Wie sieht die tägliche Arbeit eines Schiffsarztes aus? Und welche Qualifikationen benötigt man, um Schiffsarzt werden zu können? Darüber spricht der langjährige Schiffsarzt und Inhaber der Hafenpraxis Hamburg, Dr. med. Eike Beyer, im Interview mit praktischArzt.
Herr Dr. Beyer, was hat Sie dazu bewogen, Schiffsarzt zu werden?
Dazu bin ich damals mehr oder weniger durch Zufall gekommen. Ich habe 2011 meinen Facharzt für Innere Medizin gemacht und war danach als freischaffender Notarzt tätig. Ein Kollege hat mich darauf Aufmerksam gemacht, dass eine große Reederei Schiffsärzte sucht. Davon hatte ich bis dahin noch gar nichts gehört, aber ich wurde neugierig. Die Stellenanzeige las sich gut und mir gefiel der Gedanke, die Welt sehen zu können und in einer, für mich ganz neuen Umgebung Arzt sein zu können. Also habe ich mich beworben und wurde auch eingestellt. Im Mai 2012 bin ich dann auf das Schiff gegangen und war dort bis ins Jahr 2017 tätig.
Wie wird man denn Schiffsarzt? Also welche zusätzlichen Qualifikationen mussten Sie erwerben?
Ich kann nur für die Reederei sprechen, für die ich gearbeitet habe. Dort benötigt man einen abgeschlossenen Facharzt – entweder für Allgemeinmedizin, Chirurgie oder Innere Medizin. Darüber hinaus ist die Zusatzqualifikation „Notfallmedizin“ sowie ein gültiger Strahlenschutz-Kurs oder die „Fachkunde Strahlenschutz“ nötig, weil an Bord auf geröntgt wird. Es ist auch sinnvoll, dass man Ahnung hat, wie der ärztliche Bereitschaftsdienst oder Bereitschaftsdienste allgemein ablaufen, denn vieles, was an Bord passiert, sind allgemeinmedizinische Fälle. Außerdem sollte man natürlich seefest sein!
Wie kann man sich den Arbeitsalltag auf einem Schiff vorstellen? Und worin unterscheidet sich die Arbeit von der in einer Klinik oder Praxis?
Wenn sich Menschen einen Schiffsarzt vorstellen, dann haben sie häufig dein Bild wie aus dem „Traumschiff“ vor Augen: Dass der Schiffsarzt die Passagiere per Handauflegen heilt und danach mit dem Kapitän einen Drink nimmt. Das ist in der Realität anders.
Man kann sich das wie eine kleine Ambulanz oder ein Mittelding aus Ambulanz und Arztpraxis vorstellen. Man hat eine Sprechstunde und wird von einem Team aus Pflegekräften und Arzthelferinnen und neuerdings auch Laborangestellten unterstützt. Außerhalb der Sprechzeiten ist man im Bereitschaftsdienst. Normalerweise sind immer zwei Ärzte an Bord, die sich diese Arbeit in 24-Stunden-Schichten teilen.
Im Grunde genommen haben sie das Spektrum, das auch in der allgemeinmedizinischen Praxis auftaucht, zum Beispiel viele Erkältungskrankheiten. Auf dem Schiff habe ich nicht nur Passagiere, sondern auch Crew-Mitglieder behandelt. Letztere sind teilweise bis zu zehn Monate an Bord und können in dieser Zeit alle möglichen Krankheiten entwickeln – wie Zuhause auch.
Es gibt auch Gäste mit bestimmten Vorerkrankungen, die an Bord weiter behandelt werden müssen, wie beispielsweise Verbandswechsel, die gemacht werden müssen. Andere erleiden an Bord oder während Landgängen Unfälle, die entsprechend versorgt werden müssen. Man ist in der Kinderheilkunde gefordert, weil auch Kinder an Bord sind. Außerdem in der Akutmedizin, da es zu Herzinfarkten kommen kann, zu Thrombosen oder Magen- und Darmblutungen.
Man hat also eine bunte Mischung, denn es kann an Bord alles genau so auftreten, wie an Land. Nur muss man dann eben einschätzen, was man auf See behandeln kann und welche Patienten man zur weiteren Diagnostik und Therapie an Land schicken muss.
Gibt es denn trotzdem medizinische Probleme, die an Bord besonders häufig auftreten?
