Deutschland hatte noch nie so viele Ärzte, wie zurzeit. Doch auf dem Land sieht das anders aus. Während sich in Städten immer mehr Ärzte niederlassen und in vielen Regionen seit Jahren bereits ein Überangebot vor allem an Hausärzten besteht, scheint der Landarzt zunehmend unattraktiver zu werden. Ein Vorfall zweier Landärzte betreffend, könnte nun das Interesse an einer Praxis in ländlichen Gebieten weiter sinken lassen. Leidtragende sind dortige Bewohner.
Hausbesuche – auf dem Land Alltag
Kleine Dörfer, eine idyllische Umgebung, weit weg vom städtischen Trubel und jeder kennt jeden. Viele Deutsche zieht es auf das Land. Viele haben dort bereits seit der Kindheit ihr Leben verbracht. So viele Vorteile ein Wohnen auf dem Land mit sich bringt, so viele Nachteile zeigen sich auch. Lange Wege zum nächsten Arzt sind nicht selten. Oft fährt nur gelegentlich ein Bus. Der nächste Bahnhof ist kilometerweit entfernt. Taxipreise sind in der heutigen Zeit für viele unerschwinglich. Aber was, wenn der Ehepartner mit dem Auto zur Arbeit in der Stadt ist und das Kind plötzlich hohes Fieber bekommt? Was, wenn schon wieder ein Landarzt seine Praxis schließt und ein Hausarztwechsel in das nächste Dorf nötig ist? Was, wenn die Oma zu Fuß oder dem Rad den Weg zur Arztpraxis des einzig ansässigen Landarztes nicht (mehr) schafft und Angehörige zu weit weg wohnen?
Zusätzlich zu gefüllten Wartezimmern und dem Praxisalltag, zählen auf dem Land fast tägliche Hausbesuche zu den Aufgaben eines Arztes dazu. In manchen Fällen sind fünf Hausbesuche pro Tag keine Seltenheit. Die medizinischen Gründe erstrecken sich von Unfällen vor allem in landwirtschaftlichen Betrieben, über fiebrige Erkältungen bis hin zu Herzproblemen wie zum Beispiel Herzinfarkt.
Ohne den Landarzt müsste der medizinische Notfalldienst aus der nächstgelegenen Stadt anrücken, wenn die alleinstehende ältere Dame in ihrer Wohnung gestürzt ist und nicht mehr auftreten kann. Hier kann der Landarzt die Situation einschätzen und bei Notwendigkeit einen Transport in ein Krankenhaus veranlassen oder eben die medizinische Versorgung selbst Vorort übernehmen. In Hinsicht auf die Kosten ist der Hausbesuch meist die weitaus günstigere Variante und bietet vielfach die schnellere Hilfe in einem Notfall, denn die Ambulanz muss sich in der Regel erst durch den Stadtverkehr schlängeln.
Krankenkassen fordern Landärzte zu Honorarrückzahlung auf
Auf dem Land gehören Hausbesuche vermehrt zum Alltag als Arzt, mehr als in der Stadt. Doch wer zu viele Hausbesuche macht, von dem fordern die Krankenkassen Geld zurück. Von einer unabhängigen Prüfstelle würde ein Mittelwert ermittelt, der festlegt, wie oft ein Arzt im Durchschnitt Hausbesuche mache, so die Kassen. Liege eine Arztpraxis weit über dem ermittelten Durchschnitt, müssen Honorare zurückgezahlt werden. Die Hausärzte Marei Schöller und Nils Wagner-Praus einer Gemeinschaftspraxis aus dem Schwalm-Eder-Kreis durften dies nun selbst erfahren, nachdem schon andere Landärzte diese Erfahrungen machen mussten.
Als Leitfaden für die Anzahl von Hausbesuchen gilt der Durchschnitt der gesamten Region. Hier lagen die Hausärzte über den Zahlen und wurden nun mit der Rückzahlung von Honoraren belegt. Trotz Beschwerdeverfahren, indem 95 Prozent der Hausbesuche als medizinische Notwendigkeit aufgeführt wurden, entschied das Beschwerdeausschuss die Notwendigkeit strenger.
