Angestellte im Gesundheitswesen sehen sich in sämtlichen Aufgabengebieten mit einer enorm hohen Arbeitsbelastung konfrontiert. Welche Auswirkungen das gerade auf junge Mediziner/innen hat und wie man diese Umstände verbessern könnte, darüber spricht Dr. Moritz Völker, Vorsitzender der jungen Ärzte/-innen im Hartmannbund und Anästhesist in Weiterbildung am Evangelischen Krankenhaus Herne, im Interview mit praktischArzt.
Herr Dr. Völker, welches sind die wichtigsten Ursachen der aktuellen Probleme im Arbeitsalltag gerade junger Ärzte/-innen?
Schon lange wird über einen vorherrschenden Personalmangel gesprochen. Seit kurzem auch endlich intensiver darüber, dass unser Gesundheitssystem zu stark in Anspruch genommen wird. Das war lange Zeit auf Kante genäht und droht aktuell zu kippen. Das schlägt sich für die betroffenen Mediziner/innen in einer enorm hohen Arbeitsbelastung nieder.
Ich persönlich halte den Fachkräftemangel für relativ. Arbeitsvolumen, Taktung, Bürokratie – all diese Dinge nehmen jedoch stetig zu, sorgen dann für eine Überlastung und führen zu entsprechendem Unmut.
Wie geht es Ihren jüngeren Kollegen/-innen in dieser aktuellen Situation? Wo sehen Sie eventuelle Folgen dieser hohen Arbeitsbelastung?
Ich denke, wenn es bei einer linearen Fortsetzung der Rahmenbedingungen bleibt, werden wir den wahren Mangel erst noch erleben. Als Gründe mache ich da verschiedene Faktoren aus.
Zum einen die Demographie. Nicht nur Patienten/-innen, sondern auch die Ärzte/-innen werden immer älter. Erstere benötigen zunehmend medizinische Leistungen, zweitere gehen vermehrt in Rente. Es bleiben uns also immer weniger Fachkräfte, die immer mehr Menschen versorgen müssen.
Gleichzeitig ist der Umgang mit den Ärzten/-innen katastrophal. Es finden sich viele Hürden im Arbeitsalltag und in der Arbeitsumgebung. Ich kenne Kollegen/-innen, denen werden Fortbildungsanträge nicht genehmigt, weil die Dienstpläne zu stramm sind oder es schlicht an Leuten mangelt, die ausbilden. Viele Krankenhäuser bieten schlechte Kantinen, schäbige Aufenthaltsräume und löcherige Dienstkleidung. Auf all diese Faktoren haben die Arbeitgeber direkten Einfluss und könnten Verbesserungen anstrengen. Da sind gerade Krankenhäuser gefragt, sich neu und zukunftsfähig aufzustellen.
Haben Sie Vorschläge, wie man die aktuelle Situation verbessern könnte? Kurz- und langfristig?
Da das Problem vielschichtig ist, müssen wir auch immer sehen, auf welcher Ebene wir Abhilfe schaffen können. Wollen wir kurzfristige Verbesserungen erzielen, dann wird uns der Ruf nach mehr Fachkräften nicht weiterhelfen. Die bekommen wir weder kurz- noch mittelfristig, sondern höchstens langfristig.
Kurzfristig kann uns helfen, wenn wir Patientenströme anders lenken und die falsche Inanspruchnahme medizinischer Leistungen reduzieren. Bagatellen – beispielsweise in den Notaufnahmen – stören die Versorgung. Darüber hinaus sollten wir die vorhandene Arbeitskraft effektiver nutzen und Bürokratie abbauen. Ärzte/-innen sollten weniger Dokumentationszwänge haben und natürlich muss auch die Digitalisierung unbedingt verbessert werden.
Auch mit dem Datenschutz müssen wir uns auseinandersetzen. Es geht sehr viel wichtige Zeit verloren, weil Möglichkeiten fehlen, auf notwendige Daten zugreifen zu können. Da ist vieles unklar und hinderlich.
Welche Impulse wünschen sie sich von Seiten der Politik?
Vor allem wünsche ich mir eine ehrliche Kommunikation – dass man offen ausspricht: Für das, was wir leisten, ist unser Gesundheitssystem in der jetzigen Form zu teuer. Und dass man daran auch etwas ändert.
Ich halte es für unrealistisch, die Beiträge dermaßen zu erhöhen, dass wir den aktuellen Versorgungsstand halten können. Also müssen wir die Versorgung verändern. Wie das genau aussehen soll, kann ich nicht sagen. Aber es ist klar, dass sich etwas ändern muss, denn auch Gesundheitsressourcen sind begrenzt. Die vorgestellte Krankenhausreform macht mir da Hoffnung, dass wir es schaffen, den stationären Bereich umzustrukturieren.
Ein weiterer großer Wunsch zielt auf die Digitalisierung ab. Denn die vorhandenen Mittel sind eine Farce. Hier braucht es eine grundlegende Infrastruktur, auf die man dann aufbauen kann.
Zuletzt wünsche ich mir auch mehr Anerkennung. Und damit meine ich nicht, dass die Bevölkerung für die Mediziner/innen während der Corona-Pandemie klatscht. Es geht mir um Wertschätzung im persönlichen Kontakt – nicht nur von Patienten/innen an ihre Ärzten/-innen, sondern vor allem von Krankenhaus-Arbeitgeber/innen an ihre Angestellten.
Was könnten Führungskräfte bzw. leitende Mediziner/innen tun, um das Arbeitsumfeld junger Kollegen/-innen zu verbessern und diese dann zukünftig auch in ihrem Team zu halten?
Dazu müssten unsere Krankenhäuser zeitgemäße Arbeitgeber werden. Das sind sie meistens nicht!
Häufig haben Ärzte/-innen das Gefühl, dass ihnen Führungsetagen nicht Vertrauen, sondern sie vielmehr kontrolliert werden. Prozesse werden von oben gestaltet und passen nicht zur Versorgungsrealität.
Es muss gelingen, der Arbeit im Krankenhaus mehr Sinn zu geben. Nicht die Zeit in die Patientenverwaltung zu investieren, sondern gute Versorgung und Begleitung in allen Situationen bieten. Wir müssen Weiterbildung leben, nicht nur die Zeit absitzen und Prozeduren im Logbuch abhaken. Gleichzeitig sollten wir auch ehrlich sein damit, was geht in der Abteilung und was nicht und somit Unnützes streichen. Abläufe können effektiver gestaltet werden, denn gute Organisation setzt viel Arbeitskraft frei. Das gibt uns Ärzten/-innen dann auch die Freiräume zurück, mit den Patienten/-innen ausführlich sprechen und für sie da sein zu können.
Zur Person:
Dr. Moritz Völker ist Vorsitzender der jungen Ärzte/-innen im Hartmannbund und Anästhesist in Weiterbildung am Evangelischen Krankenhaus Herne.