
Ketamin ist ein schnell wirksames Kurznarkose- und Schmerzmittel, findet aber auch als Antidepressivum Anwendung. Meist wird es in der Notfallmedizin intramuskulär oder intravenös zur Narkoseeinleitung oder zur Aufrechterhaltung der Narkose gegeben. Es kann aber beispielsweise auch oral, subkutan oder rektal verabreicht werden. Das S-Enantiomer (das strukturelle Spiegelbild von Ketamin), Esketamin (oder S-Ketamin), hat eine verstärkte schmerzlindernde Wirkung und ist als Nasenspray zugelassen. Ketamin kann auch bei therapieresistenten depressiven Episoden Anwendung finden, wobei die antidepressive Wirkung schon nach wenigen Stunden einsetzt, was eine Therapie auch bei akuten Schüben möglich macht.
Nebenwirkungen, wie die Steigerung des Blutdrucks und der Herzfrequenz, können ebenfalls Anwendung in der Therapie finden. Mehr zur Wirkungsweise und Anwendung, aber auch Kontraindikationen und Missbrauch von Ketamin behandelt der folgende Artikel.
Inhaltsverzeichnis
Wirkung von Ketamin
NMDA-Rezeptoren sind im Zentralnervensystem ansässig und führen bei Aktivierung zu der sogenannten Langzeitpotenzierung, die im Zusammenhang mit Schmerzsensibilisierung steht. Ketamin ist ein nicht-kompetitiver Antagonist dieser Rezeptoren. Darüber hinaus wirkt das Medikament agonistisch – also förderlich – auf das Opioid-System, das der intrinsischen Schmerzhemmung dient. Die folgende Grafik veranschaulicht diese Wirkung. eine genauere Erläuterung findet sich in unserem Artikel Morphium – Wirkung, Einsatz, Risiken.
In kleinen Dosen führt Ketamin nach neueren Erkenntnissen zu erhöhter Ausschüttung von Glutamat. Dies erhöht die Expression von AMPA-Rezeptoren. Sekundär wird die Ausschüttung des brain-derived neurotrophic factor (BDNF) erhöht, ein Protein, dessen Ungleichgewicht unter anderem im Zusammenhang mit Depression steht. Die Erhöhung führt zu einem antidepressiven Effekt, der sich durch einen schnellen Eintritt innerhalb weniger Stunden auszeichnet.
Der kreislaufaktivierende Wirkmechanismus von Ketamin kommt darüber hinaus von der Wiederaufnahmehemmung von Katecholaminen an der neurosynaptischen Endplatte. Hierzu gehören etwa Adrenalin und Noradrenalin, die bei der Weiterleitung zwischen Nervenzellen in der Peripherie im synaptischen Spalt verbleiben und deren sympathikotoner Effekt dadurch verstärkt wird.
Folgen sind beispielsweise die Steigerung des Blutdrucks und der Herzfrequenz, aber auch die Bronchodilatation, was Ketamin (speziell das R-Enantiomer) zu einem zuverlässigen Mittel gegen einen Status asthmaticus macht.
Sonderstellung von Ketamin
Ketamin hat eine Sonderstellung als einziges Injektionsnarkotikum, das gleichzeitig eine analgetische (schmerzhemmende) Wirkung hat.
Anders als die meisten anderen Narkotika hat Ketamin keine relaxierende Wirkung. Im Gegenteil: Der sympathikomimetischen Effekt steigert das Medikament den Muskeltonus sogar.
Ketamin – Anwendung
Neben dem Einsatz als Narkosemittel findet der Wirkstoff Ketamin bei den unterschiedlichsten Erkrankungen Anwendung. Zu den allgemeinen Indikationen des Medikaments gehören:
- Narkoseeinleitung und Aufrechterhaltung der Narkose besonders bei Patienten/-innen im Schockzustand, da die Erhöhung des Sympathikotonus kreislaufstabilisierend wirkt
- Kurznarkotisierung für diagnostische und kleine therapeutische Eingriffe
- Notfallanästhetikum und Notfallanalgetikum bei Polytrauma
- Sedierung intubierter Patienten/-innen
- Behandlung von Asthma (in hoher Dosierung)
- Adjuvans zur Verstärkung von nicht ausreichend wirkender Regionalanästhesie
- Analgosedierung in der Notfall- und Intensivmedizin, aber auch zur Behandlung chronischer Schmerzen
- Antidepressivum bei therapieresistenten mittelschweren bis schweren Depressionsepisoden
- Neuroprotektion bei Schädigung des Nervensystems, beispielsweise bei Schlaganfall
- Verlangsamung der Gen-Transkription des Tollwut-Virus (experimentelle Indikation)
Ketamin in der Notfallmedizin
In der Notfallmedizin – gerade bei Patienten/-innen mit Kreislaufzusammenbruch und Traumen – haben Ketamine gleich mehrere Vorteile: Die Erhöhung des Blutdrucks hat einen kreislaufstabilisierenden Effekt und dank der Bronchodilatation ist eine Sedierung ohne Intubation möglich. Darüber hinaus ist eine Injektion von Ketamin auch intramuskulär möglich, sollte man keinen venösen Zugang legen können.
Ketamin – Nebenwirkungen
Die Nebenwirkungen von Ketaminen sind vielfältig. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen treten bei zehn bis dreißig Prozent der Patienten/-innen auf. Hierbei handelt es sich um deliriumartige Psychosen, die zehn bis dreißig Prozent der Patienten/-innen erleben. Sie treten im Zusammenhang mit dem narkoseähnlichen, traumartigen Zustand auf, der nach Injektion von Ketamin für etwa zehn bis fünfzehn Minuten auftritt. Hierbei kommen Halluzinationen, Illusionen, Wahnvorstellungen und lebhafte Albträume vor, die durch Prämedikation von Benzodiazepinen abgeschwächt werden können.
