
Im Medizinstudium galt die Allgemeinmedizin eine Zeit lang als sogenanntes Stiefkind der Medizin. Dem ist nun nicht mehr so. Denn inzwischen sind vollständige Abteilungen oder Institute für Allgemeinmedizin an fast allen medizinischen Fakultäten etabliert. Wissenswertes zum Thema Allgemeinmedizin an medizinischen Fakultäten im folgenden Beitrag zum Nachlesen.
Allgemeinmedizin – Image im Wandel
Die Allgemeinmedizin scheint an den medizinischen Fakultäten in Deutschland nicht mehr länger ein Schattendasein führen zu müssen: An 20 von 37 Fakultäten gibt es Abteilungen oder Institute für Allgemeinmedizin. Früher galt die Allgemeinmedizin noch als Mauerblümchen, als sogenanntes Stiefkind der Medizin, nun scheint das Fach nach langem Nischendasein auf Überholspur zu sein und sich als akademisches Fach, sowohl für die Lehre als auch für die Forschung, zu etablieren.
Darüber hinaus scheint die Allgemeinmedizin auch ein Fach zu sein, dass nachweisbar Einfluss auf die Berufswünsche der Studierenden der Humanmedizin nimmt.
Übersicht der Institute für Allgemeinmedizin an medizinischen Fakultäten
Mittlerweile sind 20 vollständige Abteilungen oder Institute für Allgemeinmedizin an deutschen Universitäten etabliert. An weiteren sieben Standorten haben Verfahren zur Etablierung neuer Lehrstühle begonnen oder sind bevorstehend. Zu diesen gehören:
- Lübeck
- Oldenburg
- Mainz
- Homburg
- Tübingen
- Würzburg
- LMU München
Weitere acht Standorte verfügen zwar noch nicht über eine Professur, dafür aber über wissenschaftliche Mitarbeiter, welche das Fach Allgemeinmedizin vertreten. Zukünftig wird demnach das Fach Allgemeinmedizin an nahezu fast allen medizinischen Fakultäten in Deutschland, an zwei Dritteln der Medizin-Standorte, akademisch etabliert sein.
Allgemeinmedizinische Lehre im Modell- und Regelstudiengang
Dass das Fach für Allgemeinmedizin so auf Erfolgskurs steht und nicht nur im Modellstudiengang, sondern auch im Regelstudiengang zunehmend fest etabliert ist, hat folgende Gründe. Innovative Lehrkonzepte zur Vermittlung von Fertigkeiten, neue Prüfungskonzepte und die longitudinale Verankerung des Fachs in den Curricula haben dazu beitragen können, dass die allgemeinmedizinische Lehre eine positive Entwicklung angenommen hat.
Zudem habe auch der Entwurf zur Änderung der Ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO) zu einer Stärkung der Allgemeinmedizin geführt, was als ein weiterer wichtiger Schritt betrachtet werden könne.
Allgemeinmedizin – Entwurf zur Änderung der Ärztlichen Approbationsordnung
Nach Verabschiedung des Masterplans Medizinstudium 2020 ist der Arbeitsentwurf für eine neue Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO) seitens des Bundesministeriums für Gesundheit vorgelegt worden: Die Reform des Medizinstudiums hat insbesondere zum Ziel, die Lehrinhalte aus der Allgemeinmedizin aufzustocken und longitudinal in das gesamte Studium zu integrieren. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) bewertet diese Verankerung, die aus didaktischen, inhaltlichen und versorgungspraktischen Gründen sinnvoll sei, als positiv und begrüßt es, dass der Stellenwert, den das Fach Allgemeinmedizin in der Versorgung hat, in der Ausbildung von Nachwuchsärztinnen/-ärzten abgebildet wird.
Darüber hinaus eine weitere Änderung in der neuen Approbationsordnung:
- Das Praktische Jahr (PJ) wird zukünftig nicht mehr drei Tertiale enthalten, sondern auf vier Quartale umgestellt.
- Aus dem Entwurf geht hervor, dass weiterhin die Fächer Innere Medizin und Chirurgie als Pflichtquartal vorgesehen sind.
- Mindestens ein Wahlfach in einem Fach aus dem ambulanten Bereich soll abgeleistet werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) lobt die Verankerung der Allgemeinmedizin als Prüfungsfach im vierten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung und bewertet die von ihr lang geforderte Quartalisierung des Praktischen Jahrs als positiv.
