Seit rund 20 Jahren wird das Problem Ärztemangel in Deutschland diskutiert. Ein Rückblick zeigt, dass die Situation sich von Jahr zu Jahr verschärft. Inzwischen bleiben jährlich Tausende Ärztestellen unbesetzt. Laut einer Studie droht bis zum Jahr 2035 in 40 Prozent aller Landkreise eine Unterversorgung. Jetzt werden Forderungen, mehr Studienplätze in der Medizin zu schaffen, immer lauter. Ist die Lösung so einfach, um das Versorgungsniveau auch in Zukunft zu halten?
Ärztemangel nimmt zu
2019 blieben deutschlandweit über 5.200 Ärztestellen unbesetzt (3.280 Hausarzt- und 1.933 Facharztstellen). 2016 waren es noch gut 2.000. Vor allem in ländlichen Gebieten ist der Mangel ausgeprägt. Aber auch einige Städte haben zunehmend Schwierigkeiten, Ärzte/-innen für Randgebiete und soziale Brennpunkte zu finden. Die nächsten Jahre werden das Problem verstärken. Etwa 20 Prozent der Ärzteschaft wird altersbedingt aus dem Beruf ausscheiden. In einigen Fachgebieten sind die Quoten sogar noch höher. Zum Beispiel gehen 25 Prozent der Kinder- und Jugendärzte/-innen bis 2025 in den Ruhestand. Gleichzeitig steigt der Bedarf. Eine immer älter werdende Bevölkerung und der technische Fortschritt bedeuten, dass mehr Arztstunden für eine adäquate Behandlung benötigt werden.
Angesichts dessen fordern verschiedene Akteure die Aufstockung der Studienplätze für Humanmedizin. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) spricht von 5.000 notwendigen zusätzlichen Studienplätzen. Auf dem diesjährigen Deutschen Ärztetag wurde die Zahl 6.000 genannt. An Interessenten würde es nicht fehlen. Den rund 10.000 verfügbaren Studienplätzen im Wintersemester 2021/22 standen immerhin mehr als 45.000 Bewerber/innen gegenüber.
Zusätzliche Studienplätze in Medizin – eine Frage der Finanzen
Da Bildung Ländersache ist, entfällt die Finanzierung der Hochschulbildung auf die Bundesländer. Die Kosten für zusätzliche Plätze in der Medizin würden somit die Länder tragen. Sie fordern, dass der Bund sich an den Kosten für eine Erweiterung der Studienkapazitäten beteiligt. Denn das Medizinstudium ist kostenintensiv. Das Statistische Bundesamt beziffert die Grundmittel pro Medizin-Studienplatz auf 30.000 Euro pro Jahr. Ein Vielfaches dessen, was etwa ein Studienplatz in Jura oder Sozialwissenschaften kostet (etwa 4.500 Euro jährlich). Die anschließende Facharztausbildung sei noch teurer. Und durch die neue Approbationsordnung werden die Kosten für das Medizinstudium ab 2025 steigen, fürchten die Länder.
Zudem lernen Studierende Medizin nicht nur in Hochschulsälen. Ein wichtiger Teil der Ausbildung findet außerhalb des Hörsaals in den Krankenhäusern statt. Die Bettenkapazität ist somit für die Kapazität der Studienplätze entscheidend. Um die Studienplatzkapazität zu erhöhen, müssen die Hochschulen auch ihre Bettenkapazität entsprechend anpassen. Das bedeutet weitere Kosten.
Heute gibt es schon mehr Ärzte/-innen als je zuvor – warum reicht es nicht?
Zahlen der Bundesärztekammer zeigen, dass heute mehr als 416.000 Ärzte/-innen in Deutschland arbeiten. Das ist ein Höchststand. Was ist also das Problem?
Es gibt eine Verteilungsproblematik. Einige Fachgebiete sind weniger beliebt; etwa die allgemeinärztliche Tätigkeit. Zudem scheuen Absolventen/-innen das Land. Sich im ländlichen Raum niederzulassen, verbinden viele mit der Befürchtung, rund um die Uhr für die Patienten/-innen in einer unterversorgten Region erreichbar sein zu müssen. Zusätzlich abschreckend wirkt die finanzielle Last für eine eigene Praxis. In der Stadt bieten Gemeinschaftspraxen die Möglichkeit, im Angestelltenverhältnis zu arbeiten. Als Angestellte/r ist es einfacher, in Teilzeit zu arbeiten, was wiederum die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben verbessert. Die Stadt scheint also vorteilhafter für junge Ärzte/-innen, die sich eine Familie wünschen. Durch die Teilzeitarbeit ergibt sich statistisch aber, dass es 1,2 neue Ärzte/-innen braucht, um eine/n ausscheidende/n Arzt/Ärztin zu ersetzen.
Die Arbeitsbedingungen sind nicht zeitgemäß. Nicht nur nach der Niederlassung leiden Ärzte/-innen unter zeitlichem und finanziellem Druck. In den Krankenhäusern sieht die Situation nicht besser aus. 24-Stunden-Schichten erschweren die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Kostendruck über die Fallpauschalen führt zu Stress und Überlastung, da er die Klinikärzte/-innen dahintreibt, kostspielige Diagnostik und Operationen durchzuführen. Das zehrt an den Kräften der Krankenhausärzte/-innen. Die belastenden Arbeitsbedingungen treiben viele in die Teilzeit oder gar gleich in die Pharma- oder medizinische Industrie. Laut dem Marburger Bund, der Ärztegewerkschaft, liebäugelt ein Viertel aller Klinikärzte/-innen damit, den Job aufzugeben.
Fazit: Ärztemangel ist ein mehrschichtiges Problem
Die Zahl der Studienplätze in Humanmedizin zu erhöhen, scheint wie eine simple Lösung für ein komplexes Problem. Um den Ärztemangel dauerhaft zu lösen, wird sie wohl nicht reichen. Es muss gleichzeitig an anderen Stellen an den Stellschrauben gedreht werden. Es bedarf einer Verbesserung der Arbeitsbedienungen in den Krankenhäusern, zeitgemäßen Arbeitsmodellen und weiteren Anreizen, damit Studierende und Absolventen/-innen sich für Fachrichtungen entscheiden, in denen der größte Bedarf herrscht. Damit es künftig mehr Hausärzte/-innen gibt, fordert der Deutsche Ärztetag nicht nur mehr Studienplätze, sondern auch, dass der Masterplan Medizinstudium 2020 endlich umgesetzt wird. Der Plan sieht unter anderem vor, dass Studierende die hausärztliche Versorgung schneller kennenlernen. Damit ist eine Hoffnung verbunden: Wenn die hausärztliche Medizin stärker im Fokus des Studiums steht, entscheiden sich mehr Absolventen/-innen für die Allgemeinmedizin.