
Zeitwertkonten und flexible Arbeitszeiten sind eine gute Möglichkeit für Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen, auf einem hart umkämpften Fachkräftemarkt attraktiv zu werden oder zu bleiben. Kliniken, die ihren Mitarbeitenden gegenüber auf diese Art und Weise ein höheres Maß an Wertschätzung entgegenbringen, haben es deutlich leichter, unbesetzte Stellen zu füllen und Arbeitskräfte dauerhaft zu halten.
Kliniken benötigen heute generell mehr denn je intelligente Steuerungstools und sollten ihren Fokus auf alle verfügbaren Mittel richten, die vorhandene Fachkräfte erfolgreich binden und neue anlocken. Die Zeitsouveränität, die Zeitwertkonten mit sich bringen, sind hierbei ein entscheidender Zugewinn, den Mitarbeitende direkt wahrnehmen können. Und das Beste: Alle Beschäftigten in einer Klinik können Zeitwertkonten nutzen, egal ob Reinigungskraft, Kantinenmitarbeiter/in, Pflegekraft oder Arzt/Ärztin.
Was Zeitwertkonten genau sind, wie sie funktionieren, welche Vorteile sie zu bieten haben, welche juristischen Vorgaben es zu beachten gibt und mit welchem Verwaltungsaufwand für Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen sie einhergehen, gibt es hier kompakt aufbereitet.
Zeitwertkonten – Definition
Zeitwertkonten sind Konten, die nicht eine Bank, sondern die Lohnbuchhaltung des/-r Arbeitgeber/in führt. Auf ihnen wird ein sog. Wertguthaben (s.u.) angespart, das aus Arbeitsentgelt und darauf entfallenden Arbeitgeberanteilen am Gesamtsozialversicherungsbeitrag besteht. Diese angesparten Arbeitsentgelte kann man dann entweder für eine spätere längere Freistellung (z.B. Sabbatical) oder längere Urlaube (z.B. für Weltreisen) verwenden. Nur 20 Prozent aller Unternehmen in Deutschland nutzen derzeit dieses Instrument, das Arbeitnehmern/-innen ein hohes Maß an Flexibilität bietet und gerade für Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen einen Lockfaktor auf dem hart umkämpften Fachkräftemarkt darstellen kann.
Zeitwertkonten – Wertguthaben
Das Wertguthaben wird auf den Zeitwertkonten vom/von der Arbeitnehmer/in angespart und umfasst dessen/deren eingebrachte Arbeitsentgelte sowie die darauf entfallenden Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Die Arbeitsentgelte werden durch eine explizite schriftliche Verzichtserklärung des/-r Arbeitnehmers/-in auf sofortige Auszahlung in das Wertguthaben eingebracht.
Zeitwertkonten – Was kann eingebracht werden?
Wie in § 14 SGB IV gesetzlich geregelt, wird in das Zeitwertkonto als Wertguthaben Arbeitsentgelt vom/von der Arbeitnehmer/in sowie die auf das eingebrachte Arbeitsentgelt entfallenden Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag eingebracht. Meist sind dies die Gegenwerte von Arbeitszeit (z.B. in Form von Mehrarbeit, also Überstunden) oder nur einzelne Entgeltbestandteile (z.B. laufendes Arbeitsentgelt, ggf. auch anteilig, oder bestimmte Sonderzahlungen wie z.B. Schichtzulagen für Wochenend-, Feiertags- oder Nachtschichten). Dies sind die gesetzlichen Regelungen, die aber durch individuelle arbeitsrechtliche Vereinbarungen (sprich: Inhalte im Arbeitsvertrag) u.U. geändert werden können.
Zeitwertkonten – Step-by-Step
So funktionieren Zeitwertkonten im Einzelnen:
- Arbeitnehmende zahlen freiwillig Überstunden oder Bonuszahlungen auf ein Zeitwertkonto ein.
- Arbeitnehmende können mit diesem angesparten Wertguthaben zu einem später von ihnen gewählten Zeitpunkt eine berufliche Auszeit nehmen.
- Gehalt und Sozialversicherungsleistungen werden vom/von der Arbeitgeber/in in dieser Zeit vom Zeitwertkonto abgezogen.
- Alternativ kann die Gesamtersparnis des Zeitwertkontos dazu genutzt wird, früher in den Ruhestand zu gehen.
Zeitwertkonten – Für wen?
