Seit Jahren tobt eine erbitterte Diskussion um die Umweltbelastung durch Feinstaub und Stickoxide in Innenstädten. Der Autoverkehr – insbesondere mit Dieselfahrzeugen – steht als einer der maßgeblichen Verursacher in der Kritik. Ein Grund für Fahrverbote und andere Einschränkungen. Zum Teil wird sogar gefordert, den Autoverkehr ganz aus Innenstädten zu verbannen – auch und gerade der Gesundheit wegen.
Sind solche Maßnahmen berechtigt oder handelt es sich um eine übertriebene Reaktion? Welche Auswirkungen hat die Luftverschmutzung mit Feinstaubpartikeln tatsächlich auf die Gesundheit?
8,8 Millionen Todesfälle pro Jahr durch Feinstaub
Lange fehlten dazu fundierte Untersuchungen. Neuere Studien scheinen eine schon länger gehegte Vermutung zu bestätigen: mit der Luftverschmutzung steigt das Herzinfarktrisiko – nur eine von mehreren Gesundheitsgefahren der Feinstaubpartikel.
Im vergangenen Jahr erschien im “European Heart Journal” eine neue Studie des Max-Planck-Instituts für Chemie und der Universität Mainz, die ein deutlich höheres Sterblichkeitsrisiko durch Feinstaub sieht als früher angenommen wurde.
Ging man bis dahin davon aus, dass jährlich etwa 4,5 Millionen Menschen weltweit an Luftverschmutzung sterben, korrigiert die Studie die Zahl nach oben auf 8,8 Millionen Todesfälle p.a.. Grundlage bilden neuere Daten aus insgesamt 16 Ländern, die im Herbst 2018 in einer zusammenfassenden Untersuchung im US-Fachmagazin PNAS publiziert worden waren.
Wie wirkt Feinstaub auf das Herz-Kreislauf-System?
Luftverschmutzung ist danach für den menschlichen Organismus ähnlich gefährlich wie das Rauchen – mit dem Unterschied, dass man sich für das Rauchen freiwillig entscheidet, während die Einatmung verschmutzter Luft gezwungenermaßen geschieht. Wie wirkt sich Feinstaub auf das Herz-Kreislauf-System aus?
Dabei generiert Feinstaub sogenannte freie Radikale – hochreaktive und aggressive Sauerstoffmoleküle oder organische Verbindungen mit Sauerstoff – in Körpergefäßen und aktiviert Enzymsysteme ähnlichen denen, die für die Entstehung von Diabetes oder Bluthochdruck verantwortlich sind.
Dadurch wird Arterienverkalkung – die gefürchtete Ateriosklerose – gefördert, die wiederum das Herzinfarktrisiko steigen lässt. Außerdem kommt es durch Feinstaubbelastung verstärkt zu Stress- und Entzündungsreaktionen im Körper, die sich negativ auf das Herz-Kreislauf-System auswirken und die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarkts erhöhen. Bei hohen Feinstaubbelastungen steigt das Herzinfarktrisiko demnach signifikant an.
Studie: Zusammenhang zwischen Feinstaubkonzentration und Herzinfarktrisiko
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Studie, die kürzlich in der medizinischen Fachzeitschrift “Environmental Health Perspectives” veröffentlicht wurde. Erst-Autor der Studie ist Kai Chen, Assistenzprofessor an der Yale School of Public Health in New Haven, Co-Autorin Annette Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz-Zentrum München.
In der Untersuchung wurden Luftverschmutzungsdaten, die in der Stadt Augsburg an verschiedenen Stellen im Zeitraum 2005 bis 2015 gemessen wurden, mit Herzinfarktdaten im Umfeld im gleichen Zeitraum verglichen.
Man konzentrierte sich aus statistischen Gründen ausschließlich auf nichttödliche Herzinfarkte. Beim Vergleich wurden auch andere Infarktauslöser berücksichtigt und “herausgerechnet”.
Die Resultate sind eindeutig: es besteht eine eindeutig positive Korrelation zwischen der Feinstaubkonzentration und dem Herzinfarktrisiko. In den ersten Stunden nach einer Feinstaubzunahme ist das Risiko – korrespondierend zu den Mainzer Ergebnissen – sogar besonders hoch.
Feinstaub für das Herz gefährlicher als Stickoxide
Sicher wäre es trotzdem verfehlt, die Luftverschmutzung als Hauptverursacher von Herzinfarkten zu bezeichnen. In der Regel kommen mehrere Faktoren zusammen. Aber eine hohe Feinstaubkonzentration kann mit dazu beitragen, einen Herzinfarkt auszulösen – sozusagen den entscheidenden Anstoß geben.
Für die Mainzer Forscher ist dabei der Zusammenhang von Feinstaubbelastung und Herzinfarktrisiko besonders evident. Zwar gebe es auch erhöhte Risiken für Lungenerkrankungen, -entzündungen oder Krebs. Der Zusammenhang sei aber weniger stark ausgeprägt.
Bei der Frage, welcher Schadstoff gefährlicher für das Herz sei – Feinstaub oder Stickoxid -, nennen die Forscher eindeutig den Feinstaub. Dieser besitze eine drastisch höhere gefäßschädigende Wirkung als Stickoxide. Dafür seien Stickoxide schädlicher für die Atemwege und würden häufiger zu Lungenerkrankungen führen.
Bei den eingangs erwähnten Diesel-Kontroversen geht es meist um kritische Stickoxid-Emissionen, während die Feinstaubbelastung des Verbrennungsmotors durch entsprechende Filter weitgehend ausgeschaltet werden kann. Dennoch ist Stickoxid nicht “feinstaub-neutral”. Es kann sich in der Luft mit anderen Teilchen zu Feinstaub verbinden und dann doch einen “Herz-Effekt” auslösen.