Wie gestaltet sich die Arbeit im Klinikum Freistadt und wo liegen die Besonderheiten ...

Als Arzt ist man immer wieder mit Patienten konfrontiert, die suizidale Neigung haben oder bereits einen Selbstmord versucht haben. Für Mediziner ist der Umgang mit dem Thema „Selbstmord“ nicht einfach, rührt die Selbsttötung doch an das eigene Selbstverständnis. Aber auch der richtige Umgang mit suizidalen Patienten stellt eine Herausforderung dar. Nicht jeder gute Arzt ist zugleich ein guter Psychologe. In diesem Beitrag befassen wir uns näher mit dem Umgang mit Suizid als Arzt.
Einige Fakten zum Suizid
Suizid ist keineswegs selten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts nahmen sich 2018 in Deutschland 9.396 Menschen das Leben. Die Zahl der (erfolglosen) Suizidversuche kann nur geschätzt werden. Sie dürfte bei über 100.000 pro Jahr liegen. Suizid als Todesursache ist häufiger als Tod durch Verkehrsunfall, Drogenmissbrauch, Aids und Mord zusammen. Gut drei Viertel der Selbsttötenden sind Männer, ein knappes Viertel Frauen.
Mehr Suizide im höheren Lebensalter
Die Suizidgefahr steigt mit dem Alter. Das Durchschnittsalter bei Selbsttötung liegt bei Männern bei 57,9 Jahren, bei Frauen bei 59,1 Jahren. Die Altersgruppe mit der höchsten Selbstmordrate sind die 50- bis 55jährigen. Jeder neunte Suizid findet in dieser Altersklasse statt. „Peaks“ gibt es auch bei den 55- bis 60jährigen und jenseits der 75. Junge Menschen neigen dagegen kaum zur Selbsttötung. Auch in den mittleren Altersklassen bis 55 halten sich suizidale Neigungen in Grenzen.
Bewohner in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit höchsten Selbstmordraten
Interessanterweise sind auch regional deutliche Unterschiede festzustellen. Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sind die Bundesländer mit den höchsten Selbstmordraten. Hier liegt die Suizidrate zwischen 14,4 und 15,4 pro 100.000 Einwohner. Am anderen Ende der Skala stehen Brandenburg (9,5 je 100.000 Einwohner) und Nordrhein-Westfalen (7,8). Anders ausgedrückt: in Sachsen-Anhalt (15,4) ist die Suizid-Wahrscheinlichkeit fast doppelt so hoch wie in Nordrhein-Westfalen (7,8). Mit einem Ost-West-Gefälle oder wirtschaftlichen Unterschieden lässt sich das nicht erklären. Die besonders wirtschaftsstarken Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg liegen bei der Häufigkeit von Selbsttötungen eher im Mittelfeld. Vielleicht spielt die Verfügbarkeit und Erreichbarkeit von psychologischer Betreuung bei Suizidgefährdung eine Rolle.
Homosexuelle und junge Frauen mit Migrationshintergrund besonders suizidgefährdet
Es gibt auch unabhängig vom Alter Bevölkerungsgruppen, die überdurchschnittlich gefährdet sind. Neben Männern und älteren Menschen neigen Personen mit gleichgeschlechtlicher sexueller Orientierung und junge Frauen mit Migrationshintergrund häufiger zur Selbsttötung – womöglich weil sie sich überdurchschnittlich oft in besonderen Konflikten befinden und sich in einem schwierigen Umfeld bewegen. Insgesamt zeigt das Suizid-Geschehen ein vielschichtiges Bild.
Nicht problemlos – die ärztliche Haltung zum Suizid
Selbsttötungen oder Suizid-Versuche rühren an das ärztliche Selbstverständnis, ja stehen ihm sogar diametral entgegen. Denn schließlich wollen Mediziner Leben erhalten und retten. Das erklärt vielleicht, warum mancher Arzt sich beim Umgang mit suizidalen Patienten schwer tut. Nicht selten werden Anzeichen einer Suizid-Gefährdung übersehen – im hektischen Behandlungsalltag mit vielen Patienten und Fällen passiert das leicht. Und nur wenige Mediziner haben das psychologische Hintergrundwissen, um Suizid-Risiken zu erkennen und darauf adäquat einzugehen. Nicht selten führt Unbeholfenheit genau zu den falschen Reaktionen.
