
Im Grunde sind wir Sandmänner ja ganz bescheidene Menschen. Wir werkeln im Hintergrund, und überlassen Glanz und Gloria unseren Kollegen aus der Chirurgie. An manchen Tagen werden mir jedoch Fragen gestellt, die nur einen einzigen Rückschluss zulassen:
Wir Sandmänner müssen wohl den Ruf haben, nicht nur alles zu können, sondern auch alles zu wissen. Ein paar Erfahrungsberichte anbei.
Hilfs-Springer-Assistent dringend gesucht
Die Tatsache, dass wir Sandmänner nicht steril am Tisch stehen, sondern uns frei im Raum bewegen dürfen, macht uns manchmal zum Handlanger der feststehenden Mitspieler im Saal.
Ich helfe auch gern mal beim Kittel-Zumachen oder lese ein Detail in der Akte nach, kein Problem.
Dass ich aber nebenbei noch Narkose machen muss, und den Patienten auch erst seit 20 Minuten kenne, scheint den Kolleginnen und Kollegen aus der Chirurgie dabei manchmal zu entfallen.
„Hat der Patient gestern Cortison bekommen? Wann war denn genau die Leisten-OP links, 1987 oder 1995? Suchen Sie mal bitte die Aufklärung und lesen wir vor, über was wir aufgeklärt haben! Ist noch Tachosil im Saal? Geht der Roboterarm vom Da Vinci wieder? Ist schon das neue Instrument auf den Sieben? Und wo ist eigentlich mein Autoschlüssel?!“
Liebe Leute – genauso gut könnt ihr mich nach der aktuellen innenpolitischen Lage von Tadschikistan fragen. Woher zur Hölle soll ich das wissen?
Die anästhesiologische Aufklärung
Doch nicht nur im ärztlichen Kollegium, sondern auch bei den Patienten gelten wir scheinbar als allwissend. Zum Wohle der Patienten (und auch zu unserer eigenen Erbauung) haben wir hier eine kleine, feine Hausregel: Es gibt keine Anästhesie-Aufklärung ohne Chirurgie-Aufklärung.
Soll verhindern, dass Patienten, die keine Ahnung haben was bald mit ihnen passieren soll, bei uns aufkreuzen und den Schock ihres Lebens bekommen.
Hat aber den dummen Nebeneffekt, dass die Patienten uns all die Fragen stellen, die sie besser die Chirurgen gefragt hätten.
„Wie groß wird der Schnitt? Bekomme ich eine Schweine- oder eine Rinderherzklappe? Wann kann ich danach wieder laufen? Wer operiert mich denn? Wann darf mein Freund mich besuchen? Wie viele Stiche bekomme ich?“
Ladies and Gentlemen – ich habe nicht den blassesten Schimmer. Ich bin der Narkosedoktor und mache den Schlaf. Noch Fragen dazu? Nein? Gut. Bitte hier unterschreiben.
Relaxieren?! Klaro, aber…
Die genervt-gequälten Blicke von jenseits des grünen Tuchs kenne ich nur zu gut. Wenn dann auch noch theatralisches Seufzen oder ein „Frau Kollegin, das hier ist echt die Hölle hier…so ein unflexibler Patient!“ dazukommt, ist der Fall klar. Die Messerfraktion will Relaxation. Kein Problem, ich bin da ja nicht so, sollen sie kriegen.
Heute habe ich gelernt, dass es wohl zur Sandmann-Kompetenz gehört, auch einzelne Körperteile unabhängig voneinander zu relaxieren.
Kurz nach OP-Beginn ertönte nämlich hinterm Tuch eine grantige Stimme: „Frau Sandmann! Der Patient hat eine Erektion!“ Aaaahaha. Und was genau soll ich da jetzt machen?! Bin ich Notfall-Urologin oder wie?! „Mir egal!“, kam es pampig von unten zurück, „aber machen Sie was! Das ist Aufgabe der Anästhesie. Ich kann so nicht arbeiten!“.
Cheers. Wenn es ein Medikament gäbe, das eine Erektion zuverlässig und sofort beendet – das Zeug wäre der Verkaufsschlager unter Ehefrauen mit chronischer Migräne. Gibt es aber nicht.
Mit der guten alten Devise „Was sich aufregt, regt sich auch wieder ab“ bin ich letztlich sowohl was den Operateur als auch das kleine Problem anging, ganz gut gefahren.
Herzliche Grüße,
Frau Sandmann
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