
Obwohl Frauen in der Humanmedizin seit Jahren die Mehrheit der Absolventinnen stellen – allein 2023 waren es 62,6 Prozent –, spiegelt sich dieser Wandel kaum in den Spitzenpositionen wider. Besonders an Universitätskliniken zeigt sich eine deutliche Schieflage: Nur rund 13 Prozent der Chefarztposten sind mit Frauen besetzt. Diskriminierung im ärztlichen Beruf ist für viele Medizinerinnen bittere Realität. Eine Diskriminierungsstudie beleuchtet das Ausmaß und die Formen dieser Benachteiligung und deckt auf, welche strukturellen Hürden Ärztinnen den Aufstieg erschweren – mit teils dramatischen Folgen für ihre Karrieren und die Gesundheitsversorgung insgesamt.
Diskriminierungsstudie: 5 Hauptkategorien
Universitätskliniken betonen oft Fortschritt und Gleichberechtigung, doch Ärztinnen und Medizinstudentinnen erleben häufig das Gegenteil. Eine Forschungsgruppe untersuchte die genderbasierte Diskriminierung (GBD) von Medizinerinnen. Eine anonyme Online-Umfrage erfasste persönliche Diskriminierungserfahrungen. Die Fragen bezogen sich nicht nur auf sexuelle Belästigung, sondern auch auf strukturelle Nachteile, geschlechtsspezifische Vorurteile und fehlende Aufstiegschancen. Forschende der Georg-August-Universität Göttingen werteten sowohl quantitative Daten als auch detaillierte Berichte der Betroffenen aus, um das gesamte Ausmaß der Problematik zu verdeutlichen.
Die Ergebnisse der Studie sind alarmierend: Drei Viertel der befragten Frauen berichteten von geschlechtsbezogener Diskriminierung. Diese manifestiert sich auf unterschiedliche Weise, die in fünf Hauptkategorien eingeteilt wurden:
- Sexuelle Belästigung: Verbale und körperliche Übergriffe sind für viele Medizinerinnen Alltag. Mehr als jede dritte Ärztin (37 Prozent) und fast ein Drittel der Studentinnen (32 Prozent) haben sexuelle Belästigung erlebt. Diese reicht von unangemessenen Kommentaren bis hin zu körperlichen Übergriffen.
- Diskriminierung aufgrund von Mutterschaft: Frauen mit Kindern oder Frauen, denen eine zukünftige Mutterschaft unterstellt wird, werden systematisch benachteiligt. 28,5 Prozent der Ärztinnen berichteten, dass sie aufgrund dessen Karrieremöglichkeiten verwehrt bekamen.
- Bevorzugung männlicher Kollegen: Männer erhalten systematisch mehr Förderung, Unterstützung und bessere Karrierechancen. Auch wenn Ärztinnen fachlich genauso kompetent sind, werden ihnen Leitungspositionen oft dennoch vorenthalten.
- Vernachlässigung von Frauen: Frauen werden in klinischen Entscheidungsprozessen häufiger übergangen und haben dadurch weniger Zugang zu Netzwerken und Ressourcen.
- Herabwürdigender Umgang: Respektlosigkeit und abwertende Bemerkungen sind für viele Ärztinnen und Studentinnen alltäglich. Von Sätzen wie „Chirurgie ist doch nichts für Frauen“ bis hin zu demonstrativer Missachtung im Klinikbetrieb. Viele Frauen berichten, dass sie sich permanent beweisen müssen, um als gleichwertig anerkannt zu werden.
Diskriminierungsstudie: Ursachen und Folgen
Die tief verwurzelte Ungleichbehandlung entsteht durch viele Faktoren, die sich gegenseitig verstärken: Gesellschaftliche Rollenbilder prägen die Medizin weiterhin stark. Das Bild des „männlichen Oberarztes“ und der „fügsamen Assistenzärztin“ hält sich hartnäckig. Frauen erbringen dieselbe Leistung, doch sie müssen deutlich mehr kämpfen, um die gleiche Anerkennung zu bekommen.
