
Als 2018 die Novelle des Mutterschutzgesetzes kam, war die Hoffnung unter den Ärztinnen groß: endlich mehr Selbstbestimmung in Sachen Beschäftigung während der Schwangerschaft. Inzwischen dominieren Ernüchterung und Enttäuschung. Denn immer noch gibt es Beschäftigungsverbote gegen den Willen der Schwangeren, zeigt die erste bundesweite Umfrage. Erstmalig sind sogar Medizinstudentinnen betroffen. Das berufliche Fortkommen wird behindert.
Erstmals bundesweit schwangere Ärztinnen und Medizinstudentinnen befragt
Der Deutsche Ärztinnenbund e.V. (DÄB) befragte 790 Ärztinnen und Medizinstudentinnen, die nach dem Inkrafttreten der Gesetzesnovelle, aber noch vor Anfang der Pandemie schwanger waren. Zwei Drittel der befragten Ärztinnen und Medizinstudentinnen durften ihre bisherige Tätigkeit nur noch drastisch eingeschränkt fortführen, nachdem sie die Schwangerschaft ihrem Arbeitgeber gemeldet hatten. Die Ärztinnen gaben an, dass sie maximal die Hälfte ihrer bisherigen Tätigkeit weiterführen durften. Unter den Medizinstudentinnen sah die Situation noch gravierender aus. Rund 72 Prozent der praktischen Ausbildung wurde ihnen untersagt.
Ärztinnen gaben an, dass ihnen der direkte Patientenkontakt, Operationen sowie invasive Aufgaben wie etwa Endoskopien verwehrt wurden. Stattdessen wurden ihnen verstärkt Tätigkeiten wie das Verfassen von Arztbriefen, Lehrtätigkeiten, die Übernahme der Sprechstunde oder präoperative Aufklärungen zugewiesen. Alles Tätigkeiten, die die Karriere nicht gerade voranbringen. Betroffen waren neben Ärztinnen in der Weiterbildung auch Fach- und Oberärztinnen.
Studentinnen durften nicht mehr im Operationssaal zusehen und praktische Kurse nicht mehr besuchen; ihr Studium also nur im sehr reduzierten Umfang weiterführen. Die unverzichtbaren Tätigkeiten müssten dann nachgeholt werden, was den Abschluss und die berufliche Karriere behindert.
Vizepräsidentin des DÄB PD Dr. Barbara Puhahn-Schmeiser, die die Umfrage initiiert hat, findet: „Angesichts des Mangels an ärztlichem Nachwuchs kann es sich die Gesellschaft nicht leisten, dass Frauen in diesem Beruf langsamer vorankommen.“
Praktische Auslegung des Mutterschutzgesetzes verzögert Melden der Schwangerschaft
Eigentlich sollen die Einschränkungen dem Schutz der Schwangeren und ihres ungeborenen Kindes dienen. Doch die praktische Umsetzung findet fast jede zweite der Befragten nicht sinnvoll.
Viele Ärztinnen und Studentinnen hatten angesichts der Aussicht auf berufliche Verzögerungen Bedenken, ihrem Arbeitgeber zügig zu melden, dass sie schwanger waren. Demnach waren es bei den Ärztinnen 43,2 Prozent. Unter den schwangeren Studentinnen sogar 53,3 Prozent.
Die Meldung erfolgte vergleichsweise spät. Im Durchschnitt war es bei den Ärztinnen in der 12. Woche. Bei den Studentinnen erst in der 19. Schwangerschaftswoche. Das ist nicht unproblematisch, denn solange keine Schwangerschaftsmeldung vorliegt, kann der absolut sinnvolle Arbeitsschutz nicht greifen.
Positivbeispiele: Schwangerschaft kein Hinderungsgrund in Hamburg und Schweiz
Dabei könnten Ärztinnen und angehenden Ärztinnen viele Tätigkeiten unter Einhaltung bestimmter Schutzmaßnahmen fortführen. Sogar Operationen sind mit Sitzmöglichkeiten, doppelten Handschuhen, dem Verzicht auf volatile Anästhetika, der Begrenzung der Operationszeit auf maximal vier Stunden und der Möglichkeit, sich jederzeit auswechseln zu lassen, möglich.
Positive Beispiele aus Hamburg und der Schweiz zeigen, dass das geht. In der Schweiz stehen schwangere Ärztinnen bis kurz vor der Geburt noch im Operationssaal.
Langer Kampf für Gesetzesnovelle
Für eine Novellierung des Mutterschutzgesetzes, das noch aus dem Jahr 1952 stammt, hatte der DÄB fast zwei Jahrzehnte lang gekämpft. Das Ziel der Gesetzesnovelle ist gut gemeint: Stärkung des Arbeitsschutzes bei gleichzeitiger Verhinderung von Beschäftigungsverboten gegen den Willen von Schwangeren und Stillenden.
Studentinnen der Medizin sind in der neuen Regelung erstmalig explizit miteingeschlossen. Doch die erhoffte Verbesserung der beruflichen Situation ist leider nicht eingetroffen. Aktuell gibt es sogar mehr Arbeitsverbote als jemals zuvor, beklagt der Ärztinnenbund.
Ursächlich dafür sind weit gefasste Formulierungen im Gesetz, die eine Nullrisikostrategie implizieren. Aus Angst vor Fehlern und Schadensersatzansprüchen sprechen die beaufsichtigenden Behörden, die übrigens die Gefährdung sehr unterschiedlich einschätzen, oft strenge Anordnungen aus, die einem Arbeitsverbot gleichkommen.
Der DÄB strebt an, gemeinsam mit den Behörden einheitliche und bundesweit geltende Standardkataloge zur Umsetzung der nötigen Arbeitsplatzanpassungen zu erarbeiten, damit Ärztinnen in der Schwangerschaft weiterarbeiten und operieren können.