Die Menge des medizinischen Wissens steigt ständig exponentiell, die Facharzttitel werden immer spezialisierter und auch Patienten/-innen entscheiden sich immer öfter, direkt den/die Spezialisten/-in anstatt den/die Hausarzt/-ärztin aufzusuchen. Wer jedoch als Arzt/Ärztin zu sehr auf sein eigenes Fachgebiet beschränkt ist, dem fehlt oft der Überblick, um die Behandlung ganzheitlich zu gestalten. Der Erwerb von zwei Facharzttiteln wird daher immer attraktiver, auch wenn er mit viel Aufwand verbunden ist. Einen Überblick über die Möglichkeiten und Vor- und Nachteile ist in diesem Artikel zu finden.
Inhaltsverzeichnis
Vorteile von mehreren Facharzttiteln
Die Vorteile, zwei Facharzttitel zu erwerben, liegen auf der Hand. Patienten/-innen können ganzheitlicher behandelt werden, der berühmte Blick über den Tellerrand erlaubt auch die Diagnosestellung bei weniger eindeutigen Fällen. Was ebenfalls nicht zu unterschätzen ist, ist die Befriedigung, Patienten/-innen nicht an Kollegen/-innen überweisen zu müssen, sondern den Fall durchgängig selbst betreuen zu können. Die ärztliche Arbeit wird so deutlich abwechslungsreicher und es können engere Bindungen zu den Patienten/-innen aufgebaut werden.
Die resultierenden Vorteile sind auch für Arbeitgeber ersichtlich. So steigt die Nachfrage nach Doppelfachärzten/-innen kontinuierlich. Vor allem in Fächern wie der Radiologie/Nuklearmedizin erlaubt eine doppelte Spezialisierung die Befundung von hoch speziellen Bildgebungen, wie der Hybridbildgebungen, für die normalerweise zwei Spezialisten/-innen notwendig sind. Die Kosteneffizienz aber auch die kürzere Zeit, die für die Befundung benötigt wird, sind wichtige Argumente für Kliniken, doppelt zertifizierte Fachkräfte einzustellen.
Diese Fachbereiche bieten sich hierfür an
Der Erwerb von zwei Facharzttiteln ist auch vor dem Hintergrund der immer weiterwachsenden Wissensmenge interessant. Generalisten haben im Gegensatz zu hochspezialisierten Personen meist einen besseren Überblick über die Situation und betrachten sie aus verschiedenen Blickwinkeln. Früher konnte beispielsweise der „Facharzt für Nervenheilkunde“ erworben werden. Dann ist das Gebiet so rasant gewachsen, dass eine Teilung in die Neurologie und Psychiatrie notwendig wurde. Jedoch überschneiden sich die beiden Fachbereiche weiterhin so sehr, dass ein Jahr im jeweiligen Gegenfach fester Bestandteil der Ausbildung ist. Dies macht diese beiden Fachbereiche daher so attraktiv für eine Doppelweiterbildung, da die bereits absolvierten Zeiten angerechnet werden können. Die Dauer für beide Fachärzte zusammen beträgt damit nur acht statt zehn Jahren.
Ähnliche Vorteile ergeben sich in Fächern wie der Inneren Medizin oder Chirurgie. Diese großen Fachbereiche sind in eine Vielzahl von Unterspezialisierungen aufgeteilt, die sich jedoch vor allem in der Grundausbildung überschneiden. Dadurch kann ebenfalls viel Zeit gespart werden, wenn beispielsweise der Facharzt für Innere Medizin und Innere Medizin und Kardiologie erworben wird.
Nachteile von mehreren Facharzttiteln
Der wichtigste Nachteil, wenn zwei Facharzttitel erworben werden, ist der zeitliche Mehraufwand. Gerade wenn die frühe Niederlassung geplant ist, sind die Jahre, die zusätzlich benötigt werden, ein Hindernis. Ein weiteres Thema bei der Niederlassung ist die Tatsache, dass meist keine zwei vollen Versorgungsaufträge übernommen werden können. Wer beispielsweise Fachärztin für Innere Medizin und für Dermatologie ist, kann nur zwei 50-Prozent-Aufträge, je einer pro Fachgebiet, erhalten. Dies lohnt sich finanziell nicht immer. So ist im niedergelassenen Bereich nicht zwangsläufig mit einem Honorarplus durch den Erwerb von zwei Facharzttiteln zu rechnen.