Strukturelle Probleme erschweren den beruflichen Aufstieg dabei zusätzlich. Denn viele Krankenhausstrukturen orientieren sich nicht an den Bedürfnissen von Frauen. Unregelmäßige Arbeitszeiten, fehlende Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen und ein männerdominierter Führungsstil machen Karrieren für Ärztinnen komplizierter. Zudem verschärfen fehlende Schutzmechanismen die Situation erheblich. Beschwerden über Diskriminierung stoßen auf Ignoranz oder werden leider oft nicht ernst genommen. Betroffene Ärztinnen stehen vor einer schwierigen Entscheidung: Kämpfen sie, riskieren sie Nachteile – schweigen sie, bleibt alles beim Alten.
Die Folgen belasten Ärztinnen massiv. Viele erleben extremen Stress, leiden unter psychischem Druck und entwickeln ein hohes Burnout-Risiko. Nicht wenige verabschieden sich von ihren ursprünglichen Karriereplänen, wechseln in weniger anspruchsvolle Positionen oder kehren der Klinikarbeit ganz den Rücken. Diese Diskriminierung bleibt nicht folgenlos: Das Gesundheitswesen verliert hochqualifizierte Frauen, weil ihnen systematisch Hürden in den Weg gelegt werden – und das in Zeiten akuten Fachkräftemangels.
Emotionale Belastung – Stimmen der Betroffenen
Die Berichte der betroffenen Frauen erschüttern zutiefst. Eine Ärztin schilderte eindringlich, dass sie nach ihrer Schwangerschaft keine einzige Weiterbildung mehr erhielt, während männliche Kollegen, die Väter wurden, ohne Schwierigkeiten befördert wurden. Eine andere Medizinstudentin berichtete frustriert, dass ein Professor sie während einer OP als „Püppchen“ bezeichnete und ihr keine Möglichkeit gab, sich zu beweisen.
Besonders tragisch wirken Situationen, in denen Frauen durch anhaltende Diskriminierung den Beruf verlassen oder psychisch stark leiden. Eine Ärztin erzählte offen, dass sie jahrelang gegen Vorurteile kämpfte, bevor sie sich resigniert für die Forschung entschied. Nicht aus Begeisterung, sondern weil sie keine Zukunft in der Klinik sah.
Maßnahmen gegen die Diskriminierung von Ärztinnen
Die Studie macht deutlich: Es braucht gezielte Maßnahmen, um die Diskriminierung von Ärztinnen zu beenden. Die Forschenden schlagen folgende Lösungsansätze vor:
- Frauenquoten in Führungspositionen: Eine gerechtere Verteilung von Leitungspositionen kann helfen, das Machtgefälle zu verringern und strukturelle Benachteiligung abzubauen.
- Aufklärung und Schulungen: Programme zur Sensibilisierung für genderbasierte Diskriminierung sind essenziell, um unbewusste Vorurteile abzubauen.
- Strukturelle Reformen: Familienfreundlichere Arbeitszeiten, transparente Beförderungskriterien und die konsequente Ahndung von Diskriminierung sind wichtige Schritte, um ein gerechteres Arbeitsumfeld zu schaffen.
Fazit der Diskriminierungsstudie
Die Ergebnisse der Studie sind ein Weckruf. Die Diskriminierung von Ärztinnen ist kein individuelles Problem, sondern eine systemische Ungerechtigkeit, die das gesamte Gesundheitswesen betrifft. Ohne gezielte Maßnahmen wird sich daran nichts ändern. Es liegt dabei an Klinikleitungen, Universitäten und der Politik, aktiv gegen diese Ungleichbehandlung vorzugehen und eine faire, diskriminierungsfreie Arbeitswelt für alle Medizinerinnen zu schaffen.