Aus ethischer Perspektive wird der Suizid sehr unterschiedlich bewertet. Die Bandbreite reicht vom Recht auf Selbsttötung bis zur Ablehnung wegen des Verstoßes gegen religiöse Gebote. Suizid an sich ist keine Krankheit. Sehr wohl kann ein Selbstmord aber Folge und Ausdruck einer psychischen Erkrankung sein. Das ist sogar oft der Fall. Suizidversuche lösen vielfach intensiven ärztlichen Behandlungsbedarf aus, sogar akute Nothilfe im Sinne der Lebensrettung. In diesen Fällen steht die Erhaltung und Wiederherstellung der physischen Lebensfunktionen im Vordergrund, nicht die Beschäftigung mit den Ursachen des Selbsttötungsversuchs.
Suizid – Mögliche Gründe, Anlässe und Risikofaktoren
Der Wunsch Selbstmord zu begehen, kann viele Ursachen haben. Das sind die häufigsten:
- man befindet sich objektiv oder subjektiv empfunden in einer belastenden Situation ohne Ausweg. Der Selbstmord erscheint die einzig mögliche Lösung;
- man möchte mit einem Suizid-Versuch einen Hilferuf aussenden und beachtet werden. Die Selbsttötung ist dann letztlich nicht beabsichtigt, höchstens ein „Unfall“;
- man wählt die Selbsttötung als extremste Form des Protestes.
Suizide und Suizidversuche kommen in allen Gesellschaftsschichten und unabhängig vom Bildungshintergrund vor. Häufige Anlässe bzw. Basisleiden mit erhöhter Suizid-Gefahr sind:
- Depressionen, Psychosen und Suchterkrankungen;
- Lebenskrisen (Trennung/Scheidung, Liebeskummer, Tod naher Angehöriger, finanzielle Schwierigkeiten, berufliche Probleme, schwere Konflikte, familiäre Probleme und persönliche Krisen – vor allem bei jüngeren Menschen);
- Einsamkeit (vor allem bei älteren Menschen) und ein Gefühl der Wertlosigkeit;
- chronische, als „unerträglich“ empfundene physische Leiden wie Schmerzen oder starke körperliche Einschränkungen;
- schwere Erkrankungen oder Verletzungen ohne Perspektive für ein gutes Weiterleben (Krebs, Krankheiten mit starken Schmerzen, schwere Verstümmelungen).
Wie als Arzt das Suizidrisiko abschätzen?
Die Suizidgefährdung als Arzt abzuschätzen, ist gar nicht so einfach. Denn in den seltensten Fällen äußern die Betroffenen offen ihre Suizid-Gedanken oder gar eine konkrete Suizid-Absicht. Das wird alleine schon aus Schamgefühlen vermieden. Sehr oft werden dagegen „verdeckte“ Signale in Form von Äußerungen wie „Ich kann ich nicht mehr“, „Was hat das noch für einen Sinn“, „Das stehe ich nicht durch“ usw. ausgesendet. Das ist nach Schätzungen bei 95 Prozent der Selbstmordgefährdeten der Fall. Solche Aussagen zeigen eine empfundene Hoffnungslosigkeit oder Ausweglosigkeit. Ein erfahrener Arzt wird dabei „hellhörig“, insbesondere dann wenn auch noch die Krankenvorgeschichte in den Blick genommen wird. Alarmsignale sind auch depressive Symptome wie große Hoffnungslosigkeit, Schuld- und Versagensgefühle, Schlafprobleme, innere Unruhe oder Getriebensein.
Die im vorhergehenden Abschnitt genannte Auflistung der häufigsten Selbstmordanlässe und -hintergründe kann als Orientierung dienen. Tief depressive Menschen oder Patienten mit schweren Krebserkrankungen sind sicher überdurchschnittlich gefährdet. Akute Lebenskrisen werden oft im Arztgespräch zum Thema, nicht selten sind sie Auslöser körperlicher Leiden, die den konkreten Anlass des Arztbesuches bilden. Bei Krebspatienten kann übrigens selbst dann eine Suizid-Neigung bestehen, wenn die Behandlung durchaus Aussicht auf Erfolg hat. Mancher fühlt sich durch die Diagnose „Krebs“ so überwältigt, dass er an Suizid denkt – sozusagen Selbstmord aus Angst vor einem leidvollen Tod.
Was sollte man bei Suizidverdacht tun?
Untersuchungen zufolge suchen rund 40 Prozent der Suizidenten in den letzten vier Wochen vor einem Selbstmord oder Selbstmordversuch einen Hausarzt auf. Hausärzte sind daher besonders gefordert, bei Suizidverdacht aktiv zu werden. Die Aufgabe ist, zunächst die Suizidgefährdung zu erkennen und dann auch anzusprechen. Die Sorge, mit der Ansprache des heiklen Themas die Suizidneigung noch zu „triggern“ ist nach aller Erfahrung unbegründet. Im Gegenteil: viele Suizidgefährdete sind erleichtert, wenn sie auf ihre Selbstmordgedanken angesprochen werden. Das wirkt sogar entlastend. Die offene Kommunikation kann dazu beitragen, Hilfe in Anspruch zu nehmen und die Suizidabsicht aufzugeben.