Ein weiterer Nachteil ist, dass wenn ein Versorgungsauftrag für beide Fachbereiche übernommen wird, bei Krankheits- und Urlaubsfall eine Vertretung organisiert werden muss. Dies kann zu enormem zusätzlichen Organisationsaufwand führen.
So kann man mehrere Facharzttitel erwerben
Der klassische Weg zum Erwerb von zwei Facharzttiteln ist das Durchlaufen der Facharztausbildung für die erste Fachrichtung und anschließend die Ablegung der Facharztprüfung. Danach werden dann notwendige Zeiten für den zweiten Facharzt absolviert. Zu beachten ist hierbei, dass die Bezahlung nach Tarifvertrag nicht wieder bei der Einstiegsstufe für Assistenzärzte/-ärztinnen beginnt, sondern nach erworbener Erfahrung bezahlt wird. Das heißt praktisch, dass die Einstufung dann ab Stufe 1 für Fachärzte/-ärztinnen erfolgt. Teilweise wird dies von Arbeitgebern nicht berücksichtigt, dann sollte man unbedingt darauf hinweisen, da sich große Unterschiede im Gehalt ergeben können.
Spezielle Rotationsprogramme
Alternativ zum blockweisen Absolvieren der Ausbildungszeiten können die beiden Facharzttitel auch parallel erworben werden. Da dies durch eigene Organisation meist sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist, werden von einigen Kliniken spezielle Rotationsprogramme angeboten. Ein Beispiel ist das „Combined Residency“-Programm des Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg. In Kooperation zwischen der Klinik für Neurologie und der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie wechseln Teilnehmer/innen im Jahresrhythmus zwischen den beiden Fächern. Durch die feste Struktur werden so die Lerninhalte konsequent vermittelt und ein breiter Einblick in die beiden Fächer gewährt.
Solche Rotationsprogramme bieten sich auch in anderen Fachbereichen an, um den Erwerb des Doppeltitels möglichst attraktiv zu gestalten, sind zurzeit jedoch noch wenig verbreitet.
Alternativen zum Doppelfacharzt
Wer den Erwerb des Doppelfacharztes vor allem in Erwägung zieht, um zusätzliches Wissen zu sammeln, sollte sich auch alternativ über Fortbildungen informieren. Die Fachgesellschaften für Nuklearmedizin und Radiologie beispielweise sind sich des enormen zeitlichen Zusatzaufwandes bei Erwerb eines zweiten Facharzttitels bewusst und haben komplementierende Weiterbildungen entwickelt. Diese erlauben die oben erwähnte, unabhängige Befundung von Hybridbildgebungen mit einem zusätzlichen Zeitaufwand von nur zwei statt mindestens vier Jahren. Modelle wie dieses ermöglichen interessierten Ärzten/-innen eine qualitativ hochwertige Weiterbildung mit einem deutlich kürzeren Zeitaufwand. So können eigene Schwerpunkte gesetzt werden, die für die eigene Karriere wirklich sinnvoll sind.
Fazit
Wer erwägt, zwei Facharzttitel zu erwerben, sollte zunächst Recherche betreiben und sich mit den jeweiligen Weiterbildungsordnungen auskennen. So können die notwendigen Rotationen schon dementsprechend geplant werden. Besonders gut geeignet für den Erwerb des Doppelfacharztes sind vor allem nahverwandte Fachgebiete und Themenbereiche. Diese sind auch im tatsächlichen klinischen Arbeitsalltag von Nutzen. In jedem Fall muss mit einer Verlängerung der Ausbildungszeit gerechnet werden. Die Entscheidung, ob sich der Erwerb von zwei Facharzttiteln lohnt, ist individuell zu treffen. Je nach Karrierezielen und persönlichen Neigungen kann sich der zusätzliche Zeitaufwand rechnen oder es genügen kürzere Weiterbildungsprogramme.