Im Frühjahr 2023 hat das europäische eHealth-Unternehmen Doctolib den diesjährigen ...

Die Digitalisierung soll durch entsprechende Praxis-Technik Arbeitsprozesse vereinfachen, die Patientenversorgung verbessern und Ärzte/-innen sowie medizinische Mitarbeiter/innen entlasten. Sie bringt zahlreiche Vorteile mit sich – so zumindest die Theorie. Leider bleibt es laut einer Umfrage in den meisten niedergelassenen Arztpraxen auch nur bei der theoretischen Vorstellung einer gut funktionierenden Digitalisierung. In der Realität sieht es anders aus und Ärzte/-innen sind unzufrieden mit den Praxis-Techniken, die bis heute nicht die fehlerfreie Funktionalität für die reibungslose Durchführung digitaler Arbeitsprozesse bieten, dafür aber aufwendig und teuer sind.
Digitalisierung in Arztpraxen: erhoffte Vorteile
Zahlreiche Mediziner/innen sowie auch Patienten/-innen haben gespannt auf die Einführung und den Ausbau der Digitalisierung in Arzt- und Physiotherapeutischen Praxen gewartet. Seit Corona nimmt sie ihren Lauf und ist seit 2022 in vollem Gange. Die Digitalisierung soll mit entsprechender Praxis-Technik attraktiv und effizienter gestaltet werden:
- Terminmanagement zur Patienten- und Teamentlastung
- Videosprechstunden für die Zeitersparnis
- Messenger-Dienste für eine schnelle Kommunikation ohne lange Wartezeiten für Patienten/-innen
- unkomplizierte Erreichbarkeit von Kollegen für den Informations- und Datenaustausch
Umfrage von Nutzerzahlen digitaler Tools
Bereits Anfang 2022 kritisierte der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands Ulrich Weigeldt die nicht-ausgereifte Technik, was durch Umfragen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) unterstrichen wurde.
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) sowie die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Westfalen-Lippe haben im April 2023 Umfrageergebnisse veröffentlicht, die eine Orientierung über aktuelle Nutzerzahlen wiedergeben.
Demnach verwenden rund 15 Prozent der befragten Praxen digitale Terminmanagement-Tools. Davon hatten rund 60 Prozent der Befragten zum Umfragezeitpunkt das Terminmanagement in ihr Verwaltungssystem der Praxis und/oder auf der Praxiswebseite integriert. Circa 33 Prozent gaben an, sie benutzen Onlineportale für das Terminmanagement. Die Hälfte aller Umfrageteilnehmer gaben an, durch das digitale Terminmanagement von kürzeren Patienten-Wartezeiten sowie zügigeren und flexibleren Terminvergaben profitieren zu können. 58 Prozent der Ärzte/-innen sind sicher, dadurch eine Steigerung der Patientenzufriedenheit zu erreichen.
Bei den Videosprechstunden sieht die digitale Nutzung etwas anders aus. Hier offerieren 43 Prozent der befragten Ärzte/-innen sowie Psychotherapeuten ihren Patienten/-innen die digitale Videosprechstunde über die entsprechende Praxis-Technik. Unter den Fachärzten/-innen wird sie nur zu 35 Prozent genutzt. 85 Prozent der Psychotherapeuten/-innen halten die Videosprechstunde für sehr sinnvoll.
Die Ersparnis von langen Anfahrtswegen für Patienten/-innen und unkomplizierte Befundbesprechungen werden von circa 75 Prozent beziehungsweise 43 Prozent als vorteilhaft angesehen, wenngleich 66 Prozent der Ärzte/-innen Einschränkungen bei der Untersuchungsoptionen via Videosprechstunde angeben.