Laut § 1 LStDV kann grundsätzlich für jede/n Arbeitnehmer/in in einem regulären Arbeitsverhältnis ein Zeitwertkonto eingerichtet werden. Grundsätzlich hat also jede/r im Krankenhaus die Möglichkeit, ein solches Zeitwertkonto zu führen, egal ob er/sie in der Verwaltung, auf Station, im Labor oder im Hausmeisterdienst arbeitet. Auch der Zeitumfang der Arbeit ist unerheblich, also können auch Teilzeitangestellte oder Personen mit Minijobs von einem Zeitwertkonto profitieren.
Zeitwertkonten – Warum?
Aktuell sind laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung deutschlandweit rund zwei Millionen Stellen unbesetzt. Diese Zahlen beziehen sich jedoch auf alle Branchen innerhalb Deutschlands, nicht nur auf die Medizin- und Pflegebranche. Zeitwertkonten lohnen sich daher nicht nur, aber vor allem für Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen aus vielfältigen Gründen.
Dies sind nur einige davon:
- Viele Babyboomer (also Angehörige der Jahrgänge 1959 bis 1965) werden laut einer Umfrage der Bergischen Universität Wuppertal nicht erst mit 67 Jahren in den Ruhestand gehen, sondern mit 60 oder spätestens mit 63 Jahren. Zieht man in Betracht, dass sich das aktuelle Durchschnittsalter der deutschen Ärzte/-innen derzeit bei 53 Jahren befindet, sollte das für Kliniken ein Weckruf sein, innerhalb der kommenden zehn – besser fünf – Jahre dringend Nachfolger/innen zu finden.
- Die Kündigungsbereitschaft von Pflegekräften, Therapeuten/-innen und Ärzten/-innen steigt immer mehr. Das Meinungsinstitut Forsa ermittelte im Auftrag von Xing E-Recruiting, dass v.a. Berufstätige im Alter zwischen 31 und 39 Jahren in Deutschland, Österreich und der Schweiz derzeit vermehrt über einen Jobwechsel nachdenken. Von 2.523 Befragten geht derzeit sogar jede/r Vierte aus Frust über unzufriedenstellende Bedingungen am Arbeitsplatz, ohne direkt einen neuen Job in der Hinterhand zu haben.
- Die Coronakrise hat die Wechselbereitschaft aller Beschäftigten in der Pflege deutlich erhöht. Seit Beginn der Coronapandemie vor gut zwei Jahren hat jede/r Zehnte in diesem Bereich seinen/ihren Job gewechselt. 31 Prozent der Männer und 22 Prozent der Frauen nannten die mit Corona verbundenen Auflagen ihres/-r Arbeitgebers/-in bzw. die Art und Weise, wie Impfpflicht, Homeoffice, Krankmeldung, Überstunden, Doppelschichten, Krankheitsvertretung etc. dort gehandhabt wurden.
- Nach einer Randstad-Studie, in der 4.000 Arbeitnehmende im Alter zwischen 18 und 64 Jahren befragt wurden, nannten 42 Prozent aller Befragten ein besseres Gehaltsangebot einer konkurrierenden Klinik bzw. Pflegeeinrichtung als Wechselmagnet. Das attraktivere Gehalt und bessere Sozialleistungen sei demnach für sie der Hauptgrund für einen Arbeitgeberwechsel gewesen. Sogar 61 Prozent aller Befragten nannten bessere Karrieremöglichkeiten als Hauptgrund für ihren Arbeitgeberwechsel.
- Forsa-Spezialisten/-innen nennen hingegen den Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance als Grund für ihren Arbeitgeberwechsel: 28 Prozent benannten eine unzureichende Work-Life-Balance und 27 Prozent eine unbefriedigende Führung bei ihrem/-r aktuellen Arbeitgebenden als Wechselgrund. Finanzielle Motive hatten nach dieser Umfrage nur 19 Prozent der Arbeitnehmer/innen.
- Ein wichtiges Stichwort neben der Work-Life-Balance ist auch eine andere Form von Vereinbarkeit, nämlich die von Arbeit und Familie, Auszeiten, Weiterbildung und einem gleitenden Übergang in das Rentenalter. Man könnte es auch eine vielschichtige oder differenzierte Work-Life-Balance nennen.
Das Fazit aus all diesen Fakten ist, dass in Zeiten von Fachkräftemangel Arbeitnehmende viel kritischer auf sog. Soft Skills bei ihren Arbeitgebern/-innen achten. Eine Patentlösung für all diese Probleme gibt es nicht, aber ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu mehr Zufriedenheit am Arbeitsplatz und vor allem eine Erfüllung des Wunsches nach Flexibilität bei Arbeitszeiten und Renteneintritt sind für Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen aber eindeutig Zeitwertkonten.
