Als Ehepartner/in in der Arztpraxis zu arbeiten, stellt Ärzte/-innen und ...

Schlüpfrige Witze, eine wie zufällig erscheinende intime Berührung oder Mails mit eindeutigen Fotos: Zahlreiche Ärztinnen sehen sich am Arbeitsplatz mit sexueller Belästigung konfrontiert. Viele Betroffene nehmen das aufdringliche Verhalten stillschweigend hin, auch aus Angst vor beruflichen Nachteilen. Der Deutsche Ärztinnenbund rät betroffenen Frauen dazu, sich zu wehren.
37 Prozent der Ärztinnen haben sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz erlebt
Internationalen Studien zufolge erfährt jede dritte Frau ab ihrem 15. Geburtstag körperliche oder sexuelle Gewalt. 22 Prozent der Betroffenen erleben derartige Übergriffe während der Ausbildung oder am Arbeitsplatz. Auch viele Ärztinnen sind am Arbeitsplatz sexueller Aufdringlichkeit ausgesetzt. Wie hoch das Ausmaß sexueller Belästigung in den Kliniken, Praxen und medizinischen Fakultäten ist, hat der Weltärztinnenbund untersucht. An der Umfrage nahmen weltweit 1.300 Ärztinnen teil. 37 Prozent von ihnen berichteten, mindestens einmal sexueller Belästigung am Arbeitsplatz erfahren zu haben. Ein Drittel erlebte die Übergriffe während des Studiums oder als Assistenzärztin. In 55 Prozent der Fälle handelte es sich um unerwünschten Körperkontakt, in 63,5 Prozent der Fälle um anzügliche Bemerkungen.
An der Umfrage beteiligten sich nur 35 Ärztinnen aus Deutschland. Daher lassen sich keine verlässlichen Aussagen treffen, wie häufig Ärztinnen in deutschen Kliniken von sexuellen Übergriffen betroffen sind. Es gibt jedoch deutliche Hinweise darauf, dass sexuelle Belästigung und Diskriminierung in medizinischen und Pflegeberufen ebenso weit verbreitet sind wie in anderen Branchen. In vielen Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen und Universitäten gehören die Übergriffe für Frauen zum Alltag. Die Täter sind Chefärzte, Kollegen, Pfleger und auch Patienten.
Wie definiert der Gesetzgeber sexuelle Belästigung?
Wann liegt sexuelle Belästigung vor? Eindeutig erscheinen Fälle von sexueller Nötigung wie die Androhung beruflicher Nachteile, wenn Frauen sexuelle Gefälligkeiten verweigern. Der Gesetzgeber fasst den Begriff der sexuellen Belästigung jedoch weiter und definiert ihn in §3, Absatz 4 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) als “unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten”, welches darauf abzielt, die Würde der betroffenen Person zu verletzen. Dazu gehören neben körperlichen Berührungen ausdrücklich auch Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie das unerwünschte Zeigen und sichtbare Anbringen pornographischer Darstellungen.
Eine sexuelle Belästigung liegt also nicht nur dann vor, wenn eine Ärztin betätschelt oder befingert wird, entweder mit unverhohlener Absicht oder als angebliches Versehen. Auch aufdringliche Fragen zu Privatleben, obszöne, demütigende Witze und Sprüche und schlüpfrige SMS oder E-Mails sind übergriffig und müssen nicht akzeptiert werden. Der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) rät Frauen, sich auf das eigene Empfinden zu verlassen. Wenn sie ein Verhalten als Übergriff wahrnehmen, ist es auch einer.
Recht auf Beschwerde und Entschädigung
Schlüpfrige Sprüche des Chefarztes bei der Visite, vor ihren Augen masturbierende Patienten oder eindeutig zweideutige E-Mails eines Kollegen müssen Ärztinnen also in keinem Fall hinnehmen. Laut AGG haben Betroffene das Recht, Beschwerde einzureichen und die Leistung zu verweigern. Zudem stehen ihnen eine Entschädigung und Schadenersatz zu. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, jede Beschwerde aufgrund sexueller Belästigung zu prüfen. Gemäß §§ 12,13 AGG muss er zudem geeignete Maßnahmen ergreifen, um die Belästigung zu stoppen und zukünftige Übergriffe zu verhindern. Je nach Schwere des Vorfalls können diese Maßnahmen aus einer Abmahnung, einer Versetzung oder auch der Kündigung bestehen.
Dennoch legen nur wenige Ärztinnen eine offizielle Beschwerde ein. Wie der DÄB berichtet, haben sich bislang nur rund zwei Dutzend Frauen aus dem medizinischen Bereich bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gemeldet. Noch seltener ziehen Betroffene gegen die Täter vor Gericht. Die Gründe sind oft Scham, Unsicherheit und die Angst vor beruflichen Konsequenzen.
Wie können sich betroffene Ärztinnen wehren?
Der DÄB wie auch der Präventionsdienst bei der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) raten Frauen in medizinischen Berufen dagegen, sich deutlich gegen die Belästigung zur Wehr zu setzen. Mit klaren Worten sollten sie den Tätern ihre Grenzen aufzeigen und ein eindeutiges Stopp-Signal setzen. Auf keinen Fall sollten sie sich auf Diskussionen einlassen, in denen die Täter versuchen, ihr unangemessenes Verhalten zu relativieren und zu rechtfertigen.
Kommt es häufiger zu Übergriffen, sollten Betroffene die Fälle dokumentieren. Für Rat und Hilfe können sich Ärztinnen an eine Vertrauensperson wenden, zum Beispiel die Stationsleitung, den Personalrat oder Betriebsrat. Hilfestellung bieten auch die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragen der Krankenhäuser, medizinischen Fakultäten und Universitäten. Auch im Stationsteam sollten die Vorfälle angesprochen werden. Beratung bietet außerdem das Hilfetelefon “Gewalt gegen Frauen” unter der Nummer 08000-116016 und online unter www.hilfetelefon.de. Juristische Beratung erhalten Betroffene bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter der Hotline 030-185551855 sowie online unter www.antidiskriminierungsstelle.de.