In keinem anderen Berufszweig ist Teamfähigkeit so wichtig wie im Klinikalltag. Die Auswahl geeigneter Bewerber ist daher nicht leicht, denn im gewöhnlichen Bewerbungsgespräch kann man dem Bewerber oder der Bewerberin nicht anmerken, ob er oder sie sich im Team gut einfügen wird. Oftmals können sich gute Teamplayer auch im Bewerbungsgespräch nicht so gut „verkaufen“ wie eher ich-bezogene Menschen. Um das zu umgehen und die geeigneten Kandidaten zu finden, bietet sich vor allem im Klinik-Umfeld das Assessment Center bei der Bewerberauswahl an.
Was ist ein Assessment Center?
Der Begriff „Assessment Center“ bezeichnet ein besonderes Bewerber-Auswahlverfahren, das man wörtlich als Beurteilungszentrum übersetzen kann, denn „Assessment“ heißt „Beurteilung“ oder „Bewertung“. Es werden mehrere Bewerber zeitgleich für ein oder zwei Tage eingeladen, die im Team oder einzeln bestimmte Übungen und Tests absolvieren müssen. Der zukünftige Arbeitgeber kann so leichter feststellen, welche Stärken und Schwächen die Bewerber haben, z.B. wie teamfähig und stressresistent sie sind.
Die Bewerber werden während der Übungen von geschulten Mitarbeitern, den sogenannten Assessoren, beobachtet und analysiert. Diese Assessoren verfolgen das Verhalten der Bewerber bei den verschiedenen Aufgaben und notieren ihre Einschätzungen in standardisierten Auswertungsbögen, die anschließend zusammengetragen und als Gesamtergebnis ausgewertet werden. Die finale Entscheidung fällt stets das gesamte Assessoren-Team, kein einzelner Beobachter allein.
Kennzeichen des Assessment Centers
Das Assessment Center weist die folgenden Hauptkennzeichen auf:
- Mehrfachbeurteilung: Die Beurteilung des Bewerbers wird zur Vermeidung subjektiver Fehlbeurteilungen von mehreren Beobachtern durchgeführt.
- Verhaltensorientierung: Der Schwerpunkt liegt auf Übungen zur Beurteilung des praktischen Verhaltens.
- Anforderungsbezogenheit: Ein effektives Assessment Center muss für jede Stelle mit den für sie notwendigen Eigenschaften geplant werden, z.B. erfordert eine Chefarztposition mehr Führungsfähigkeiten als eine Position als Krankenpfleger.
- Methodenvielfalt: Es ist besonders effektiv, mehrere Methoden zu kombinieren, z.B. Rollenspiele mit praktischen Aufgaben.
Zielkriterien im Rahmen des Assessment Centers
Die Aufgaben, die im Rahmen des Assessment Centers bearbeitet werden müssen, sollten die folgenden Kriterien beinhalten:
- Administrative Fähigkeiten: Planung, Organisation, Kreativität, Flexibilität
- Zwischenmenschliche Fähigkeiten: Zielorientierung, Führungsverhalten, Empathie, Durchsetzungsvermögen, Konfliktfähigkeit, Kooperationsbereitschaft, Motivationskraft
- Leistungsorientierte Fähigkeiten: Stressresistenz, Belastbarkeit, Ausdauer
Diese Kriterien erfasst man am besten anhand der gängigsten Aufgaben im Rahmen des Assessment Centers: Vorstellung, Präsentation, Gruppendiskussion, Rollenspiel, Fallstudie und Interview. Dabei entscheidet jeweils die Klinikleitung, welche Aufgaben in welcher Reihenfolge zu absolvieren sind.
Wie funktioniert das Assessment Center?
Das klassische Assessment Center dauert in der Regel ein bis zwei Tage, während der man gemeinsam mit etwa 5 bis 15 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verschiedene Übungen absolviert. Die Anzahl der Kandidaten sollte dabei im Verhältnis zu den zu besetzenden Stellen stehen. Es sollten also z.B. nicht über ein Dutzend Bewerber eingeladen werden, wenn nur eine Stelle zu besetzen ist.
