
Eine Sensation – im Februar verkündete das Uniklinikum Heidelberg einen spektakulären Durchbruch bei der Krebsfrüherkennung. Mit dem “Heidelberger Bluttest” sollte Brustkrebs frühzeitig festgestellt werden können. Eine einfache Blutabnahme anstatt der aufwändigen und umstrittenen Mammographie – es wäre ein echter Fortschritt. Die BILD-Zeitung titelte mit der verkaufsträchtigen Schlagzeile “Erster Blut-Test erkennt zuverlässig Brustkrebs”. Viele Frauen nahmen das als positive Nachricht.
Klinische Studie fehlt, keine Veröffentlichung in Fachpublikation
Nur wenig später kamen Zweifel an der “Werthaltigkeit” der Meldung auf. Renommierte Wissenschaftler kritisierten die aus ihrer Sicht viel zu frühe Veröffentlichung. Der Heidelberger Bluttest sei nicht hinreichend erkenntnisgenau und die publikumswirksame Veröffentlichung zu einem frühen Zeitpunkt lasse wissenschaftliche Standards außer Acht. Es gebe keine Fachpublikation zu dem Testverfahren, eine klinische Studie fehle und die Zahl der untersuchten Proben sei unzureichend. Fazit: es mangele den veröffentlichten Ergebnissen an der nötigen Validität. Allenfalls liege ein Bluttest-Prototyp vor, kein fertiges Produkt. Böse ausgedrückt könnten man auch sagen: es handelt sich um einen Fall von wissenschaftlicher Hochstapelei.
Exzellenz-Status gefährdet?
Die Vorwürfe lasten schwer auf dem ansonsten guten Ruf des Heidelberger Uniklinikums – für die Einrichtung ein Anlass, die Vorgänge rund um den Heidelberger Bluttest näher unter die Lupe zu nehmen. Eine vom Aufsichtsrat der Klinik eingesetzte Untersuchungskommission befasst sich seit April eingehend mit der Test-Historie und hat vor einigen Wochen einen umfangreich dokumentierten Zwischenbericht vorgelegt. Er zeigt jede Menge Merkwürdigkeiten im Verfahrensprozess. Deutlich wird auch eine unheilvolle Verbindung von Renommiersucht und wirtschaftlichen Interessen.
Wie der Heidelberger Bluttest zur Blamage wurde
Das komplexe Geschehen bis zur vorzeitigen Veröffentlichung kann hier nur skizziert werden, folgendes Bild ergibt sich danach:
- die Ursprünge der “Affäre” liegen bereits im Jahre 2017. Damals wurde die Leiterin des Forschungsprojektes, Rongxi Yang, unter unklaren Umständen aus ihrer Funktion verdrängt. Treiber dabei war ihr Dienstvorgesetzter, der ärztliche Direktor Professor Dr. Christof Sohn. Er wurde unterstützt von der technology transfer heidelberg GmbH (tth) – einer Tochterfirma der Uniklinik, die sich um die Umsetzung von klinischen Forschungsergebnissen in marktreife Anwendungen und deren Vermarktung kümmert. An die Stelle von Rongxi Yang trat Prof. Dr. Sarah Schott;
- kurz nach der personellen Umbesetzung gründete die tth zwei Firmen zur Vermarktung des Heidelberger Bluttests – die HEISCREEN GmbH und die HEISCREEN NKY GmbH – ein Joint Venture mit einem chinesischen Pharmakonzern für den chinesischen Markt. Dabei gab es eine interessante Verquickung. An der HEISCREEN GmbH beteiligte sich der Unternehmer Jürgen Harder, der wiederum ein enger Freund des damaligen Bild-Chefredakteurs Kai Diekmann ist. An der HEISCREEN MKY GmbH sind der ärztliche Direktor und die neue Projektleiterin mit zusammen 20 Prozent beteiligt;
- der Wechsel in der Projektleitung hatte gravierende Folgen. Es trat ein dramatischer Know How-Verlust durch die Ablösung von Rongxi Yang auf. Die unter ihrer Leitung erzielten vielversprechenden Testergebnisse konnten danach nie mehr erreicht werden;
- dennoch entschied sich Professor Sohn im Februar dafür, auf einer Gynäkologen-Fortbildung über Fortschritte zu berichten. Gleichzeitig wurden eine Agentur und die BILD-Zeitung eingeschaltet und man setzte eine Pressekonferenz an, auf der der Bluttest-Durchbruch verkündet wurde;
- der Vorstand der Klinik war vom Gang an die Öffentlichkeit vorab informiert, es gab sogar interne warnende Stimmen, die aber ignoriert wurden. So fand die Pressekonferenz statt und BILD hatte seine Schlagzeile.
Verbote für Professor Sohn – Versäumnisse des Vorstands
Erhebliche Versäumnisse und Mängel in der Arbeitsweise des Klinik-Vorstands konstatiert jetzt die Untersuchungskommission. Ein Mitglied der Kommission bringt es auf den Punkt und sieht Führungsversagen, Eitelkeit, Machtmissbrauch, falsch verstandene Kollegialität und Wissenschaftsfreiheit am Werk. Der hauptverantwortliche Professor Sohn wurde inzwischen mit einem (mindestens) dreimonatigen Forschungs- und Lehrverbot an der Uniklinik belegt, sogar ein Behandlungsverbot könnte drohen. Eine Entlassung ist aber rechtlich schwierig und vielleicht auch zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht. Noch sind die Untersuchungen nicht abgeschlossen. Erst die endgültigen Ergebnisse werden zeigen, welche Konsequenzen dauerhaft aus dem Fall zu ziehen sind.