Die Versorgung von Patienten/-innen mit chronischen Erkrankungen stellt für niedergelassene Kassenärzte/-innen in Deutschland eine besondere Herausforderung dar. Chronische Erkrankungen erfordern eine langfristige und intensive Betreuung. Diese ist häufig mit einem erhöhten Arbeitsaufwand verbunden. Gleichzeitig können Honorarverluste drohen. Denn die Vergütung für die Behandlung von chronisch Kranken ist oft nicht ausreichend. Diese Situation kann für die behandelnden Ärzte/-innen zu einer erheblichen finanziellen Belastung führen. Langfristig kann es sogar die Praxisexistenz gefährden.
Um dieser Problematik entgegenzuwirken, gibt es jedoch verschiedene Möglichkeiten, Honorarverluste bei chronisch kranken Patienten/-innen zu verhindern. In diesem Text werden einige der wichtigsten Optionen beschrieben und allgemeine Tipps gegeben. Diese können dazu beitragen, eine angemessene Vergütung für die intensive Betreuung von chronisch Kranken zu erhalten und somit die Qualität der Versorgung langfristig zu sichern.
Das kassenärztliche Budget
Kassenärzte/-innen bekommen von den Krankenkassen für die Behandlung ihrer Patienten/-innen ein festes Budget zur Verfügung gestellt, das für das gesamte Quartal gilt. Dieses Budget setzt sich aus den Behandlungskosten für alle Patienten/-innen des/-r Arztes/Ärztin zusammen. Es ist begrenzt, d.h. der/die Arzt/Ärztin kann nicht unbegrenzt viele Leistungen erbringen, sondern muss innerhalb dieses Budgets bleiben.
Das Budget wird auf der Grundlage der Anzahl der Patienten/-innen sowie auf der Grundlage der bestehenden Erkrankungen und durchgeführten Behandlungen berechnet. Es orientiert sich an der Zusammensetzung des Patientenklientels im Vorjahr. Wenn Ärzte/-innen das Budget überschreiten, müssen sie für die zusätzlichen Leistungen selbst aufkommen oder erhalten für diese Leistungen keine Vergütung.
Das Ziel des Budgets ist es, die Ausgaben im Gesundheitswesen zu kontrollieren. Gleichzeitig will man sicherzustellen, dass die Kosten für die medizinische Versorgung gering bleiben. Allerdings gibt es auch Kritik an diesem System, da es dazu führen kann, dass Ärzte/-innen aus Angst vor Budgetüberschreitungen weniger Leistungen erbringen oder notwendige Behandlungen nicht durchführen, um innerhalb des Budgets zu bleiben.
Was ist der EBM und wie funktioniert er?
Der EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) ist ein Abrechnungssystem im deutschen Gesundheitswesen, das die Vergütung von ärztlichen Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung regelt. Er wird erstellt vom Bewertungsausschuss, welcher sich aus Vertretern/-innen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und des GKV-Spitzenverbandes zusammensetzt.
Der EBM besteht aus einer Vielzahl von Gebührenpositionen, die ärztliche Leistungen nach Schweregrad und Zeitaufwand bewerten. Jede Gebührenposition hat einen eigenen Punktwert, der multipliziert mit der Anzahl der erbrachten Leistungen das Honorar des/der Arztes/Ärztin ergibt. Die Vergütungssätze des EBM werden in der Regel jährlich angepasst und sind abhängig von der Abrechnungsart (z.B. Quartalsabrechnung) und dem Leistungserbringer (z.B. Hausarzt/-ärztin oder Facharzt/-ärztin).
Im EBM sind auch Sonderregelungen für bestimmte Leistungen enthalten, wie beispielsweise für Hausbesuche oder Bereitschaftsdienste. Auch die Vergütung von Leistungen im Rahmen von speziellen Versorgungsprogrammen (Disease-Management-Programme) oder bei der Betreuung von chronisch kranken Patienten/-innen ist im EBM geregelt.
Es gibt Kritik am EBM-System, da es in der Vergangenheit immer wieder zu Honorarverlusten für Ärzte/-innen gekommen ist. Insbesondere bei der Behandlung von chronisch kranken Patienten/-innen und bei Leistungen, die nicht direkt mit der Behandlung verbunden sind, kann es zu Honorarverlusten kommen. Dennoch ist der EBM ein wichtiger Bestandteil des deutschen Gesundheitswesens und regelt die Vergütung von ärztlichen Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung.
Die Chronikerregelung
Die Chronikerpauschale ist eine extrabudgetäre Leistung. Das bedeutet, dass die Pauschale zusätzlich zum Kassenärztlichen Budget gezahlt wird. Somit hat es keine Auswirkungen auf das Budget der behandelnden Ärzte/-innen hat. Die Chronikerpauschale soll sicherstellen, dass Ärzte/-innen angemessen vergütet werden, wenn sie Patienten/-innen mit chronischen Erkrankungen behandeln, die eine regelmäßige und intensive Betreuung erfordern.
