Darf eine Klinik in katholischer Trägerschaft einem Chefarzt kündigen, weil dieser nach seiner Scheidung wieder geheiratet hat? Diese Frage beschäftigte die Gerichte zehn Jahre lang. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschied im Februar 2019 schließlich zu Gunsten des klagenden Chefarztes. Das Urteil hat Auswirkungen auf die Sonderrechte, welche die Kirche als Arbeitgeber in Deutschland genießt.
Sonderrolle der Kirchen in Deutschland
Mit rund 1,4 Millionen Beschäftigten sind die christlichen Kirchen der zweitgrößte Arbeitgeber in Deutschland. Zu den kirchlichen Angestellten gehören nicht nur Pastoren und Priester, sondern auch Mitarbeiter in Kindergärten, Pflegeheimen und Krankenhäusern in kirchlicher Trägerschaft. Das Grundgesetz räumt den Kirchen einige Sonderrechte ein, über die kein anderer Arbeitgeber in Deutschland verfügt.
Als Religionsgemeinschaften kommt den Kirchen eine verfassungsrechtliche Sonderrolle zu, die ein weitgehendes Selbstbestimmungsrecht mit einschließt. Das Selbstverwaltungsrecht der Kirchen geht noch auf die Weimarer Reichsverfassung, Artikel 137, Absatz 3, zurück. Heute regelt das Grundgesetz, Artikel 140, die Sonderrechte der Kirchen. Beide Gesetze sehen vor, dass sich der Staat nicht in kirchliche Belange einmischen darf.
So dürfen die Kirchen zum Beispiel das arbeitsrechtliche Verhältnis zu ihren Angestellten frei regeln. Das bedeutet unter anderem:
- Sie dürfen Lohn und Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter frei festsetzen.
- Sie können von ihren Mitarbeitern eine bestimmte religiöse Überzeugung verlangen.
- Sie dürfen einen von kirchlichen Moralvorstellungen geprägten Lebenswandel voraussetzen und diesen zur Bedingung von Beförderungen, Vertragsverlängerungen und Verbeamtungen machen.
- Sie dürfen die Einstellung von Bewerbern von der Glaubenszugehörigkeit abhängig machen.
Gerichte schränken Sonderrechte der Kirchen ein
Bis 2012 durften Kirchen ihren Angestellten auch ein absolutes Streikverbot auferlegen. Das Bundesarbeitsgericht erklärte das im Kirchenrecht verankerte Streikverbot jedoch für ungültig (1 AZR 179/11, 1 AZR 611/11). Unter bestimmten Umständen dürfen nun auch Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen in den Arbeitsausstand treten.
Wie sieht es nun mit Kündigungen aus kirchenspezifischen Gründen aus? Die Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse sieht zum Beispiel vor, dass eine nach Verständnis der Kirche ungültige Eheschließung einen Loyalitätsverstoß darstellt und eine Kündigung rechtfertigt. Aus diesem Grund wurde der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses entlassen. Der Mediziner zog vor das Arbeitsgericht – und startete damit einen zehn Jahre dauernden Rechtsstreit.
Die Arbeitsgerichte gaben dem Chefarzt Recht, das Bundesverfassungsgericht entschied dagegen zunächst zugunsten der Kirchen. Eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes legte schließlich den Grundstein für das Urteil des Erfurter Bundesarbeitsgerichtes (Urteil vom 20.02.2019, Az.: 2 AZR 746/14). Demnach stellt der Loyalitätsverstoß keinen ausreichenden Grund für eine Kündigung dar. Eine gültige Ehe ist nach Ansicht des Gerichts keine gerechtfertigte berufliche Anforderung für einen leitenden Arzt. Die Kündigung stelle außerdem eine Ungleichbehandlung zwischen katholischen und anderen Mitarbeitern dar. Bei einem nicht-katholischen Chefarzt wäre die zweite Eheschließung nämlich kein Kündigungsgrund gewesen.
Die Entscheidung kann als Grundsatzurteil angesehen werden, welches den Einfluss der Kirchen aufs Privatleben ihrer Mitarbeiter einschränkt.
Dürfen kirchliche Arbeitgeber konfessionslose Bewerber ausschließen?
Bereits ein Jahr zuvor befasste das Bundesarbeitsgericht sich mit der Frage, ob Kirchen konfessionslose Bewerber vom Einstellungsverfahren ausschließen dürfen. Ein Werk der evangelischen Kirche Deutschland hatte in einer Stellenausschreibung für einen Referenten eine “Identifikation mit dem diakonischen Auftrag” vorausgesetzt und Bewerber gebeten, ihre Konfession im Lebenslauf anzugeben. Eine konfessionslose Frau bewarb sich auf die Stelle und wurde nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Sie klagte, da sie sich wegen ihrer Religion benachteiligt fühlte. Das Bundesarbeitsgericht gab ihr in letzter Instanz Recht.
Das Gericht sah einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz als gegeben an. Die Religionszugehörigkeit sei keine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung für die ausgeschriebene Stelle. Die Klägerin erhielt eine Entschädigungssumme in Höhe von zwei Bruttomonatsverdiensten zugesprochen.