
Deutsche Ärzte/-innen befürchten, dass es in den Arztpraxen bald zu einem Termin-Desaster kommen könnte. Grund dafür ist die geplante Abschaffung des Neupatienten-Bonuses, Teil des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes. Ohne Neupatientenregelung könnten auf gesetzlich versicherte Patienten/-innen wesentlich längere Wartezeiten zukommen. Vor allem auf Termine bei Fachärzten/-ärztinnen müssten sie länger warten.
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Wegfall der Neupatientenregelung soll Kassen-Defizit ausgleichen
Mit dem sogenannten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz reagiert die Bundesregierung auf das voraussichtliche Defizit der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 17 Milliarden Euro. Der Gesetzesentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht unter anderem vor, die Neupatientenregelung ab Januar 2023 aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) zu streichen.
Die Neupatientenregelung wurde erst im Jahr 2019 eingeführt. Sie bietet Ärzten/-innen einen finanziellen Anreiz, wenn sie in ihrer Praxis neue Patienten/-innen aufnehmen und zusätzliche Sprechstunden anbieten. Die Extra-Vergütung soll den höheren Aufwand für die Behandlung von Neupatienten/-innen ausgleichen, der etwa durch das Anlegen von Patientenakten und zusätzliche Untersuchungen entsteht. Das Ziel: Gesetzlich Versicherte sollten nicht mehr so lange auf Arzttermine warten müssen. Finanziert werden die Behandlungen der Neupatienten/-innen über ein gesondertes Budget. Als Neupatienten/-in gelten in diesem Sinne alle Personen, die zum ersten Mal eine hausärztliche oder fachärztliche Praxis aufsuchen. Darunter fallen aber auch Patienten/-innen, die zum letzten Mal vor über zwei Jahren in diesen Arztpraxen behandelt worden sind.
Das Gesundheitsministerium stellt allerdings den Nutzen der Neupatientenregelung in Frage. Es gebe keine Belege, dass die extrabudgetäre Vergütung tatsächlich zur verstärkten Aufnahme von neuen Patienten/-innen beitrage, heißt es aus der SPD-Fraktion.
Welche Folgen hätte der Wegfall der Neupatientenregelung für Arztpraxen?
Bei den niedergelassenen Ärzten/-innen stößt die geplante Streichung der Neupatientenregelung auf Unverständnis. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KVB) warnt in einem offenen Brief an die Bundesregierung davor, dass durch die Streichung die Versorgungsqualität in den Arztpraxen gefährdet werde. Das Praxispersonal sei ohnehin durch die Corona-Krise überarbeitet, vor allem in Facharztpraxen fehle es an Personal, zusätzlich steigen die Energie- und Materialkosten. Weitere finanzielle Einbußen könnten die Praxen nicht stemmen.
Um gegen die geplante Abschaffung der Neupatientenregelung vorzugehen, hat die KBV eine Unterschriftenaktion organisiert. Mehr als 50.000 Ärzte/-innen und Psychotherapeuten/-innen haben unterschrieben. In Baden-Württemberg protestierten niedergelassene Ärzte/-innen Anfang Oktober gegen den Gesetzesentwurf, indem sie ihre Praxen für einen Tag geschlossen hielten.
Längere Wartezeiten für Patienten/-innen
Für gesetzlich versicherte Patienten/-innen hätte der Wegfall der Neupatientenregelung zur Folge, dass sie länger auf ihre Arzttermine warten müssten. Im Durchschnitt würden rund fünf zusätzliche Sprechstunden pro Woche wegfallen, die aktuell aufgrund der gesetzlichen Regelung für die Behandlung von Neupatienten/-innen zur Verfügung stehen.
Wird die Neupatientenregelung gestrichen, können sowohl Hausarzt- als auch Facharztpraxen ab Januar 2023 die Aufnahme neuer Patienten/-innen grundsätzlich ablehnen. Entsprechend der Neupatientenregelung gilt das auch für Personen, die zum letzten Mal vor mehr als zwei Jahren beim Facharzt/bei der Fachärztin waren. Zu erwarten ist auch, dass Facharztpraxen noch weniger Sprechzeiten für gesetzlich Versicherte anbieten. Betroffen sind davon insbesondere Augen-, Haut-, Frauen-, Zahn- und HNO-Ärzte/-Ärztinnen. Patienten/-innen sind daher gut beraten, sich noch vor Jahresende eine Hausarztpraxis zu suchen und vor dem Verstreichen der Zweijahresfrist eine/n Facharzt/-ärztin zur Kontrolluntersuchung aufzusuchen.
Wer schnell einen Termin beim Facharzt/bei der Fachärztin benötigt, sollte in der Hausarztpraxis um einen Dringlichkeitsvermerk auf dem Überweisungsschein bitten und sich mit dem Dringlichkeits-Code an den kassenärztlichen Patientenservice unter der Telefonnummer 116 117 wenden. Laut gesetzlicher Vorschrift muss dann innerhalb der nächsten vier Wochen ein Termin vergeben werden.
Ärztekammer fordert einen Schutzschirm für niedergelassene Ärzte/-innen
Noch ist das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz nicht beschlossen. In einer ersten Anhörung im Bundesrat Mitte September zeigten sich die Länder skeptisch, ob der Gesetzesentwurf ausreiche, eine grundlegende Strukturreform anzustoßen. Bis zur Verabschiedung könnte es daher noch zu Änderungen kommen.
Die Ärztekammern der Länder sehen derweil die ambulante Versorgung in Deutschland gefährdet. Der Wegfall der Neupatientenregelung würde einen großen Rückschritt darstellen. Um die Arztpraxen zu unterstützen und das Versorgungsniveau zu halten, fordert die hessische Ärztekammer unter anderem einen Schutzschirm für niedergelassene Ärzte/-innen, ähnlich dem Schutzschirm für Krankenhäuser.