Die meisten Assessment Center haben einen ähnlichen Ablauf und sehen meist so oder ähnlich aus:
- Begrüßung der Bewerber, Informationen zum Tagesablauf
- kurze Vorstellung der Teilnehmer
- Gruppendiskussion zu einem bestimmten Thema
- Verteilung von Fragebögen und Lösen der Testaufgaben
- Einteilung in kleine Gruppen und Rollenspiele
- Postkorbübung
- Interviews mit den einzelnen Kandidaten
- Abschlussgespräch
Zwischen den einzelnen Tagespunkten sollte es längere Pausen nach anstrengenden Aufgaben geben und kürzere Pausen nach einfacheren Aufgaben.
Wie kann das Assessment Center im Krankenhausumfeld umgesetzt werden?
Vor allem im Krankenhausumfeld sollte das Assessment Center als transparentes Verfahren durchgeführt werden, es sollte also von der hausinternen Personalabteilung entwickelt und mit für die entsprechende Stelle notwendigen Bausteine der Personalauswahl besetzt werden. An der Durchführung der Verfahren sollten auf Seiten der Verwaltung der Personalrat, die Personalabteilung und der leitende Vertreter der Klinik beteiligt sein und auf Seiten des Teams der entsprechende Ärztliche Dienst oder die Stationsleitung.
Zu stellende Interviewfragen
Die Interviewfragen sollten eng auf die kommende Aufgabenstellung ausgerichtet und möglichst praktisch statt theoretisch ausgelegt sein. Fachliche und persönliche Kompetenzen sollten durch individuell formulierte Fragen mit hoher Praxisrelevanz in Erfahrung gebracht und in Abstimmung mit den jeweiligen Fachvertretern erarbeitet werden. Solche Fragen könnten z.B. sein:
- „Auf unserer Geburtsstation ist Einfühlungsvermögen besonders wichtig. Wie würden Sie mit einer Patientin umgehen, die soeben eine Totgeburt erlitten hat?“
- „Fallen Ihnen Möglichkeiten ein, das Protokollieren der Patientenbögen effektiver zu gestalten?“
- „In unserer Notfallambulanz kann es schon mal hektisch werden. Was würden Sie tun, wenn Sie gerade an einem Patienten arbeiten und gleichzeitig ein Wiederbelebungs-Patient eingeliefert wird?“
- „Nennen Sie einige sinnvolle Einsparmaßnahmen speziell auf Ihrer Station.“
- „Wie würden Sie vorgehen, wenn Sie als leitende Stationsärztin mit zwei Pflegern umgehen müssen, die sich häufig streiten und nicht gut zusammenarbeiten?“
Abzudeckende Kompetenzbereiche
Da auch im Kliniksektor zunehmend Managementfähigkeiten gefragt sind, sollten diese Kompetenzfelder etwa die Hälfte der zu bewertenden Ergebnisse abbilden und soziale Kompetenzen (z.B. Führungskompetenz, Personalentwicklungskompetenz, Einfühlungsvermögen, Integrität, Loyalität, Selbstreflexion) die andere Hälfte des Verfahrens. Diese beiden Kompetenzbereiche sollten in zwei voneinander getrennten Bereichen festgestellt werden, um sowohl die soziale Kompetenz als auch die Managementfähigkeiten der Bewerberin oder des Bewerbers beurteilen zu können.