Natürlich kommt es bei der Ansprache auch darauf an, „den richtigen Ton“ zu finden. Eine ruhige, wertschätzende, vertrauensvolle und sichere Atmosphäre ist gerade bei diesem Thema wichtig. Der Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht sollte nicht fehlen. Man kann das Gespräch zum Beispiel mit allgemeinen Einstiegsfragen beginnen wie:
- „Sie haben es derzeit nicht leicht. Wie können Sie damit umgehen?“
- „Ich habe den Eindruck, dass es Ihnen nicht gut geht? Möchten Sie erzählen, was sie bedrückt?“
- „Ihnen geht es offensichtlich nicht gut. Das macht mir Sorgen.“
Eine mögliche Vorgehensweise ist dann, das Gespräch schrittweise – zunächst mit offenen Fragen, schließlich mit konkreteren Fragen – auf das Thema „Suizid“ zu lenken. Ziel ist stets, zu einer Einschätzung des Suizidrisikos zu gelangen und dem Patienten Alternativen aufzuzeigen. Gibt es Anzeichen für schon festere Selbstmord-Pläne, sollte der Patient von einer sofortigen psychiatrischen Vorstellung überzeugt werden – meist in einer psychiatrischen Klinik. In besonders akuten Fällen kann sogar eine Einweisung angezeigt sein. Sind die Gedanken an den Suizid dagegen noch eher vage und unbestimmt, empfehlen sich niedrigschwelligere Angebote – zum Beispiel psychiatrische Institutsambulanzen (PIA), niedergelassene Psychiater, Psychotherapeuten, Selbsthilfegruppen usw.. Oft ist die Bereitschaft größer, sich auf solche Hilfen einzulassen als das Aufsuchen eines psychiatrischen Krankenhauses.
Wie mit Patienten nach einem Suizidversuch umgehen?
Arztgespräche nach einem erfolglosen Suizidversuch finden meist im Krankenhaus statt, sobald wieder eine Ansprache möglich ist. In vielen Fällen beschränkt sich die Krankenhausbehandlung allerdings auf die rein medizinische Versorgung. Für viel mehr bleibt angesichts der typischen Klinikabläufe und mangels geschulten Personals nichts übrig. Die Konsequenz: der suizidale Patient wird als „geheilt“ entlassen und bleibt mit seinem gescheiterten Selbstmordversuch alleine. Idealtypisch sollte die Betreuung des Suizidpatienten im Krankenhaus wie folgt aussehen:
- Durchführung eines effektiven Erstgesprächs: Zeigen von Verständnis, Hilfsbereitschaft und Zuversicht;
- Abschätzung des Schweregrads der Problematik und der Suizidalität;
- Feststellung, was das Krankenhaus leisten kann und was nicht bzw. wo weiterführende Hilfen möglich sind;
- Entwicklung eines Hilfsplans gemeinsam mit dem Patienten: realisierbare kleine Schritte nach dem Krankenhausaufenthalt, um einem erneuten Selbstmordversuch vorzubeugen;
- vorbereitender Verhaltensplan als „Notfallkoffer“, wenn erneute Krisensituationen mit Selbstmordgefahr auftreten.
Wird diese „Nachbereitung“ eines Selbstmordversuchs nicht im Krankenhaus geleistet, verbleibt diese Aufgabe wiederum dem Hausarzt. Das setzt allerdings voraus, dass dieser nach dem Krankenhausaufenthalt auch aufgesucht wird. Ob in der Klinik oder beim Hausarzt – In der Gesprächsführung ist es immer besonders wichtig, abwertende Formulierungen und kritische Äußerungen zum Selbstmordversuch zu vermeiden. Die Stärkung des gestörten Selbstwertgefühls ist ein wesentliches Ziel neben der Aufarbeitung der Problematik.
Fazit
Viele Ärzte scheuen davor zurück, Patienten auf eine vermutete Suizidalität oder Selbstmordabsichten anzusprechen. Eine Scheu, die überwunden werden sollte – denn eine aktive, wertschätzende und verständnisvolle Ansprache „mit Perspektive“ kann dazu beitragen, Betroffene aus ihrem tiefen Loch herauszuholen und Mut zum Weiterleben zu machen. Mancher Suizid ließe sich so womöglich vermeiden.