Sie kann über die Gebührenpositionen 03220 bis 03222 abgerechnet werden. Die Höhe der Pauschale hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie z.B. dem Schweregrad der Erkrankung und dem Alter der behandelten Person.
Ärzte/-innen können die Chronikerpauschale für Patienten/-innen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes mellitus, KHK oder Asthma beantragen. Voraussetzung ist:
- das Vorliegen mindestens einer lang andauernden, lebensverändernden Erkrankung
- die Notwendigkeit einer kontinuierlichen ärztlichen Behandlung und Betreuung. Diese ist gegeben, wenn in den letzten vier Quartalen zumindest bei drei ein Arzt-Patienten-Kontakt stattgefunden hat. Mindestens zwei dieser müssen persönlich geführt worden sein, ein Kontakt kann online oder per Telefon stattgefunden haben.
Ein Beispiel aus der Praxis
Ein häufiges Beispiel für eine chronische Krankheit ist die koronare Herzkrankheit (KHK). Bei der Abrechnung von Leistungen für Patienten/-innen mit KHK können Ärzte/-innen oft aufgrund von Unklarheiten oder Unkenntnissen Fehler machen, die zu Honorarverlusten führen. Ein typischer Fehler besteht darin, dass die KHK-Diagnose nicht korrekt kodiert wird. Auch werden häufig wichtige Leistungen im Behandlungsprozess vergessen. Hierdurch kann der Anspruch auf die extrabudgetäre Vergütung verloren gehen.
Die korrekte Abrechnung für Patienten mit KHK beinhaltet mehrere Schritte: Zuallererst muss die KHK-Diagnose korrekt kodiert werden. Darüber hinaus sollten alle relevanten Leistungen für die Behandlung von KHK erbracht werden und eine kontinuierliche Behandlung stattfinden, um der Grundvoraussetzung für die Klassifizierung als „Chroniker/in“ (siehe oben) zu erfüllen. Ein regelmäßiger persönlicher Patientenkontakt ist hier unabdingbar. Wer beispielsweise während der Corona-Pandemie zu oft von der Telefonkonsultation Gebrauch gemacht hat, verliert den Anspruch auf die zusätzliche Vergütung. Zuletzt müssen die entsprechenden Ziffern für die Chronikerpauschale in der Abrechnung mit angegeben werden.
Weitere Maßnahmen
Außer den spezifischen, auf die Behandlung von chronisch Kranken konzentrierten Tipps sollte auf eine ordentliche und gründliche Praxisführung geachtet werden. Hierdurch können Ärzte/-innen sicherstellen, dass alle erbrachten Leistungen vollständig und korrekt dokumentiert werden, um eine adäquate Vergütung durch die gesetzlichen Krankenkassen zu gewährleisten. Im Folgenden werden einige wichtige Maßnahmen beschrieben, die Ärzte/-innen ergreifen können, um Honorarverluste zu vermeiden.
Integrierte Versorgungskonzepte
Ein Vertrag zum integrierten Versorgungskonzept ist ein Vertrag zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern, der darauf abzielt, die Versorgung von Patienten/-innen mit bestimmten chronischen Erkrankungen zu verbessern. In einem solchen Vertrag werden Maßnahmen festgelegt, die auf eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Leistungserbringern abzielen, um eine effektivere und patientenorientiertere Versorgung sicherzustellen. Die Leistungen, die von Kassenärzten/-innen im Rahmen dieses Vertrages erbracht werden, werden durch ein Sonderbudget vergütet und wirken sich so nicht auf das eigentliche Kassenbudget aus.
Kassenärzte/-innen können an einem Vertrag zum integrierten Versorgungskonzept teilnehmen, indem sie sich mit anderen Leistungserbringern wie z.B. Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken oder Pflegeeinrichtungen zusammenschließen und eine gemeinsame Versorgungsstrategie entwickeln. In der Regel wird dabei ein koordinierender Leistungserbringer bestimmt, der die Versorgung der Patienten/-innen koordiniert und dafür sorgt, dass alle beteiligten Leistungserbringer eng zusammenarbeiten.
Regelmäßige und dokumentierte Abrechnung von Leistungen
Eine der grundlegendsten Maßnahmen, um Honorarverluste zu vermeiden, ist die regelmäßige und dokumentierte Abrechnung aller erbrachten Leistungen. Hierzu gehören einerseits die Grunddokumentation, aber auch der Zeitaufwand, eventuelle ungeplante telefonische Konsultationen und Laborleistungen. Es ist wichtig, dass alle erbrachten Leistungen vollständig und korrekt dokumentiert werden. Denn dies ist eine Voraussetzung für die Abrechnung und Vergütung der Leistungen durch die gesetzlichen Krankenkassen.
