpraktikum
Um die Kursteilnehmer mit den wesentlichen Abläufen an Bord eines Schiffes vertraut zu machen, ist ein Bordpraktikum von zweiwöchiger Dauer erforderlich. Das Schiff sollte dabei mehr als 500 Bruttoregistertonnen wiegen und mit mindestens acht bis zehn Besatzungsmitgliedern im Zweischichtsystem fahren.
Um sich bei der Ausübung ihrer ärztlichen Tätigkeit auch adäquat seemännisch verhalten zu können, schreibt die Bundesärztekammer das 14-tägige Praktikum unter Supervision des Kapitäns vor. Dabei erfolgt der Aufenthalt auf dem Schiff nicht als Passagier sondern als Teil der Besatzung. Unter Anleitung findet daher auch die Teilnahme an Diensten, bestimmten Tätigkeiten und Manövern statt.
Maritime Medizin – Prüfungen und Zertifizierung
Um die Weiterbildung erfolgreich abzuschließen, müssen teilnehmende Ärzte ihre erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten durch eine Erfolgskontrolle nachweisen. Nach erfolgreichem Abschluss wird das Kammerzertifikat “Maritime Medizin” verliehen, welches den Nachweis besonderer Qualifikation und Kompetenz auf diesem Gebiet darstellt.