Optimierungsbedarf bei der Intensivierung von Forschungsaktivitäten
Nicht nur die Lehre nimmt bei der Etablierung der Allgemeinmedizin an medizinischen Fakultäten einen hohen Stellenwert ein, sondern auch die Intensivierung von Forschungsaktivitäten. Zwar sind Fortschritte, teilweise der Politik zu verdanken, erkennbar, dennoch bestehe hier Optimierungsbedarf. So sind Verbesserungen in der Ausstattung der Lehrstühle und in den Forschungsmöglichkeiten erstrebenswert. Innovationsfonds konnten ermöglichen, dass sehr praxisnahe Projekte und viele Themen in Bezug zur Primärversorgung gefördert werden konnten, um im Hinblick darauf Forschungsmöglichkeiten deutlich zu verbessern.
Allgemeinmedizinische Lehre an den unterschiedlichen medizinischen Fakultäten
Die allgemeinmedizinische Lehre an medizinischen Fakultäten kann variieren. Nachfolgend werden Lehrformate vorgestellt, die an den Universitäten Jena, Bochum und Mainz angeboten werden.
Allgemeinmedizin Jena
An der Universität in Jena können Studierende der Humanmedizin im zweiten Studienabschnitt zwischen drei sogenannte Neigungslinien wählen:
- Klinisch-orientierte Medizin (KOM)
- Forschungsorientierte Medizin (FOM)
- Ambulant orientierte Medizin (AOM)
Ungefähr 30 Prozent der Studierenden entscheiden sich für die Studienlinie AOM und können Hospitationstage in hausärztlich tätigen Praxen ableisten oder bei HNO-Ärztinnen/-Ärzten, GynäkologInnen, PädiaterInnen oder Augenärztinnnen/-ärzten hospitieren. Neben den Besonderheiten der ambulanten ärztlichen Tätigkeit werden auch Schwerpunkte für die Themen Koordination der Patientenversorgung, der Langzeitversorgung und rechtliche sowie unternehmerische Tätigkeiten gesetzt.
Die AOM schafft einen Einblick über die Allgemeinmedizin hinaus, sodass für Studierende der Humanmedizin ein breites Spektrum der ambulanten Tätigkeiten zugänglich wird.
Allgemeinmedizin Bochum
In Bochum kommen Studierende der Humanmedizin an der Ruhr-Universität-Bochum (RUB) bereits in den ersten drei Semestern mit der Allgemeinmedizin in Berührung. Gelehrt werden die Grundlagen der Patienten-Arzt-Kommunikation aus dem primärärztlichen Bereich im Hinblick auf die psychosoziale Situation der Patientenschaft.
Um dem Landärztemangel in Ost-Westfalen-Lippe entgegen zu wirken, hat man den Fokus insbesondere auf die Allgemeinmedizin gesetzt. Zusätzliche Studienplätze wurden im klinischen Studienabschnitt geschaffen und die Lehre nach Ost-Westfalen-Lippe ausgeweitet. Der „Klebeeffekt“ scheint seine Wirkung zu entfalten: Jährlich entscheiden sich mehr Studierende ein PJ in Ost-Westfalen-Lippe zu absolvieren.
Allgemeinmedizin Mainz
Das Ansehen der Allgemeinmedizin ist auch bei Studierenden an der Universität Mainz gestiegen: früher wählten durchschnittlich drei Studierende das PJ-Wahlfach Allgemeinmedizin, inzwischen sind es für das kommende Semester 23 Studierende. Sobald die Approbationsordnung mit der Allgemeinmedizin als Pflichtprüfungsfach in Kraft tritt, wird mit über 100 Studierenden gerechnet, so Prof. Dr. med. Michael Jansky, der das Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie in Mainz leitet. Die Universität Mainz verfügt über 200 Lehrpraxen, die Studierende für das Blockpraktikum und die Zeit des Praktischen Jahres aufnehmen und unterrichten.
Allgemeinmedizin: Onlinelehre während der Pandemie
Auch die allgemeinmedizinische Lehre musste – bedingt durch die Coronapandemie – starke Einschränkungen erfahren, was eine Reduktion der Präsenzlehre zufolge hatte. Für Fächer, die ein hohes Maß an Kommunikation verlangen, ist dies ein deutlicher Einschnitt.
Damit keine größeren Lücken in der Lehre entstehen, sind alternative Unterrichtsformate online angeboten worden: In Videokonferenzen konnten Fälle interaktiv in webbasierten Fallszenarien durchgearbeitet werden. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle auch der Kooperationsbereitschaft der niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen, die den Studierenden der Humanmedizin weiterhin ermöglichten, das Blockpraktikum Allgemeinmedizin zu absolvieren. Verzögerungen im Studienverlauf oder beim Studienabschluss konnten insofern verhindert werden.
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