Zeitwertkonten – Vorteile
Es gibt zahlreiche Vorteile von Zeitwertkonten für Arbeitnehmer/innen im Krankenhaus und Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen gleichermaßen. Einige davon sind z.B.:
- Flexible Gestaltung der Lebensplanung (z.B. für Elternzeit, Pflegezeit, Weiterbildung, Sabbatical, Urlaub etc.)
- Steigerung der Unternehmensbindung der Arbeitnehmer/innen
- Erhöhte Arbeitnehmerzufriedenheit
- Erhöhte Motivation der Ärzte/-innen, Therapeuten/-innen und Pflegekräfte
- Erhöhte Attraktivität des Krankenhauses auf dem hart umkämpften medizinischen Fachkräftemarkt
- Steigerung des Rufes des Krankenhauses als gute Arbeitgebermarke, weil die Klinik praktikable und zeitgemäße Antworten auf die Vereinbarkeitswünsche der Beschäftigten anzubieten hat
- Beitrag zu einer generell verbesserten Unternehmenskultur
- Senkung von Fluktuationskosten und allen damit verbunden Mehraufwänden durch Anwerbung und Einarbeitung neuer Mitarbeitender
- Präventionsmaßnahme zur Vermeidung von Krankheiten durch Arbeitsüberlastung (z.B. Burn-out, akutes Stressbelastungssyndrom)
- Besser planbare Steuerung der betrieblichen Altersstruktur durch betriebliche Vorruhestandslösungen
Zeitwertkonten – Verpflichtend für Arbeitgeber/innen?
Grundsätzlich gibt es keine Verpflichtung für Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen, den Mitarbeitenden Zeitwertkonten zur Verfügung zu stellen. Ebenso wenig müssen sie den Antrag zwingend genehmigen. In manchen Tarifverträgen finden sich aber im Hinblick auf Vorruhestandsmodelle erste Vereinbarungen zu Zeitwertkonten. So beispielsweise in der Metall- und Elektroindustrie. Im medizinischen Bereich sind diese Vereinbarungen noch nicht enthalten.
Zeitwertkonten und betriebliche Altersvorsorge bzw. Rente
Zeitwertkonten sind grundsätzlich kein Ersatz zur Altersvorsorge, weder von Arbeitnehmer- noch von Arbeitgeberseite aus. Der Gedanke sieht vor, mit Zeitwertkonten lediglich Freistellungsphasen während der Beschäftigung oder einen früheren Renteneintritt zu finanzieren, keine monatliche Zulage zur Rente. Wertguthaben können zwar ausdrücklich auch zur Finanzierung eines vorgezogenen Ruhestandes dienen, sofern dies Arbeitgeber/in und Arbeitnehmer/in so wünschen. Aber Zulagen nach einer Verrentung sind nicht gestattet.
Zeitwertkonten und Kündigung bzw. Aufhebungsvertrag
Im Gesundheitswesen sind personelle Fluktuationen nicht selten, weshalb auch Zeitwertkonten in dieser Hinsicht berücksichtigt werden sollten. Nach dem Beschäftigungsende hat der/die Arbeitnehmer/in die Möglichkeit, das Wertguthaben auf eine/n Folgearbeitgeber/in oder unter bestimmten individuellen Voraussetzungen auch auf die Deutsche Rentenversicherung zu übertragen. Dies muss jedoch innerhalb von sechs Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschehen, ansonsten wird das Wertguthaben als Störfall abgerechnet. Dies bedeutet, dass das Wertguthaben an den/die Arbeitnehmer/in mit dem letzten Gehalt (jedoch in einer begleitenden Sonderzahlung) direkt als Einmalzahlung ausbezahlt wird und damit ihren Zeitwert-Charakter verliert.
Zeitwertkonten – Verwaltungsaufwand
Der Verwaltungsaufwand zur Führung von Zeitwertkonten ist für Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen generell gering. Die direkte Umsetzung in der krankenhausinternen Lohnbuchhaltung ist unkompliziert und von geschultem Personal leicht zu bewerkstelligen. Auch bei eventuellem Outsourcing an ein externes Lohnbüro stellt der zusätzliche Verwaltungsaufwand für Zeitwertkonten nach der erstmaligen Einstellung praktisch kaum einen zeitlichen Mehraufwand dar. Berücksichtigt man bei der erstmaligen Einführung einmalig alle geltenden Gesetze, ist der hauptsächliche Verwaltungsaufwand damit ein für alle Mal abgehakt.