Da denken einige jetzt bestimmt direkt an die Seekrankheit. Die kommt aber gar nicht so häufig vor und wenn, dann eher zu Beginn einer Reise, wenn sich die Passagiere noch nicht an die Wellenbewegung auf See gewöhnt haben. Ansonsten hängt das stark damit zusammen, in welchen Regionen man unterwegs ist. Bereist man eher die kälteren nördlichen Regionen, dann überwiegen Erkältungskrankheiten. In südlicheren Gefilden kommt es verstärkt zu Sonnenbränden. Es ist immer abhängig vom Fahrgebiet.
Sie haben angedeutet, dass sich die alltägliche Arbeit eines Schiffsarztes von der Vorstellung aus dem „Traumschiff“ unterscheidet. Gibt es trotzdem ein Erlebnis, das Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Da gibt es mehrere. Zum einen hatten wir medizinische Fälle, die in Erinnerung geblieben sind. Auf der Fahrt von Israel nach Kreta hatte beispielsweise ein siebenjähriges Mädchen eine Blinddarmentzündung. Das Schiff befand sich aber genau in der Mitte zwischen den beiden Zielen und der Rettungshubschrauber hatte keine Möglichkeit, zu landen. Also ist das Schiff schneller gefahren, wir haben es früher in den Hafen auf Kreta geschafft und das Mädchen konnte im Krankenhaus operiert werden.
Einen Patienten mussten wir während der Fahrt von Dubai nach Bahrain wiederbeleben. Er wurde über zehn Stunden von uns auf dem Schiff intubiert und beatmet. Das ist selbst im herkömmlichen Rettungsdienst an Land keine leichte Angelegenheit. Der Patient hat es folgenlos überlebt und uns eine Dankesmail geschrieben. Das alles sind Erfolgserlebnisse, für die man die Arbeit gerne macht und sich gerne daran erinnert.
Zum anderen kamen andere unvergessliche Eindrücke dazu. Wenn man die Chance hat, den Zuckerhut in Rio de Janeiro zu sehen oder man zum Nordkap fährt und die Mitternachtssonne erleben kann. Man sieht viele interessante Orte, an die man als Privatperson sonst nicht hingekommen wäre.
Und was waren dann Ihre Beweggründe, all das hinter sich zu lassen und sich dann doch mit einer Praxis niederzulassen?
Das kam über Umwege. Ich habe 2017 das Schiff verlassen und war ein Jahr lang an Land als stellvertretender Leiter der medizinischen Abteilung der Reederei tätig. Doch es ist mir dann etwas eintönig geworden, nur am Schreibtisch zu sitzen und alles von Land aus zu koordinieren. Dafür bin ich nicht Arzt geworden. Und da hat sich die Gelegenheit ergeben, hier in der Praxis in Hamburg einzusteigen. Ich kannte die Praxis bereits von meinen Voruntersuchungen. Denn jedes Crewmitglied muss sich untersuchen lassen, bevor es an Bord gehen kann. Da war das naheliegend. Aktuell mache ich noch eine Weiterbildung zum Facharzt für Arbeitsmedizin.
Was würden Sie denn Medizinern empfehlen, die sich selbst dafür interessieren, auf einem Schiff arbeiten zu wollen?
Machen Sie sich frei von der Vorstellung, dass sie leben und arbeiten wie auf dem „Traumschiff“. Es ist zwar wunderbar, so viele großartige Orte zu sehen. Man muss sich aber bewusst sein, dass es richtig harte Arbeit sein kann. Man muss sehr vielseitig sein, also zum Beispiel mit chirurgischen Fällen, Notfallmedizin und Kinderkrankheiten umgehen können. Und man muss manchmal auch einfach zuhören können. Denn manche Crewmitglieder sind froh, wenn sie sich mal die Sorgen von der Seele reden können. Außerdem ist Teamfähigkeit wichtig, denn man arbeitet in einem kleinen Team. Da ist es besonders wichtig, dass man sich untereinander versteht und sich entsprechen aufeinander verlassen kann.
Zur Person:
Dr. med. Eike Beyer war von 2012 bis 2017 Leitender Schiffsarzt und anschließend von 2017 bis 2018 Head of Medical Services, Carnival maritime GmbH Hamburg. Seit 2021 ist er Inhaber der Hafenpraxis Dr. Schlaich & Dr. Beyer (zusammen mit Dr. C. Schlaich) in Hamburg.