Die Folge: die beiden Hausärzte müssen Honorare im höheren fünfstelligen Bereich zurückerstatten. Dass auf dem Land der oftmals lange Weg zur Arztpraxis schon bei einer fiebrigen Erkältung für viele Patienten eine Zumutung bedeutet, blieb dabei unberücksichtigt.
Das Unverständnis der beiden Ärzte bleibt bestehen, ebenso wie ihre Hausbesuche, von denen sie einen Teil vermutlich auch in Zukunft ohne Honorar machen werden. Bleibt ihnen nur die Frage, wie die beiden Mittfünfziger jemals einen Nachfolger finden sollen, wenn sich die Situation für Landärzte und betroffene Menschen auf dem Land nicht endlich ändert und attraktiver für die nächste Ärzte-Generation gestaltet wird.
Arztniederlassungen auf dem Land kontinuierlich rückläufig
Seit Jahren nimmt die medizinische Versorgung in ländlichen Regionen ab. Ärzte zieht es in die Städte, wo sie sich zentral und gut erreichbar, niederlassen. Dies hat mittlerweile dazu geführt, dass in zahlreichen Städten doppelt so viele Hausärzte praktizieren, als vorgesehen war. Dafür verringert sich die Zahl der Landärzte drastisch. Kaum ein Medizinstudent beziehungsweise Nachwuchsarzt interessiert sich für eine Niederlassung als Arzt auf dem Lande.
Die Bundesregierung bereitet diese Entwicklung bereits seit 2007 Kopfzerbrechen. Bisher erfolgten bis heute drei Versuche, die Verteilung von Hausärzten optimaler zu gestalten, damit auch die Menschen auf dem Land von dem deutlich ansteigenden Arztnachwuchs profitieren können – mit dem Ergebnis, dass sich die Situation weiter verschlechtert.
Während beispielsweise in Westerland auf Sylt auf einen Hausarzt rund 800 Patienten fallen, kommt im niedersächsischen Munster auf knapp 3.000 Patienten ein Hausarzt. Das höchste Gremium des Bundesausschusses für Gesundheitswesen hat sich die Ärzte-Gesamtzahl von Allgemeinmedizinern und Internisten genauer angesehen. Darauf haben sie eine Richtlinie erlassen, die pro Hausarzt durchschnittlich maximal 1.671 Patienten vorsieht. Abänderungen sind durch alle 17 Kassenärztlichen Vereinigungen dann möglich, wenn sich in einem Gebiet zum Beispiel überdurchschnittlich viele chronisch Erkrankte befinden. So die Theorie. Das dies in der Praxis nicht umgesetzt wird, zeigt der Mangel an Landärzten und die Mengen an Hausärzten in stadtnahen sowie städtischen Gebieten.
Medizinische Unterversorgung in Deutschland
Von einer Unterversorgung im medizinischen Bereich spricht der Bundesausschuss für Gesundheitswesen dann, wenn die Anzahl ansässiger Hausärzte in einem Gebiet ihre Richtlinie um 75 Prozent unterschreitet. Demnach gäbe es elf von 894 Gebieten, die unter eine Unterversorgung durch Hausärzte fallen. Dazu zählt neben Munster unter anderem auch das bayrische Umland von Ansbach sowie in Mecklenburg-Vorpommern die kleine Stadt Grimmen.
Die Kassen sehen hier allerdings einen deutlich höheren Bedarf an notwendiger medizinischer Versorgung. Sie sind gleicher Meinung wie die Sachverständigen, die sich seit 2014 mit der Entwicklung des Gesundheitswesens beschäftigen. Diese Ergebnisse besagen, dass bereits bei einer Richtlinien-Abweichung von 10 Prozent eine Unterversorgung vorliegt. Damit könnte die Zahl des Bundesausschusses auf 89 Regionen in Deutschland erhöht werden. Bei den meisten Regionen handelt es sich um ländliche Gebiete.
Honorarrückzahlungen machen den Landarzt-Beruf nicht attraktiver
Die Bundesregierung konnte bis heute keine Lösung für die schlechte Hausarztverteilung liefern. In der Folge bleiben Einwohner in Landregionen auch weiterhin von der deutschen Entwicklung im Medizinbereich ausgeschlossen. Auch die Zukunft lässt nicht auf bessere Zeiten hoffen, wenn Nachwuchsärzte erfahren, dass nun Landärzte sogar für zu viele Hausbesuche abgestraft werden.