Wenn ein/e Patient/in einen Arzttermin versäumt bzw. diesen nicht frühzeitig absagt, ...

Es gibt so Tage, die gehören verboten. Tage, die man in der Rückschau besser mit einer Decke überm Kopf im Bett verbracht hätte, weil einfach alles doof gelaufen ist.
Meist beginnt so ein Tag schon in der Personalumkleide mit schlechter Stimmung.
Wenn die diensthabende OP-Schwester sich unter Fluchen verabschiedet, weil sie die ganz Nacht ihr Bett nicht mal von weitem gesehen hat, hat sie mein absolutes Mitgefühl.
Wenn es dann im Frühstücksraum aber schon Gift sprühregnet, zieht man als kleiner Sandmann lieber den Kopf ein und wandert weiter zur Frühbesprechung.
Und hier endet der Tag (dank der aktuellen Grippewelle) derzeit häufig schon früh um halb 8 in der Misere, wenn nämlich der tagesaktuelle Krankenstand im Kollegium verkündet wird.
Kürzlich war mal wieder so ein Tag.
Nach schlechter Stimmung im OP und vielen kranken Kollegen war mein Patient Nummer eins P, und durfte nur durch oberärztliche Hände einen Tubus empfangen.
Patient Nummer zwei war bereits um 10 Uhr morgens völlig außer sich, dass man ihn so lange nüchtern hat warten lassen, dass sich sein Atemweg aus purer Bösartigkeit in Cormack III verwandelt hat. Und im Saal ging es gerade so weiter: Der OP-Situs war doof, der Operateur unleidig, die OP-Schwester angenervt, der Springer lustlos.
Und so vegetierte ich an der Patientenseite vor mich hin, ließ die schlechte Laune aller Anwesenden auf mich herabtröpfeln und musste die Theorie von Lieblingspfleger Ludwig bestätigt sehen, der immer behauptet: „Wenn die Einleitung bescheiden war, wird die Ausleitung nicht besser.“
Und um dem Tag die Krone aufzusetzen, wurde am Nachmittag noch ein Patient nachgemeldet.
Ein Flüchtling, Träger von multiresistenten Keimen, der also im septischen Saal laufen musste, und nur ein paar Worte Englisch sprach.
Die Stimmung fiel augenblicklich vom zweiten Untergeschoss in den tiefsten Keller.
Septischer Saal bedeutet einen ziemlichen Aufwand für alle Beteiligten: Besondere Schutzkleidung, Einleitung im Saal, und Verpackungen für jeden einzelnen Gegenstand, den man danach nicht in die Tonne kloppen will.
Alles Equipment, das nicht unmittelbar notwendig erscheint (wie meine Schatzkiste, der Medikamentenwage) wird aus dem Saal geräumt, sodass ich für jede Kleinigkeit telefonisch Nachschub anfordern muss. Und nach der OP winkt eine einstündige Nachüberwachung im Saal, da der Aufwachraum septische Patienten auch nicht mit Handkuss annimmt. Also: Zeitaufwand, Geldaufwand, Allesaufwand – und das nach so einem Tag.
Ich wickelte mich also resigniert in meinen Schutzumhang, steckte mein Telefon in eine Plastiktüte, trennte mich von allem Tascheninhalt und betrat die Spielfläche.
Dort fand einen ziemlich schüchternen, aber überaus höflichen Patienten vor. Keinen Mucks bezüglich seiner langen Wartezeit, keine Kommentare bezüglich meines zarten Anästhesistenalters – der Mann war einfach zufrieden. Mit Händen und Füßen konnten wir ihm unser Vorhaben begreiflich machen, und schließlich war er friedlich narkotisiert.
Nach der OP wachte er zügig auf, wurde adäquat und atmete ein Weilchen spontan durch den Tubus ohne ein einziges Mal dagegenzupressen, bis wir ihn lehrbuchmäßig extubieren konnten. Seine ersten Worte zu mir waren: „Thank you, Madam. I love Germany.“
Dieser Mann hat meinen Tag gerettet.
Beste Grüße,
Frau Sandmann