Beispielhaftes Assessment Center für Krankenpflege-Azubis
Ein beispielhaftes Assessment Center für Auszubildende in der Gesundheits- und Krankenpflege sollte in etwa so gestaltet sein:
1. Anforderungsprofil erstellen
Eine Projektgruppe erstellt ein konkretes Anforderungsprofil und listet die gewünschten Kompetenzen der Azubis auf, z.B. kognitive Kompetenz (Auffassungsgabe, Konzentrationsfähigkeit, Lösungsorientiertheit), Motivation und Engagement (Leistungsbereitschaft, Lernbereitschaft, Eigeninitiative), Kommunikationskompetenz (Gesprächsführung), persönliche Kompetenz (Belastbarkeit, Sorgfalt, Selbstreflexion) und Sozialkompetenz (Durchsetzungskraft, Teamkompetenz, Kritikfähigkeit).
2. Aufgabenstellungen erarbeiten
Die Projektgruppe erstellt eine Reihe von Aufgaben, anhand derer die zuvor erarbeiteten Kompetenzen beobachtet und eingeschätzt werden können. Wie sehen die typischen Arbeitssituationen aus, in denen die Azubis sich später bewähren müssen? Daran sollten sich die Aufgabenstellungen orientieren und praktisch prüfbar sein. Beispielsweise anhand der Krankenzimmer-Simulation (Nachahmung einer realen Patientensituation), Übungen zur Auffassungsgabe (z.B. was wird von einem gezeigten Video erinnert), Diskussion eines berufsrelevanten Themas in der Gruppe (z.B. Umgang mit schwierigen Patienten) oder Motivationsinterview (Beweggründe für den Berufswunsch).
3. Organisatorischen Rahmen finden
Es muss entschieden werden, welche Mitarbeiter als Assessoren teilnehmen, z.B. Stationsleitungen, Ausbilder/innen, Mitglieder der Arbeitnehmervertretung oder Praxisanleiter/innen. Das Involvieren zahlreicher Verantwortungsträger gewährleistet die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen im Rahmen des Prozesses und steigert die Akzeptanz.
4. Beurteiler schulen
Alle Beteiligten müssen sorgfältig vorbereitet werden und sowohl ihre Aufgaben als Assessoren als auch die Auswahlkriterien genau kennen. Persönliche Sympathien und Antipathien sollten beim Assessment Center vermieden werden, stattdessen sollten sich alle anhand des Kriterienkatalogs am Auswahlprozess beteiligen. Ein Ablaufplan sollte erstellt und die entsprechenden Räumlichkeiten eingeplant werden.
5. Durchführung des Assessment-Centers
Alle Bewerber/innen sollten in Gruppen aufgeteilt und ihnen Beurteilungs-Teams zugeordnet werden. Den Bewerberinnen und Bewerbern sollten die Aufgabenstellungen schriftlich und mit ausreichend Vorbereitungszeit mitgeteilt werden. Nach dem zuvor aufgestellten Zeit- und Ablaufplan sollten die Kandidaten die Aufgabe entweder allein, in Zweierteams oder kleinen Gruppen unter Aufsicht der Beurteilungs-Teams bearbeiten.
6. Abschlussgespräch
Jedes Assessment Center sollte mit einem Abschlussgespräch enden, in welchem den Kandidaten die Entscheidungen der Assessoren mitgeteilt werden. Anders als beim Kurzinterview sind hier auch die konkreten Ausschlusskriterien zu erwähnen, z.B.: „Wir haben uns leider gegen Sie entschieden, weil Sie unseren Anforderungen im Bereich Teamwork nicht entsprochen haben.“
Fazit
Das Assessment Center erlebte in den letzten Jahren einen starken Boom. Der Vorteil, der auch als „Auswahltag“ oder „Potenzialanalyse“ bezeichneten Auswahlverfahren, liegt darin, die Qualifikation der Bewerber besser und tiefergehend kennenzulernen und eine sachlich fundierte Auswahl zu treffen. Im Assessment Center müssen die Kandidaten aktiv demonstrieren, wie sie mit Stresssituationen umgehen, Probleme lösen und im Team arbeiten. Doch auch für die Kandidatinnen und Kandidaten hat das Assessment Center Vorteile, denn es gewährt ihnen einen praktischen und realistischen Einblick in die künftige Tätigkeit.