
Eine Arztpraxis ohne dass ein Mediziner anwesend ist? Wie kann das funktionieren? Es ist nichts Neues, dass sich der Ärztebedarf – vor allem auf dem Land – immer weiter zuspitzt. Im Zuge dessen wird es zunehmend schwieriger, Nachfolger für Arztpraxen zu finden. Und eine Besserung ist nicht in Sicht. Junge Mediziner zieht es schon längst nicht mehr aufs Land, sondern sie bevorzugen das Leben und Arbeiten in einer Stadt.
Erste “Ohne-Arzt-Praxis” in Baden-Württemberg geplant
Alternative Lösungen sind daher gefragt. So gibt es immer mehr telemedizinische Angebote, doch eine Praxis ohne Arzt gab es bis jetzt nicht. Nun wird die erste “Ohne-Arzt-Praxis” in Spiegelberg (Baden-Württemberg) eröffnet. Über mehrere Jahre mussten Bewohner des Ortes auf eine Hausarztpraxis verzichten und in das zehn Kilometer entfernte Oppenweiler fahren. Das soll sich jetzt ändern. Das Pilotprojekt könnte ein Vorbild für viele weitere Dörfer in ländlichen Gebieten sein.
So bekommt Spiegelberg einen neuen Hausarzt
Im Oktober soll es losgehen: Patienten in Spiegelberg können ab Oktober wieder eine Hausarztpraxis aufsuchen, sich beraten lassen und eine Diagnose gestellt bekommen. Untersuchungen finden aber nicht durch einen Arzt, sondern mit einer Arzthelferin in der Praxis statt. Aber ganz ohne Mediziner geht es natürlich nicht. So können die Anwesenden bei Bedarf per Videotelefonie mit Jens Steinat verbunden werden – der Hausarzt für die Ohne-Arzt-Praxis. Steinat betreibt eine Hausarztpraxis in Oppenweiler. Das Projekt sei interessant für ihn, da schon Patienten bei ihn in Behandlung seien, die aus den benachbarten Orten kämen. Nach wie vor herrscht ein Mangel an Ärzten in ländlichen Gegenden. Das Projekt soll nun die Versorgung der Kommune gewährleisten, wo etwa 2.100 Menschen ansässig sind.
Philon-Med steckt hinter dem Projekt
Jens Steinat kann aus Kapazitätsgründen keine zweite Praxis in Spiegelberg eröffnen. Die Praxis ohne Arzt ist eine Zwischenlösung für ihn und Patienten, die auf eine Behandlung angewiesen sind und nicht ins zehn Kilometer entfernte Oppenweiler fahren können, um sich untersuchen zu lassen.
Wer das Projekt ermöglicht: Philon-Med, ein Unternehmen aus Heidelberg. Gründer ist Tobias Granter, welcher schon über einen längeren Zeitraum nach einer Chance für die Eröffnung einer Ferndiagnosepraxis gestrebt hat. Das Projekt in Spiegelberg wird von ihm umgesetzt, mit der Unterstützung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Ebenfalls begeistert ist die Gemeine Spiegelberg selbst, welche das Projekt fördert.
Praxis wird in bestehende Räumlichkeiten integriert
Eine bestehende dermatologische Praxis wird für das neue Projekt erweitert. Die Räume für die erste Praxis ohne Arzt sollen von der Hautarztpraxis zur Verfügung gestellt werden. Patienten werden hier von einer medizinischen Angestellten betreut, die Granter aus seiner früheren Arbeitszeit kennt – er berichtet Positives. Der Fachkraft würde er sein vollstes Vertrauen schenken. Außerdem sei das Projekt erfolgsversprechend, weil auch die Geräte auf dem neuesten Stand sind. Herz- und Lungentöne können beispielsweise sicher über bestehende Kommunikationsleitungen an den Arzt versendet werden, um diese auswerten zu können.
Persönlicher Kontakt immer noch wichtig
Im Ernstfall soll der behandelnde Arzt vor Ort eintreffen – so die Idee der Beteiligten, die am Projekt mitgearbeitet haben. Zwar sei die Ohne-Arzt-Praxis eine gute Möglichkeit, um Fortschritte in der Telemedizin zu gewährleisten. Trotzdem sei ihnen wichtig, dass der persönliche Kontakt zwischen Arzt und Patient bestehen bleiben würde. Wird das Projekt erfolgreich verlaufen, sind weitere Projekte geplant: Die Diagnose-Praxis soll mit diversen Fachärzten vernetzt werden, die ebenfalls in der Region praktizieren. Auf diese Weise wird eine ganzheitliche Versorgung der Patienten sichergestellt.