Wer noch zu Beginn seiner Praxisexistenz steht oder aus anderen Gründen Unterstützung wünscht, sollte über die Beratung durch auf die kassenärztliche Abrechnung spezialisierte Fachkräfte nachdenken. Oft rentiert sich das investierte Geld schon früh. Die gesparte Zeit kann auf die eigentliche Patientenversorgung verwendet werden.
Nutzung von extrabudgetären Leistungen
Ein weiterer Weg, um Honorarverluste bei chronisch kranken Patienten/-innen zu vermeiden, ist die Nutzung von extrabudgetären Leistungen, also Leistungen, die nicht über das Budget vergütet werden, das den Ärzten/-innen von den gesetzlichen Krankenkassen zur Verfügung gestellt wird. Extrabudgetäre Leistungen können zusätzliche Einnahmen für die Praxis generieren. Und zwar ohne, dass dies zu einer Einschränkung der Budgetierung führt. Dazu gehören beispielsweise die Teilnahme an den 2002 eingeführten Disease-Management-Programmen, Impfungen oder gewisse Vorsorgeuntersuchungen, aber auch die Erbringung von IGeL-Leistungen, die von den Patienten/-innen selbst bezahlt werden. Wichtig ist hierbei, die IGeL-Leistungen an den wirklichen Bedürfnissen der Patienten/-innen zu orientieren und nicht an finanziellen Gesichtspunkten, da chronisch Kranke sowieso schon unter einem hohen finanziellen Druck stehen. In Frage kommen etwa medizinisch sinnvolle Leistungen. Speziell solche, die in den Leitlinien empfohlen, jedoch (noch) nicht von den Krankenkassen übernommen werden.
Disease Management Programme
Die Teilnahme an den oben erwähnten Disease-Management-Programmen (DMPs) kann Ärzten/-innen helfen, Honorarverluste durch die Behandlung chronisch kranker Patienten/-innen zu vermeiden. DMPs sind spezielle Behandlungsprogramme, die darauf abzielen, die Versorgungsqualität und die Gesundheitsergebnisse von Patienten/-innen mit bestimmten chronischen Erkrankungen wie Diabetes, KHK oder Asthma zu verbessern. Indem Ärzte/-innen Patienten/-innen in DMPs einschreiben und die Anforderungen dieser Programme erfüllen, soll eine strukturierte und kontinuierliche Betreuung garantiert werden. Die extrabudgetäre Vergütung kann je nach Programm variieren und kann auf der Anzahl der eingeschriebenen Patienten/-innen, der Durchführung von spezifischen Untersuchungen und der Erfüllung von bestimmten Qualitätskriterien basieren. Darüber hinaus können DMPs Ärzte/-innen dabei helfen, ihre Praxisabläufe zu optimieren und die Versorgungsqualität zu verbessern.
Eine überfällige Reform? Ein Ausblick in die Zukunft
Der aktuelle Standard in der Vergütung von kassenärztlichen Leistungen steht immer wieder in der Kritik. Gerade die Behandlung von chronisch kranken Patienten/-innen stellt eine außerordentliche Belastung dar. Sie kann Ärzte/-innen vor dem Hintergrund von drohenden Regressforderungen dazu bringen, eigentlich indizierte Leistungen zurückhaltender einzusetzen. Mit der Krankenhausreform von Karl Lauterbach werden auch die Forderungen nach einer Überarbeitung der kassenärztlichen Behandlung und Vergütung immer lauter.
Die gesetzlichen Krankenkassen haben in den letzten Jahren zwar einige Anreize geschaffen, um Ärzte/-innen bei der Behandlung chronisch kranker Patienten/-innen zu unterstützen und Honorarverluste zu vermeiden. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Vergütung von Ärzten/-innen in Zukunft entwickeln wird. Angesichts der steigenden Anzahl von chronisch kranken Patienten/-innen und der begrenzten Ressourcen im Gesundheitssystem wird es zunehmend wichtiger werden, innovative Lösungen zu finden, um die Versorgung chronisch kranker Patienten/-innen zu verbessern und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Praxen zu gewährleisten. Diskutiert werden unter anderem sowohl ergebnisorientierte Vergütungen als auch die komplette Abschaffung des Budget-Konzeptes. Die Ankündigung einer großen Reform von politischer Seite steht noch aus.
Fazit
Das Thema der ungenügenden Vergütung von Kassenärzten/-innen für die Behandlung chronisch Kranker bleibt weiterhin aktuell. Um Honorarverluste zu vermeiden, sollten Kassenärzte/-innen ihre Dokumentation optimieren. Wo immer möglich, sollten sie die Codierung mit der „Chronikerpauschale“ in Anspruch nehmen. Eine kontinuierliche ärztliche Betreuung ist hierfür unabdingbar. Weiterhin kann durch die Teilnahme an strukturierten Behandlungsprogrammen wie DMPs das Einkommen erhöht und gleichzeitig eine bessere Versorgung für ihre Patienten sichergestellt werden.