Der Anstieg des Blutdrucks kann gewollt sein, gehört aber ebenfalls zu den Nebenwirkungen. Sekundär können Übelkeit bis zum Erbrechen, Schwindel und erhöhte zerebrale Durchblutung auftreten. Auch erhöhter Speichelfluss (Hypersalivation) kann auftreten.
Ketamin – Kontraindikationen
Ketamin hat einige Kontraindikation und sollte nie ohne Absprache mit einem/-r Arzt/Ärztin verabreicht werden. Trotz seinen starken Nebenwirkungen fällt es nicht unter das Betäubungsmittel-(BtM)-Gesetz, ist aber verschreibungspflichtig.
Absolute Kontraindikation
Personen mit folgenden Symptomen oder Erkrankungen sollten kein Ketamin zu sich nehmen:
- Überempfindlichkeit oder Allergie gegen Ketamin, Esketamin oder sonstige Medikamentbestandteile
- Schlecht eingestellte arterielle Hypertonie
- Präeklampsie (Hypertonie in der Schwangerschaft) oder Eklampsie (tonisch-klonische Anfälle in der Schwangerschaft, häufig im Zusammenhang mit Präeklampsie)
- Drohende Uterusruptur (entsteht meist unter Wehen)
- Nabelschnurvorfall, also eine abgedruckte Nabelschnur während des Geburtsvorgangs
- Unbehandelte oder schlecht eingestellte Schilddrüsenüberfunktion (Hyperthyreose)
- Manifeste ischämische Erkrankung des Herzens
Relative Kontraindikationen
Bei den folgenden Erkrankungen und Symptomen darf Ketamin nur nach ausgiebiger Risiko-Nutzen-Abschätzung gegeben werden:
- Instabile Angina pectoris
- Zustand nach Myokardinfarkt, der sechs Monate oder weniger zurückliegt
- Herzinsuffizienz
- Schwere psychische Störungen
- Erhöhter Augeninnendruck oder perforierte Augenverletzungen
- Eingriffe an den oberen Atemwegen
- Epilepsie
- Akuter oder chronischer Konsum von Alkohol
Zuvor galt Ketamin darüber hinaus als Risikofaktor für einen Anstieg des intrakraniellen Drucks, dieser Zusammenhang gilt jedoch als widerlegt, weswegen Zustände, bei denen der Anstieg des Drucks unbedingt vermieden werden muss, nicht mehr als Kontraindikation gelten.
Ketamin in der Schwangerschaft
Das 1. Schwangerschaftstrimenom ist eine absolute Kontraindikation für Ketamin. Das Medikament ist plazentagängig und steht im Verdacht, embryotoxisch zu wirken. Auch im 2. und 3. Trimenom ist eine Anwendung nur nach ausgiebiger Risiko-Nutzen-Überlegung angebracht: Im Falle eines Kaiserschnitts kann es zu Atemdepression beim Neugeborenen führen.
Auch die Entwicklung des Gehirns könnte durch Ketamin beeinflusst werden. Stillende Mütter haben ebenfalls eine Kontraindikation gegen das Medikament. Wird die therapeutische Menge jedoch nicht überschritten, ist eine Wirkung der über die Muttermilch auf das Kind übertragenen Menge unwahrscheinlich.
Zweifelhafte Berühmtheit als Partydroge
Die ungewollten Nebenwirkungen in der Abklingphase von Ketamin – Halluzinationen, Illusionen und Gefühl der “Ich-Auflösung” – haben in der Drogenszene zweifelhaften Anklang gefunden. Auf sogenannten „Flatliner-Parties“ wird das als Keta, Special-K, Vitamin K oder Kate bezeichnete Ketamin eingenommen und soll Nahtod-ähnliche Erfahrungen hervorrufen. Zu dem Zustand, auf den Konsumenten/-innen abzielen, gehören Symptome wie die Loslösung vom eigenen Körper, das Gehen durch einen Tunnel, die Wahrnehmung einer Lichtquelle oder das Empfinden eines tiefen Friedens.
Die Nebenwirkungen des Medikaments – gerade beim Konsum in Dosen, die über die therapeutische Breite hinaus gehen – sind jedoch nicht zu unterschätzen: Ketamin-Intoxikationen können, neben Panikattacken, Aspiration, eine Übersäuerung des Blutes (metabolische Azidose), eine ausgeprägte Schädigung der Muskelfasern (Rhabdomyolyse), Epilepsie und einen Herz-Kreislauf-Stillstand auslösen. Alle diese Intoxikations-Symptome können im außerklinischen Umfeld zum Tod führen.
Medikamente
- Silbernagl et al., Physiologie, Thieme (Verlag), 9 Auflage, 2019
- Graefe et al., Duale Reihe Pharmakologie und Toxikologie, Thieme (Verlag) 2. Auflage, 2016
- Falkai et al., Duale Reihe Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Thieme (Verlag), 7. Auflage, 2021
- Zacharowski et al., Checkliste Anästhesie, Thieme (Verlag), 1. Auflage, 2021
- Bellmann et al., “Vergiftung mit psychotropen Substanzen” aus Medizinische Klinik – Intensiv- und Notfallmedizin, Springer (Verlag), 112. Ausgabe, 2017
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