
Der modernen Technik haben wir Sandmänner einiges zu verdanken. Böse Zungen behaupten, dass das Intubieren und Nadel-Legen im Grunde die einzigen Handgriffe sind, die uns noch nicht von Maschinen abgenommen wir. Und irgendwie haben die bösen Zungen Recht.
An meinem Arbeitsplatz bin ich umringt von Maschinen. Ständig blinkt und piept es, und ich mag jedes einzelne meiner Geräte.
Was ich allerdings an all diesen technischen Wunderwerken hasse, ist der verfluchte Kabelsalat. Auch in der modernen Welt funktionieren weder die Blutdruckmessung noch die Pulsoxymetrie kabellos – und die Beatmung schon gar nicht. Und so scheint es eine gefragte anästhesiologische Grundkompetenz zu sein, täglich mehrfach den Gordischen Kabelknoten zu lösen.
Besonders happig wird es dann, wenn die Patienten schon zahllose Kabel und Schläuche ihr Eigen nennen, bevor Frau Sandmann mit ihrer Arbeit überhaupt beginnt.
Vor kurzem hatte ich hier ein Erlebnis der dritten Art. Der Patient, dessen Kabelsalatausmaß mich schier in den Wahnsinn treiben wollte, verfügte nicht nur über 2 Zugänge, ZVK und Arterie, allesamt mit Perfusoren und Druckmessung bestückt, sondern auch über einen DK, zwei Pleuradrainagen, 4 Robinsondrainagen, einen Fixateur externe und eine Hirndrucksonde.
Dieser Aufrüstung fügten wir noch EKG, CSI, Temperatursonde, TOF und natürlich Beatmung hinzu, sodass zum guten Schluss nur noch die Füße kabelfrei waren.
Nachdem ich die Käbelchen alle liebevoll sortiert, unterpolstert und sicher um den Patienten herum drapiert hatte, fuhren wir in den Saal….und damit fing der Zirkus an.
Noch bevor die Beatmung wieder angeschlossen war, stürzten sich Operateur, Assistent, OP-Schwester und Springer auf das Verkabelungsopfer. Hier wurde umgelagert, dort wurde rumgezuppelt, ein Facialis-Monitoring setzte dem Kabelgewirr die Krone auf, und meine wunderschöne Kabelsortierung war passé.
Mal diskonnektierte der Tubus, mal lösten sich die EKG-Elektroden, kurz: Den halben Eingriff verbrachte ich fluchend und kriechend unter grünen Tüchern, ständig damit beschäftigt, lose Stecker wieder an Ort und Stelle zu bringen und Verhedderungen aufzulösen.
Als sich mein Einsatz einem gütlichen Ende näherte, war ich schon drauf und dran, drei Kreuze zu machen. Doch zu früh gefreut! Kaum waren die grünen Tücher weg, entdeckte ich auf meinem Kontrollgang um den Kabelhaufen etwas, das mir kalte Schauer über den Rücken jagte: Ein unschuldiges weißes Käbelchen schleifte ungünstig am Boden.
Es war die Hirndrucksonde.
Und keiner wollte es gewesen sein.
In solchen Fällen greift ein uraltes Naturgesetz das da lautet:
„Die Anästhesie ist schuld.“
Und so hatte ich auf der Intensivstation nicht nur einen Patienten abzuliefern, der einem Bondage-Opfer in einem Knäuel von Kabeln und Schläuchen glich, sondern auch eine kapitale Entschuldigung.
Doch wider aller Befürchtungen wurden sowohl der Bondage-Patient als auch meine gestammelnten Erklärungsversuche mit erstaunlicher Gelassenheit entgegengenommen.
Kurz bevor die Intensivmannschaft samt gordischem Kabelknoten um die Ecke rauschte, drehte sich einer der Pfleger noch einmal zu mir um und meinte verschmitzt: „Mach dir mal keene Jedanken wegen de Sonde, Püppi, det Ding war abjeklemmt. Hätten wir morgen eh jezogen.“
Und plötzlich fiel mir wieder ein, wie Alexander der Große seinerzeit den Gordischen Knoten löste. Manchmal sind schnelle Lösungen wohl doch die besten.
Beste Grüße,
Frau Sandmann
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