
24-Stunden-Schichten, nicht notierte Überstunden, hoher bürokratischer Aufwand: Viele Krankenhausärzte klagen über ein überforderndes Arbeitspensum. Die Zahl der Patienten steigt, doch den Krankenhäusern fehlt das Geld für mehr Personal. Bund und Länder investieren deutlich zu wenig. Doch mit mehr Geld allein ist es nicht getan, es braucht eine grundlegende Systemänderung.
Nach acht Stunden wartet der Bereitschaftsdienst
Ärzte müssen oft in Sekundenschnelle Entscheidungen treffen, die über Leben und Tod eines Patienten bestimmen können. Nach acht Stunden Dienst sind sie verständlicherweise erschöpft. Doch statt dem wohlverdienten Feierabend wartet der Bereitschaftsdienst. Ganze 24 Stunden dauert die Schicht dann insgesamt. Häufig müssen sich Ärzte im Bereitschaftsdienst allein um mehrere Stationen und Dutzende Patienten kümmern. Und auch danach ist oft noch nicht Schluss. Es stehen weitere Visiten an, Arztbriefe und Papiere müssen bearbeitet werden. Konzentriertes Arbeiten ist nach derart langer Zeit auf den Beinen natürlich nicht mehr möglich. Viele Ärzte fürchten daher vor Übermüdung Fehler zu machen und ihren Patienten zu schaden.
Die langen Dienstzeiten sind möglich, da das deutsche Arbeitsgesetz Bereitschaftsdienst nicht als Arbeitszeit ansieht. Im Regelfall bleibt den Ärzten in Bereitschaft aber kaum Zeit für eine Pause. Sie müssen sich um Patienten, Entlassungen, Aufnahmen, Papierkram und zudem noch um Notfälle kümmern. Tatsächlich verstoßen die Dienstzeiten gegen geltendes EU-Recht. Das hat das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 21. Februar 2018 entschieden. Das hilft Krankenhausärzten aktuell aber nur wenig. Die Zahl der Patienten ist in den vergangenen 20 Jahren um vier Millionen im Jahr gestiegen. Die Zahl der Ärzte dagegen stagniert. Um das Urteil umzusetzen, müssten 15.000 neue Ärzte eingestellt werden. Dafür fehlt den Kliniken das Geld.
Keine Zeit für ausreichende Patienten-Betreuung
Unter der ständigen Unterbesetzung leiden Patienten, Pflegekräfte wie Krankenschwestern und Ärzte gleichermaßen. Für eine ausreichende Betreuung oder für Gespräche mit Angehörigen bleibt im hektischen Klinikalltag oft kein Zeit. Weiterbildungen fallen aufgrund der hohen Arbeitsbelastung oft aus und auch das Familienleben der Ärzte bleibt auf der Strecke.
Gleich mehrere Umfragen zeigen, dass zahlreiche Ärzte mit ihrer Arbeitssituation unzufrieden sind. In einer vom Hartmannbund durchgeführten Online-Befragung unter Assistenzärzten aus dem Jahr 2017 klagt die Mehrheit über zu wenig Pausen, zu wenig Personal und darüber, zu viel Zeit mit der Dokumentation von Fällen zu verbringen. 35 Prozent leisten mehr als zehn Überstunden in der Woche. Bei 39 Prozent der Befragten leidet das Privatleben unter der Arbeitsbelastung. Der MB-Monitor 2017 des Marburger Bunds kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit eines Arztes liegt demnach bei 51,4 Stunden. Jeder Fünfte arbeitet dabei sogar 60 bis 80 Stunden in der Woche. 49 Prozent der Befragten geben an, von ihrem Arbeitgeber kurzfristig zum Einsatz gebeten zu werden, obwohl sie eigentlich dienstfrei hätten.
Überstunden werden meist nicht bezahlt, sondern sollen abgebummelt werden. Da die Kliniken aber ohnehin zu wenig Personal haben, funktioniert das nicht. Vor allem Assistenzärzte trauen sich häufig gar nicht, ihre Überstunden aufzuschreiben. In der Hartmannbund-Umfrage geben 48 Prozent der Befragten sogar an, von ihrem Arbeitgeber schon einmal aufgefordert worden zu sein, ihre Überstunden nicht zu notieren. Viele Assistenzärzte gehen zudem mit ihrem Arbeitsvertrag eine Opt-out-Regelung ein. Die sieht vor, dass die Mediziner im Bedarfsfall ihre Wochenarbeitszeit ausdehnen. Die Unterschrift ist freiwillig. So manches Mal macht aber der Chefarzt Druck. Aus Angst um den Job unterschreiben Assistenzärzte die Regelung dann doch.
Bessere Finanzierung und mehr Digitalisierung gefordert
Zur Arbeitsbelastung kommt der ökonomische Druck: Seit der Einführung der Fallpauschalen erhalten Krankenhäuser Geld pro Behandlung und Aufenthalt. Um rentabel zu bleiben, operieren viele Kliniken daher so viel wie möglich. Gleichzeitig steigen die Kosten der allgemeinen Krankenhäuser. Lagen diese im Jahr 2016 noch bei 55 Millionen Euro, sind es im Jahr 2017 schon 81,7 Milliarden Euro. Von den Bundesländern erhalten die Kliniken allerdings nicht einmal drei Millionen pro Jahr. Mehr als doppelt so viel müssten es sein, das stellte auch das Bundesgesundheitsministerium fest. Der Marburger Bund fordert Bund und Länder daher schon seit längerem auf, mehr in Krankenhäuser zu investieren.
Doch mit mehr Geld allein ist es nicht getan. Der Marburger Bund fordert vom Bund zudem eine genaue Vorgabe, wie viel Personal pro Patient es im Krankenhaus geben muss. Für psychiatrische Einrichtungen ist eine derartige Vorgabe ab 2020 Pflicht. Neben mehr Personal brauchen Krankenhäuser aber auch eine rascher voranschreitende Digitalisierung. Der Papierkram nimmt oft viel wertvolle Zeit n Anspruch. Elektronische Krankenakten und Medikamente mit QR-Codes würden die Ärzte entlasten. Dokumentationsassistenten könnten den Medizinern weitere Arbeit abnehmen und sich zum Beispiel um Patientenaufnahmen und Entlassungen kümmern.
Bis es soweit ist, müssen Ärzte selbst aktiv werden, wenn sie sich überlastet fühlen. Sind mehrere Kollegen betroffen, sollte das Gespräch mit dem Chefarzt gesucht werden. Bringt dies keine Besserung, sollte man versuchen, eine Gefährdungsanzeige bei der Klinikleitung einzureichen. Diese offizielle Mitteilung zeigt an, dass durch die Unterbesetzung Menschen in Gefahr sind.