Schätzungsweise eine halbe Million Menschen besitzen in Deutschland keinen Krankenversicherungsschutz. Die Tendenz ist steigend. Die Gründe sind unterschiedlicher Herkunft. Meist können sich Betroffene die Krankenversicherung einfach nicht mehr leisten. Für viele bedeutet dies der Wegfall jeglicher medizinischer Hilfe. Ob Schmerzmittel, Behandlung chronischer Erkrankungen und Verletzungen oder Rezepte verschreibungspflichtiger Medikamente bei beispielsweise Diabetes oder akuten Notfällen, all dies bleibt ihnen vorenthalten. Hier setzt der Internist Peter Ostendorf an und hilft mit seiner “Praxis ohne Grenzen”.
Arzt aus Leidenschaft
Eigentlich könnte der ehemalige Chefarzt Professor Dr. Peter Ostendorf mit fast 80 Jahren seinen Ruhestand entspannt mit Hobbys und Urlauben verbringen. Aber anstatt dessen widmet der Facharzt für Innere Medizin seine Freizeit den Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen und sich Arztbesuche sowie medizinische Leistungen nicht in Anspruch nehmen können.
Er rief diese außergewöhnliche Initiative ins Leben, um Menschen zu helfen. Für ihn ist Arzt zu sein, nicht ein Beruf, den man ausschließlich zum Geld verdienen ausübt. Ostendorf ist Arzt aus Leidenschaft und will Menschen helfen. Dafür hat er nicht nur einen Eid abgelegt, sondern lebt diese Einstellung jeden Tag neu aus.
Heute kümmert er sich um die Menschen, die mit ihren gesundheitlichen Problemen allein sind und denen sonst niemand hilft. Darin findet er seine Bestimmung und behauptet, damit eine Befriedigung in ihm auszulösen, wie er sie in all den Jahren während seiner Kliniktätigkeit nicht spürte.
Praxis ohne Grenzen
“Praxis ohne Grenzen” ist ein Projekt, das Prof. Dr. Peter Ostendorf vor einigen Jahren anging. Heute ist es ein eingetragener Verein. Die Aufgabe des Vereins ist es, Menschen die ohne Krankenversicherung zum Arzt wollen oder müssen, eine medizinische Behandlung und Gesundheitsberatungen zukommen zu lassen. Zu den Patienten zählen zum Beispiel Selbständige mit geringer finanzieller Basis, EU-Bürger, die keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben sowie Asylanten und Flüchtlinge, die aufgrund fehlender Identitätsnachweise nicht in das soziale Netz aufgenommen werden können.
Wenngleich der Start schwer war, weil betroffene Patienten den kostenlosen Dienst nur schleppend annahmen, so ist aus “Praxis ohne Grenzen” heute ein Netzwerk entstanden, das derzeit im Norden Deutschlands an mehreren Standorten aktiv ist. Ehrenamtlich kümmern sich jeden Mittwoch zurzeit im Ruhestand befindliche Ärzte aus acht Fachrichtungen, engagierte Medizinstudenten sowie ausgebildete Krankenschwestern um die Menschen ohne Krankenversicherung. Prof. Dr. Ostendorf ist der verantwortliche Leiter des Projekts.
“Praxis ohne Grenzen” zählt insgesamt 45 Ärzte. Die Hilfsangebote steigen zunehmend, sodass mittlerweile eine Warteliste erstellt wurde. Dolmetscher verhindern Verständigungsprobleme und Sprechstundenhilfen sorgen für die Datenerfassung, wie es in einer ganz normalen Praxis auch üblich ist. Auf diese Weise kann bei erneuten Patientenbesuchen unkompliziert auf die Krankenakte zugegriffen werden.
Die Praxen verfügen über modernes Equipment, sodass die “Praxen ohne Grenzen” normalen Arztpraxen in Nichts nachstehen. Finanziert wird das Projekt rein durch Spenden. In manchen Fällen ist eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus unabdingbar. Da hier die Kosten gedeckt werden müssen, haben die Akteure von “Praxis ohne Grenzen” unter anderem die Möglichkeit auf einen von ihnen eingerichteten Spendenfonds zurückzugreifen, über den Klinikaufenthalte nebst Behandlungen und Operationen finanziert werden können.
Finanzierung des Projekts
Zu den Sponsoren zählen unter anderem nordische Institutionen. Selbst Stiftungen beteiligen sich regelmäßig mit Spendenbeiträgen. Aber auch die Hamburger Unternehmen und Privatpersonen zeigen viel Verständnis und machen diesen kostenlosen Service für benachteiligte Menschen möglich, die der Staat trotz Grundgesetz “Jeder hat ein Recht auf medizinische Versorgung”, offensichtlich vergessen hat.
Der Hamburger Unternehmer Reimund Reich hat über die gleichnamige Stiftung die Praxisräume finanziert und sie mit erstklassigem Medizinbedarf sowie Geräten vom Ultraschall bis zum Zahnarztstuhl ausstatten lassen. Auch übernimmt die Stiftung für die Patienten von “Praxis ohne Grenzen” vielfach die Kostendeckung von weiterführenden kostenpflichtigen medizinischen Maßnahmen, für die der “Praxis in Grenzen” die Möglichkeiten fehlen. Erwähnenswert ist auch das Hamburger Spendenparlament, das vor kurzem einer Sterilisator von 27.000 Euro für das Projekt bezahlte.
Auch Hamburger Harz 4 Empfänger, bei denen selbst kaum etwas zum Leben übrig bleibt, helfen hin und wieder mit fünf oder zehn Euro-Spenden. Ostendorf und das Team sind begeistert von so viel Unterstützung der Hamburger Bürger, die auch mit Kleinstbeträgen ein großes Projekt wie dieses, am Leben erhalten. Doch um ohne Geldsorgen praktizieren zu können, fehlt es auch weiterhin an Spenden.
Wer an dieser Stelle selbst das Projekt unterstützen möchte, findet hier direkt zur Spendenseite von Praxis ohne Grenzen.
Immer mehr Patienten
Als das Projekt startete, war die Nachfrage anfangs sehr gering. Betroffene schämen sich, wenn sie eine kostenlose Leistung in Anspruch nehmen müssen, weil sie sich das einst “Normalste der Welt” nicht (mehr) leisten können. Oft verstecken Menschen ihre Armut vor anderen. So reicht es bei manch einem Selbstständigen zum Beispiel gerade noch, das kleine Reihenhaus für die Familie finanziell halten zu können und damit in der Nachbarschaft den Anschein waren zu können. Aber dies geht nicht selten auf Kosten der Krankenversicherung, für die kein Geld mehr übrig bleibt.
Viele schulden Versicherungsbeiträge und sind vom Versicherungsschutz ausgeschlossen worden. Sich anderweitig zu versichern, ist in Deutschland schwer bis gar nicht möglich.
Oder ist es die alleinerziehende Mutter, deren Kinder den Hänseleien der Mitschüler und Nachbarskinder ausgesetzt sind? Auch für diese ist der Gang schwer, die Gratis-Leistung in Anspruch zu nehmen. Arm sein ist nicht leicht – dies aber zu zeigen, für viele Betroffene noch viel schlimmer.
Dennoch hat sich der kostenlose Dienst etabliert. Am Ende geht die eigene Gesundheit oder die der Kinder eben doch vor. Mittlerweile behandeln die Ärzte rund 100 Patienten am Sprechstundentag. Damit ist auch fast die derzeitige Kapazität ausgeschöpft.
Mehr Infos direkt auf der Homepage von Praxis ohne Grenzen.