Funktionalität und Kosten
Aus der Umfrage von Zi und KV Westfalen-Lippe geht hervor, dass 55 Prozent aller befragten Ärzte/-innen und Psychotherapeuten/-innen sehr unzufrieden mit der Verbindungsstabilität während der Videosprechstunde sind. Verbindungsabbrüche, Audio-Probleme, eingefrorene Software und ausbleibende Benachrichtigungen bei „Patienten-Ankunft“ im virtuellen Wartezimmer sind nur einige Situationen, die Ärzte/-innen und Psychotherapeuten bemängeln. Das führt bei zahlreichen Patienten/-innen zu Unmut. Für Ärzte/-innen und Therapeuten/-innen steigt damit das Risiko, Patienten/-innen aufgrund mangelhafter Durchführung von Videosprechstunden zu verlieren. Zudem investieren sie Zeit in virtuelle Prozesse, die auf diese Weise nicht zielführend sind.
Ein weiteres Thema beschäftigt Ärzte/-innen und Psychotherapeuten/-innen: die Kosten. Laut Zi beliefen sich im Jahr 2018 die mittleren Kosten allein für die IT-Infrastruktur auf 4.843 Euro. Ein Jahr später lag der Median-Preis bereits bei 6.034 Euro. Im Jahr 2021 sind diese laut Angaben der Umfrageteilnehmer/innen mittlerweile im mittleren Bereich auf 7.000 bis 15.000 Euro gestiegen, wobei die Instandhaltung der Systeme in den Kosten inbegriffen sind.
Ärgerlich ist es für niedergelassene Mediziner/innen, dass sie oftmals mangelhafte Funktionen von der vorteilhaften Nutzung digitaler Leistungen abhalten werden; aber für fehlerhafte Softwares und Systemintegrationen so viel Geld ausgeben zu müssen. Das lässt sie und insbesondere Ärzte/-innen über die Sinnhaftigkeit der Praxis-Technik für die Digitalisierung zum jetzigen Zeitpunkt nachdenken. Zu Recht wird im Rahmen der Umfrage bemängelt, dass diese Fehler von Anfang an bekannt sind und anstatt Kosten einsparen zu können, stehen Praxen vor hohen Rechnungen und laufenden Kosten für die Praxis-Technik.
Gesamtergebnis der Umfrage
Man fragte die Teilnehmer der Umfrage nach ihrem abschließenden Urteil über die Digitalisierungsangebote, wie sie derzeit angeboten und verfügbar sind. Die Mehrheit gab einen niedrigen bis sehr niedrigen Nutzen an. Gute und sehr gute Bewertungen wurden von weniger als 20 Prozent der Teilnehmer abgegeben, wobei hier sichere Messengerdienste für den Austausch mit Kollegen/-innen bei knapp 25 Prozent lag. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass 58 Prozent der Befragten manche digitalen Tools für eher weniger nützlich einstuften, die diese bis zum Umfragezeitpunkt (noch) nicht eingeführt hatten.
Zi und KVWL stimmen überein: Die Politik muss agieren
KVWL-Vorstandsvorsitzende Thomas Müller sowie der Zi-Vorstandsvorsitzende Dr. Dominik von Stillfried sind sich einig darüber, dass es einer politischen Regelung über klare und verlässliche Refinanzierungen von digitalen Investitionen für niedergelassene Vertragsärzte/-innen und Krankenhäuser bedarf. Es wird Zeit, die Digitalisierung fehlerfrei sowie im vollen Umfang funktionsfähig zu gestalten und Anwendern zusätzlichen bürokratischen Aufwand zu ersparen. Es ist eine ausreichende Finanzierung zu überdenken, um bereits digitalisierte Arztpraxen finanziell zu entlasten und weitere Ärzte/-innen sowie Psychotherapeuten/-innen für die Digitalisierung zu gewinnen. Dies sei unerlässlich in Anbetracht dessen, dass Patienten/-innen im Behandlungsfall mehrheitlich von mindestens zwei unterschiedlichen, fachübergreifenden Praxen betreut werden. Die digitalisierte Praxis-Technik kann hier deutlich für verbesserte Behandlungsvorgänge sorgen, wenn sie dann finanzierbar ist und fehlerfrei funktioniert, so Thomas Müller und Dr. Dominik von Stillfried.