
Im September 2017 wurden die Arbeitsbedingungen in der Alten- und Krankenpflege kurzzeitig zum Wahlkampfthema. Ein junger Pfleger konfrontierte Angela Merkel während einer Fragestunde mit der belastenden Arbeitssituation. Über Dauerbelastung klagen nicht nur Pfleger, sondern auch Krankenschwestern, Hebammen und Ärzte. Was macht das Arbeiten im Krankenhaus mit dem medizinischen Fachpersonal? Und was bedeutet der Dauerstress des Personals für die Patienten?
Weniger Personal, mehr Patienten
Dass etwas mit der Kranken- und Altenpflege im Argen liegt, war vielen Menschen mehr oder weniger bewusst. Der Auftritt des jungen Krankenpflegers machte die Situation öffentlich. Seitdem beschäftigen sich auch die Medien verstärkt mit den belastenden Arbeitsbedingungen, denen Pflegepersonal und Ärzte ausgesetzt sind.
Besonders akut ist die Situation in der Pflege: Die Zahl der Pflegekräfte ist in den vergangenen 15 Jahren um zehn Prozent gesunken. Gleichzeitig sieht sich das Pflegepersonal wie Altenpfleger und Krankenschwestern immer mehr Patienten und damit auch mehr Arbeit gegenüber. Die Folge: Es bleibt weniger Zeit für die Betreuung einzelner Patienten, die Qualität der Pflege nimmt ab.
Hohe Arbeitsbelastung für Ärzte
Im internationalen Vergleich gilt die medizinische Versorgung in Deutschland als gut. Zudem gibt es heute mehr Krankenhäuser als noch vor 15 Jahren. Das Arbeiten im Krankenhaus setzt jedoch auch Ärzte unter Druck. Viele Stationen sind unterbesetzt, Ärzte arbeiten in 24-Stunden-Schichten und müssen sich nicht nur um Patienten, sondern auch um Verwaltungsaufgaben kümmern.
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund erstellt jedes Jahr den sogenannten MB-Monitor, eine Befragung unter angestellten Ärztinnen und Ärzten in Deutschland zu ihrer Arbeitssituation. Im MB-Monitor 2017 stufen 46 Prozent der Befragten ihre Arbeitsbedingungen als mittelmäßig ein, 19 Prozent bezeichnen sie sogar als schlecht. Ebenso viele Befragte überlegen sogar, ihre Tätigkeit als Arzt ganz aufzugeben. Viele Ärzte im Krankenhaus arbeiten wesentlich mehr, als sie es sich wünschen würden. 40 Prozent sind 49 bis 59 Stunden pro Woche im Einsatz, jeder Fünfte sogar 60 bis 80 Stunden.
So verwundert es auch nicht, dass die befragten Ärzte einen Personalmangel in allen Bereichen als gegeben ansehen:
- Mehr Personal im ärztlichen Dienst finden 95% der Ärzte wichtig oder sehr wichtig
- Mehr Personal im Pflegedienst finden 96% aller Ärzte wichtig oder sehr wichtig
Arbeiten im Krankenhaus zwischen Zeitdruck und wirtschaftlichen Zwängen
Die hohe Arbeitsbelastung macht es vielen Ärzten schwer, sich ausreichend um ihre Patienten zu kümmern. 66 Prozent der Befragten erklären, dass ihnen für die Behandlung zu wenig Zeit zur Verfügung steht. Neben Unterbesetzung ist dafür auch der gestiegene Verwaltungsaufwand verantwortlich. Jeder vierte Arzt im Krankenhaus verbringt mehr als drei Stunden am Tag mit Verwaltungstätigkeiten. Viele Ärzte wünschen sich daher einen Abbau der Bürokratie. So verwundert es nicht, dass die Entbürokratisierung der Arbeit von 74 % als Top Grund von Ärzten genannt wird, um mehr Zeit für Ihre ärztliche Tätigkeit zu haben. Auf Platz 2 und 3 folgen die Entlastung durch nicht-ärztliches Personal mit 70% sowie mehr ärztliches Personal mit 62 %.
Das sind die größten Hindernisse für Ärzte, um ihrer ärztlichen Tätigkeit besser nachgehen zu können:
Quelle: Marburger Bund, MB-Monitor 2017
Arbeiten im Krankenhaus bedeutet für viele Ärzte heute einen Spagat zwischen ihrer medizinischen Tätigkeit und den wirtschaftlichen Interessen der Klinik. Seit 2005 gelten Fallpauschalen: Krankenhäuser rechnen nicht mehr die Liegetage pro Patient ab, sondern jede Krankheit als “Fall”. Die Umstellung sollte Liegezeiten verringern und zu einer wirtschaftlicheren Arbeitsweise führen. Viele Krankenhäuser sind allerdings unterfinanziert und bauen Personal ab. Um gewinnbringend arbeiten zu können, sollen die Mediziner nun abrechnungsfähige Leistungen erbringen, zum Beispiel Operationen oder andere entsprechende Behandlungen. Zum Zeitdruck kommt damit noch der wirtschaftliche Erfolgsdruck.
Gesundheitliche Auswirkungen der Arbeit am Limit
Was macht es mit Medizinern und Pflegern, wenn sie dauerhaft am Limit arbeiten? Pflegeforscher beobachten zwei gängige Reaktionen:
- Betroffene bewerten sich und ihre Arbeit als mangelhaft, die Dauerbelastung führt langfristig zum Burn-out.
- Die Betroffenen verhärten innerlich und schrauben die Ansprüche an ihre eigene Arbeit herunter. Mediziner bezeichnen dies als Cool-out.
Untersuchungen von Krankenkassen zeigen weitere Auswirkungen der Dauerbelastung: Pflegekräfte leiden häufiger als Angehörige anderer Berufsgruppen an Muskel- und Skeletterkrankungen. Auch das Risiko für Depressionen und Panikstörungen ist gestiegen.
Folgen für den Patienten
Wird das Arbeiten im Krankenhaus zum Dauerstress, hat dies natürlich auch Folgen für den Patienten. Steht für die Betreuung nur wenig Zeit zur Verfügung, können oft nicht mehr alle Pflegeleistungen vorgenommen werden. Bettlägerige Patienten werden nicht häufig genug gewendet, Schmerzmittel manchmal zu spät verabreicht. Oft fehlt sogar die Zeit für eine ausreichende Handdesinfektion – das Desinfektionsmittel muss 30 Sekunden einwirken. Die Fallpauschalen führen außerdem dazu, dass Patienten in einigen Fällen zu früh entlassen werden, da sich längere Liegezeiten nicht mehr rechnen.
Ärzte, Pflegepersonal und Pflegeforscher fordern vor allem Personal, damit das Arbeiten im Krankenhaus kein Arbeiten am Limit bleibt. Dafür braucht es auch ein Umdenken bei der Finanzierung des Gesundheitssystems.