
In diesen Tagen erreichen die Corona-Zahlen in Deutschland neue Höchstwerte. Die vierte Welle ist in vollem Gange und Hoffnungen, die Impfkampagne könne dem Infektionsgeschehen Einhalt gebieten, haben sich nicht erfüllt. Gleichzeitig werden mehr und mehr die Auswirkungen der seit fast zwei Jahren wütenden Pandemie deutlich. Auch bei der durchschnittlichen Lebenserwartung. In einer international angelegten Studie hat sich ein demografisches Forschungsteam mit den Folgen von Corona für die Sterblichkeit befasst.
Die Demografie-Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock sowie an den Universitäten Oxford und Cambridge haben Daten aus insgesamt 37 Ländern ausgewertet. Darunter befinden sich die meisten europäischen Staaten – auch Deutschland –, außerdem Russland, die USA, Kanada, Chile, Israel, Südkorea, Taiwan und Neuseeland. Die untersuchten Daten beziehen sich auf das Jahr 2020 (im Vergleich zu 2019). In den einzelnen untersuchten Ländern sind zum Teil sehr unterschiedliche Strategien bei der Corona-Bekämpfung gefahren worden.
Lebenserwartung: In 31 von 37 Ländern starben die Menschen früher
Viele Länder versuchten es zunächst mit Lockdowns, Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen. Schweden ging einen eigenen Weg mit möglichst wenigen Beschränkungen. Neuseeland verfolgte einen Null-Covid-Ansatz. Die USA reagierten unter der Trump-Administration spät auf die Infektionswelle, nahmen aber früh die Impfkampagne auf. Ebenfalls weit vorn beim Impfen Großbritannien. Aber kein Land ging beim Impfen wohl so konsequent voran wie Israel. Seine Impfkampagne bildete die Blaupause für viele andere Staaten.
Insgesamt zeigt die Studie, dass die Pandemie deutliche Spuren bei der durchschnittlichen Lebenserwartung hinterlassen hat. Sie ist in 31 von 37 Ländern gesunken. Die verminderte Lebenszeit in diesen 31 Ländern summiert sich auf über 222 Millionen Lebensjahre. Kaum einen messbaren Corona-Effekt gab es dagegen in Dänemark, Island und Südkorea. Hier blieb die Sterblichkeit nahezu gleich. In Neuseeland, Taiwan und Norwegen lebten die Menschen im Schnitt trotz Corona sogar etwas länger.
Lebenserwartung: Russland und USA mit den höchsten Verlusten
Den traurigen Spitzenplatz im internationalen Corona-Lebenszeitverkürzungs-Ranking nimmt Russland ein. Russische Männer starben im Jahr 2020 durchschnittlich 2,33 Jahre früher als zuvor, russische Frauen 2,14 Jahre. Der russische Staat war zunächst bei Corona-Maßnahmen sehr zögerlich, hatte aber als erstes Land der Welt einen Impfstoff parat. Der „Sputnik“ stößt allerdings bis heute bei der russischen Bevölkerung auf große Skepsis. Die Todeszahlen sind nach wie vor exorbitant.
Mit 2,27 Jahren weniger erwarteter Lebenszeit bei Männern und 1,61 Jahren bei Frauen liegen die USA an zweiter Stelle. Hier dürfte sich das späte und nicht immer professionelle Corona-Management unter der Trump-Administration ausgewirkt haben. Mit der Aufnahme der Impfkampagne gegen Jahresende 2020 wurde zwar eine Wende zum Besseren eingeleitet, in den Zahlen des letzten Jahres konnte sich das aber nicht mehr niederschlagen.
Deutschlands positive Bilanz im Corona-Jahr 2020
In Europa weisen Bulgarien, Litauen, Polen und Italien die gravierendsten Verluste an Lebensjahren auf. Italien gilt als Land, von dem aus sich die Infektion auf dem alten Kontinent ausgebreitet hat. Das wegen seiner „liberalen“ Haltung häufig kritisierte Schweden gehört trotzdem eher zu den Besserplatzierten und liegt in etwa gleichauf mit Österreich und Frankreich. Deutschland schneidet im internationalen Vergleich gut ab. Hier ist die Lebenserwartung bei Männern nur um 0,3 Jahre gesunken, bei Frauen um 0,1 Jahre – wohl eine Folge des erfolgreichen Corona-Managements während der ersten Welle. Die zweite Corona-Welle ist in den Daten noch kaum zum Tragen gekommen. Die deutsche Impfkampagne wurde erst ganz am Schluss des Erhebungszeitraums gestartet und konnte sich noch nicht auswirken.
Unterschiede gibt es auch zwischen den Bundesländern. In Schleswig-Holstein lebten die Menschen im Schnitt 2020 sogar etwas länger als im Vorjahr. Gut positionieren konnte sich auch Mecklenburg-Vorpommern. In Sachsen starben Männer dagegen durchschnittlich 0,7 Jahre früher als 2019 und Frauen 0,5 Jahre. In den alten Bundesländern verminderte Corona am stärksten in Bayern die zu erwartenden Lebenszeit. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die Zahlen in den Jahren 2021 und 2022 entwickeln.
Und was ist mit den „Schlusslichtern“?
Abschließend noch ein Blick auf die sechs erfreulichen „Schlusslichter“ im Corona-Lebenszeitverkürzungs-Ranking. Auffällig ist, dass es sich bei drei Ländern (Island, Neuseeland, Taiwan) um Inselstaaten handelt. Dänemark ist fast ein Inselstaat, es besteht nur eine gemeinsame Grenze mit Deutschland – konkret mit dem wenig pandemie-betroffenen Schleswig-Holstein. Die Insellage gilt faktisch auch für Südkorea. Hier gibt es nur eine hermetisch abgeriegelte Landgrenze zu Nordkorea. Vier der sechs Länder sind zudem mit weniger als 20 Einwohnern/qkm dünn besiedelt.
Isolation und geringe Bevölkerungsdichte leisteten Eindringen und Verbreitung des Virus offensichtlich Vorschub. Dementsprechend verschlechterte sich die Sterblichkeit nicht. Taiwan und Südkorea besaßen zudem Erfahrungen im Umgang mit gefährlichen Virus-Epidemien im SARS-Zusammenhang. Hier setzte man auch von Anfang an auf konsequente Kontrolle mittels digitaler technischer Unterstützung. Dabei konnte man mentalitätsbedingt anders als in westlichen Staaten auch auf hohe Überwachungs-Bereitschaft bei der Bevölkerung setzen.