Von einer „Revolution“ sprach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, als er im November 2022 seine Pläne zur Reform der Krankenhausfinanzierung vorstellte. Das System der Fallpauschalen soll künftig durch eine stärker am Versorgungsauftrag der Krankenhäuser orientierte Vergütung ergänzt bzw. ersetzt werden. Wie und wann die Reform konkret umgesetzt wird, ist allerdings derzeit noch völlig offen. Mehr als eine Absichtserklärung hat Lauterbach damals nicht vorgelegt. Die Beratungen mit den Gesundheitsministern der Länder, der bei der Reform ein gewichtiges Wort mitzureden haben, stehen ganz am Anfang. In der Zwischenzeit droht vielen Krankenhäusern finanziell die Luft auszugehen. Eine Welle von Klinikpleiten könnte die Folge sein.
Noch kurz vor dem Jahreswechsel hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft auf die schwierige wirtschaftliche Situation vieler Krankenhäuser aufmerksam gemacht. Sie bezog sich dabei auf eine Umfrage, die das Deutsche Krankenhausinstitut im Rahmen des sogenannten Krankenhaus-Barometers 2022 durchgeführt hat. In der Erhebung wurden mehr als 300 Krankenhäuser mit jeweils über 100 Betten zu verschiedenen gesundheits- und krankenhauspolitischen Themen befragt – unter anderem zur wirtschaftlichen Lage, zum Insolvenzrisiko und zur Investitionstätigkeit.
Nur jedes fünfte Haus schreibt schwarze Zahlen, Verschlechterung erwartet
Nur noch sechs Prozent der an der Befragung teilnehmenden Krankenhäuser bezeichneten ihre aktuelle wirtschaftliche Lage als gut. Lediglich jedes fünfte Krankenhaus geht für das Jahr 2022 von einem positiven Ergebnis aus. Im Umkehrschluss bedeutet das: vier von fünf Häusern erwarten rote Zahlen. Mehr als die Hälfte der befragten Häuser (56 Prozent) rechnet überdies damit, dass sich die wirtschaftliche Lage in diesem Jahr weiter verschlechtern wird, weil sich die Schere zwischen Kosten und Einnahmen noch stärker öffnet. Die Kosten stiegen doppelt so schnell wie die Preise für Krankenhausleistungen, so die Krankenhausgesellschaft. Die Folge sei ein strukturelles Defizit, das sich inzwischen auf rund 15 Mrd. Euro belaufe.
Die schwierige Finanzlage macht sich auch bei den Investitionen der Krankenhäuser bemerkbar. Es herrscht allenthalben Investitionsstau. Die Länder, die gesetzlich in der Pflicht seien, die Investitionen der Krankenhäuser zu finanzieren, kämen dieser Aufgabe bereits seit Jahrzehnten nur unzureichend nach, moniert die Krankenhausgesellschaft. Insgesamt beliefen sich die Investitionen der an der Befragung teilnehmenden Häuser im Jahr 2021 auf 6,8 Mrd. Euro. Davon stammten nur 47 Prozent aus öffentlichen Fördermitteln, der größere Rest musste von den Krankenhäusern selbst aufgebracht werden. Dies ist überwiegend durch Verschuldung erfolgt, weil die schmale Eigenkapitalbasis dafür nicht ausreichte. Im Zeitraum 2019 bis 2021 hat nur etwa jedes siebte Krankenhaus ausreichend Gewinne erzielen können, um daraus seine Investitionen zu finanzieren.
Brandbrief der Ärzteverbände an den Bundesgesundheitsminister
Diese Situation hinterlässt deutliche Spuren in den Krankenhausbilanzen. Wegen des Investitionsstaus sinkt der Bilanzwert von Gebäuden und technischer Ausstattung kontinuierlich, während die Verschuldung steigt. Die logische Konsequenz ist eine geringere Eigenkapitalquote. Die Eigenkapitalbasis der Häuser wird immer schmaler. Entsprechend steigt das Insolvenzrisiko. Ohne eine Trendumkehr sind Klinikpleiten in größerem Umfang zwangsläufig zu erwarten. Diese Entwicklung – untermauert durch die Zahlen der Krankenhausgesellschaft – war es, die Ärzteverbände jetzt zu einem Brandbrief an den Bundesgesundheitsminister motiviert haben.
In einem Schreiben, das der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ vorliegt, fordern der Marburger Bund und der Verband leitender Krankenhausärzte (VlK) schnelle Hilfe, um eine drohende Insolvenzwelle abzuwenden. Neben den explodierenden Kosten trage auch der akute Personalmangel in vielen Kliniken zur desaströsen Finanzlage bei. Durch fehlendes Personal könnten nämlich im noch geltenden System der Fallpauschalen nicht die für einen wirtschaftlichen Betrieb nötigen Fallzahlen erreicht werden. Dringend notwendig sei vor diesem Hintergrund eine Wiederaufnahme finanzieller Stabilisierungsmaßnahmen durch Bund, Länder und Krankenkassen, um Klinikpleiten vorzubeugen. Die ärztevertretenden Verbände setzen dabei auf die stattfindenden bzw. noch anstehenden Abstimmungsgespräche des Bundesgesundheitsministers mit den zuständigen Länderministern.
Neue Krankenhausfinanzierung – Revolution oder Modifikation?
Lauterbachs Reform könne nur gelingen, wenn ein drohendes Kliniksterben im Vorfeld einer Umsetzung der Reformmaßnahmen verhindert werde. Die Gefahr von Klinikpleiten sei von den politischen Verantwortlichen und angesichts der Reformdiskussion bisher nicht ausreichend wahrgenommen worden. An den Reformvorschlägen Lauterbachs gibt es überdies zunehmende Kritik. Manchen Kritikern gehen sie nicht weit genug.
Der Minister will die Fallpauschalen nämlich gar nicht abschaffen. Die Krankenhäuser sollen je nach Versorgungsbedeutung in unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden. In den meisten Gruppen bleiben die Fallpauschalen weiterhin maßgebliche Posten bei der Krankenhausfinanzierung. Hinzukommen sollen sogenannte Vorhaltepausschalen für die Bereitstellung von Infrastruktur und zur Fixkostenabdeckung. Nach „Revolution“ sieht das nicht unbedingt aus, eher nach einer Modifikation des bestehenden Systems.