Beruf und Familie in Einklang zu bringen, ist für viele junge Ärztinnen und Ärzte immer noch eine große Herausforderung. Schichtarbeitsmodelle und fehlende Angebote zur Kinderbetreuung führen dazu, dass viele Mediziner vor der alten Frage stehen: Kind oder Karriere? Angesichts des Fachkräftemangels im medizinischen Bereich verschaffen sich familienfreundliche Kliniken einen Wettbewerbsvorteil. Hochqualifizierte Nachwuchsmediziner wählen ihren Arbeitgeber nämlich nicht nur basierend auf dem Gehalt und den Karrieremöglichkeiten aus, sie achten auch darauf, ob die Klinik Rücksicht auf die Familienplanung nimmt.
Junge Mediziner wünschen sich bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie
Die ärztliche Weiterbildung beginnt in der Regel im Alter zwischen 25 und 35 Jahren – und fällt damit genau in den Zeitraum, in dem sich für viele Nachwuchsmediziner auch die Frage nach der Familienplanung stellt. Nicht mehr nur Frauen interessieren sich für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, auch Männer möchten heute ihren Arbeitsalltag flexibler gestalten und mehr Zeit für Partner und Kinder haben.
Die Realität sieht aber meist anders aus. Wie eine vom Hartmannbund durchgeführte Umfrage unter Assistenzärzten und -ärztinnen zeigt, empfinden 67,57 Prozent ihre Arbeitsbelastung als so groß, dass sie sich negativ auf ihr Familien- und Privatleben auswirkt. Die größten Hindernisse für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehen die jungen Mediziner in unflexiblen Arbeitszeiten, einem Mangel an Kinderbetreuungsplätzen, fehlender Betreuung bei kurzfristigen Arbeitseinsätzen, im Wechselschichtsystem und auch im Druck von Vorgesetzten und Kollegen.
Angesichts des Fachkräftemangels ist die Erwartung, dass Ärzte ihre Familie hinter der Karriere zurückstellen, nicht mehr zeitgemäß. Möchten Kliniken wettbewerbsfähig bleiben, müssen sie ihren Angestellten bessere Möglichkeiten einräumen, Familienleben und Beruf zu vereinen. Das ist insbesondere in ländlichen Regionen von Bedeutung, in denen der medizinische Fachkräftemangel besonders ausgeprägt ist.
An welchen Merkmalen erkennen junge Ärzte eine familienfreundliche Klinik?
Für junge Mediziner stellt sich derweil die Frage, anhand welcher Kriterien sie eine familienfreundliche Klinik erkennen. Die Bundesärztekammer hat hierzu das Handbuch “Familienfreundlicher Arbeitsplatz für Ärztinnen und Ärzte” herausgegeben. Es beinhaltet eine Checkliste mit Punkten, die familienfreundliche Kliniken erfüllen sollten.
Zu den wichtigsten Fragen gehören:
- Welche Kinderbetreuungsangebote bietet die Klinik? Sind Betriebskindergärten vorhanden und wie lange haben diese geöffnet?
- Wie ist die Klinik organisatorisch auf Ärzte mit Familie eingestellt? Gibt es Rückzugsmöglichkeiten zum Stillen, Spielzimmer für Kinder, spezielle Kindermenüs in der Mensa?
- Welche Arbeitszeitmodelle bietet die Klinik an? Wie flexibel können Ärzte ihre Arbeitszeiten gestalten? Stehen zum Beispiel Teilzeit- oder Gleitzeitmodelle zur Auswahl?
- Lassen sich die eigenen Urlaubszeiten an Schulferien und Feiertage anpassen? Wie viele Dienste entfallen auf Wochenenden?
- Stehen Ärztinnen die gleichen Karrierechancen offen wie ihren männlichen Kollegen? Gibt es ein Mentoring durch weibliche Rollenvorbilder und aktive Programme gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz?
- Welche Regelungen bestehen zum Wiedereinstieg in den Beruf nach der Schwangerschaft, zur Elternzeit für Mütter und Väter und zum Mutterschutz?
Einen Hinweis auf die Familienfreundlichkeit des Arbeitgebers bieten auch Zertifizierungen wie das “audit berufundfamilie” der gemeinnützigen Hertie-Stiftung. Aufschlussreicher als Zertifikate sind allerdings meist Gespräche mit den an der Klinik angestellten Kollegen.
Wie ist es um die Kinderbetreuung in deutschen Kliniken bestellt?
Grundvoraussetzung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung. Das öffentliche Angebot reicht aber vielerorts nicht aus und ist zu unflexibel für die Anforderungen von Ärztinnen und Ärzten. Familienfreundliche Kliniken zeichnen sich daher durch ein Angebot betriebseigener Kinderbetreuung aus. Betriebskindergärten bieten beiden Seiten Vorteile: Eltern können sich sicher sein, dass ihr Nachwuchs während der Arbeitszeit gut untergebracht ist. Die Kliniken profitieren von Mitarbeitern, die schneller aus der Elternzeit zurückkehren und geringere Fehlzeiten verzeichnen. Zudem wirkt sich das betriebseigene Betreuungsangebot positiv auf das Image der Klinik aus.
Wie viele Kliniken über eigene Betreuungsplätze verfügen, zeigt das Krankenhaus Barometer vom Deutschen Krankenhaus Institut (DKI). Betriebseigene Kinderkrippen für Kinder unter 3 Jahren sind demnach an 9,6 Prozent der befragten Kliniken vorhanden. 8 Prozent der Kliniken planen die mittelfristige Einführung. Einen betriebseigenen Kindergarten für Kinder ab 3 Jahren bis zum Schuleintritt gibt es an 10,9 Prozent der Kliniken, 7,3 Prozent planen die mittelfristige Einführung. Einen Hort für Kinder im Schulalter gibt es an 3,4 Prozent der befragten Kliniken, 3,6 Prozent planen, diese in nächster Zeit einzuführen.
Einen aktuelleren Überblick gibt der Deutsche Ärztinnenbund e.V. (DÄB). Eine vom DÄB herausgegebene und laufend aktualisierte Liste zeigt an, welche der 2.222 Kliniken in Deutschland eine Kinderbetreuung anbieten. Vor allem in größeren Häusern stehen häufig bessere familienfreundliche Angebote zur Verfügung als an kleineren Kliniken. Die kleineren Häuser begründen dies damit, dass die Nachfrage nach familienfreundlichen Dienstleistungen zu gering sei und sich diese finanziell nicht lohnen würden.
Das Handbuch der Bundesärztekammer listet ebenfalls Kliniken mit familienfreundlichen Einrichtungen auf und gibt an, für Kinder welcher Altersgruppen am jeweiligen Haus Betreuungsplätze zur Verfügung stehen.
Familienfreundliche Facharztrichtungen
Anästhesie, Radiologie oder Arbeitsmedizin? Welche Facharztrichtungen gelten als besonders familienfreundlich? Ein Überblick über alle familienfreundlichen Fachrichtungen bietet unser Artikel Familienfreundliche Fachrichtungen – Eine Chance für die Vereinbarkeit von Kind und Karriere