
Das jährliche Berufsmonitoring der Medizinstudierenden wurde auch 2022 veröffentlicht. Die repräsentativen Ergebnisse der Befragung in Deutschland, Frankreich und der Schweiz wurden im Oktober 2022 in Berlin bekanntgegeben. Das Berufsmonitoring hat sich als viel beachteter Standard zur Dauerbeobachtung der Wünsche, Bewertungen und Erwartungen des ärztlichen Nachwuchses etabliert. Wir haben hier die wichtigsten Ergebnisse des Monitors zusammengefasst.
Inhaltsverzeichnis
Über die Befragung
Eruiert wurden u.a. die Erwartungen der Studierenden an ihren Beruf, ihre Hoffnungen bezüglich Niederlassung oder Anstellung, wo Studierende lieber (nicht) arbeiten wollen, wie das Studieren während der Corona-Pandemie verlief und vieles mehr. Die Befragung wurde online im Juni 2022 vorgenommen und erfolgte über persönlich adressierte E-Mail-Verteiler der jeweiligen medizinischen Fakultäten. Somit wurden ca. 12 Prozent aller Medizinstudierenden in ganz Deutschland befragt. In Deutschland wurden 8.600 Studierende (Frauen 64,8 Prozent, Männer 33 Prozent) befragt, in der Schweiz 330 Studierende (Frauen 68,8 Prozent, Männer 31,2 Prozent) und in Frankreich 328 Studierende (Frauen 77,5 Prozent, Männer 21,5 Prozent).
Erwartungen an den Beruf
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht bei vielen Studierenden ganz weit oben auf der Prioritätenliste: 92,5 Prozent gaben an, dies besonders wichtig zu finden. Direkt gefolgt wird dies von geregelten Arbeitszeiten (83,1 Prozent) und flexiblen Arbeitszeiten (81,2 Prozent), was kein Widerspruch in sich ist: Geregelte Arbeitszeiten bezeichnen schließlich nur eine gewisse Vorausplanbarkeit, die jedoch bei Bedarf auch den aktuellen Umständen angepasst werden kann.
Weniger wichtig sind Medizinstudierenden hingegen die Möglichkeit, ein breites Krankheitsspektrum zu behandeln (67,5 Prozent), die Zeit für die ausreichende Würdigung der Krankheitsgeschichte und Lebensumstände der Patienten/-innen (64,4 Prozent) und die Möglichkeit, in einem Team mit anderen Ärzten/-innen arbeiten zu können (64,2 Prozent). Auf dem letzten Platz rangiert der Bedarf an einer eigenen Praxis mit lediglich etwas über der Hälfte aller Studierenden (55,1 Prozent).
Parameter | 2022 | 2018 | 2014 |
Vereinbarkeit von Familie und Beruf | 92,5% | 94,6% | 94,7% |
Geregelte Arbeitszeiten | 83,1% | 82,3% | 84,0% |
Flexible Arbeitszeiten | 81,2% | 81,4% | 83,6% |
Breites Krankheitsspektrum behandeln | 67,5% | 69,4% | 74,2% |
Krankheitsgeschichte und Lebensumstände der Patientenschaft | 64,4% | 67,2% | 72,1% |
Im Team mit anderen Ärzten arbeiten | 64,2% | 66,6% | 63,1% |
Eigene Praxis | 55,1% | 53,5% | 60,3% |
Im internationalen Vergleich mit Frankreich und der Schweiz zeigt sich teils ein ähnlicher, teils ein komplett gegenläufiger Trend. Vereinbarkeit von Familie und Beruf steht z.B. auch bei den französischen und schweizerischen Studierenden mit 95,4 Prozent, respektive 95,8 Prozent ganz oben auf der Prioritätenliste. Die Franzosen/Französinnen legen hingegen kaum Wert auf geregelte Arbeitszeiten: Nicht einmal die Hälfte (49,1 Prozent) gaben dies als ihre Priorität an. Die Schweizer/innen (75,8 Prozent) finden geregelte Arbeitszeiten zwar wichtiger als die Franzosen/Französinnen, jedoch weniger wichtig als die Deutschen.
Stark auseinander geht die Gewichtung auch beim Wunsch nach der Zeit für die ausreichende Würdigung der Krankheitsgeschichte und Lebensumstände der Patienten/-innen: Die französischen Studierenden erachteten dies als wichtig (88,1 Prozent), während die schweizerischen Studierenden mit 69,4 Prozent nur marginal mehr Interesse zeigten als die deutschen (64,4 Prozent). Auch die Möglichkeit des Arbeitens im Team mit anderen Ärzten/-innen steht bei den Franzosen/Französinnen mit 79,6 Prozent höher im Kurs als bei den Deutschen mit 64,2 Prozent oder den Schweizern/-innen mit 63,3 Prozent.
Bei den restlichen Punkten ergeben sich jedoch kaum internationale Abweichungen: Die Franzosen/Französinnen bewerten flexible Arbeitszeiten (77,4 Prozent) und den Wunsch nach einer eigenen Praxis (41,8 Prozent) mehr oder weniger ähnlich wie die Schweizer/innen mit respektive 84,5 Prozent bzw. 49,7 Prozent.
Niederlassung und Anstellung
Betrachtet man den Wunsch nach eigener Niederlassung bzw. beruflicher Anstellung, haben deutsche Studierende klare Präferenzen für ein Arbeitsverhältnis in Anstellung (96 Prozent, gegenüber 73,6 Prozent Niederlassung). Bei den Arten der Anstellung präferieren Studierende mit 72 Prozent klar ein Krankenhaus, sind aber auch einer Anstellung in einer Praxis (67,5 Prozent) oder einem MVZ (65,7 Prozent) gegenüber nicht unaufgeschlossen.
Eine eigene Niederlassung in der fachärztlichen Versorgung können sich immerhin 71,2 Prozent vorstellen. Eine hausärztliche Niederlassung wollen jedoch nicht mal die Hälfte aller deutschen Studierenden mit nur 42,6 Prozent.
Parameter | 2022 | 2018 | 2014 |
Niederlassung | 73,6% | 74,3% | 74,3% |
Hausärztliche Versorgung | 42,6% | 42,5% | 37,3% |
Fachärztliche Versorgung | 71,2% | 75,8% | 74,1% |
Anstellung insgesamt | 96,0% | 90,2% | 89,3% |
Praxis | 0,67,5% | 62,3% | 55,7% |
MVZ | 65,7% | 64,5% | 52,8% |
Krankenhaus | 72,0% | 74,8% | 76,0% |
Verglichen mit Frankreich und der Schweiz sind die Ergebnisse ähnlich: Auch dort wollen 91,1 Prozent der Franzosen/Französinnen, respektive 96 Prozent der Schweizer/innen lieber in Anstellung arbeiten als in einer eigenen Niederlassung (73,4 Prozent Frankreich bzw. 74,1 Prozent Schweiz). Die hausärztliche Versorgung rangiert in Frankreich mit 55,7 Prozent sogar höher als in Deutschland, und auch in der Schweiz können sich 45,5 Prozent diese Karriere vorstellen. Eine fachärztliche Niederlassung präferieren 68,8 Prozent der Franzosen/Französinnen gegenüber 66,5 Prozent der Schweizer/innen.
Bei dem Wunsch nach der Art der Anstellung zeigen sich (außer beim MVZ, das es weder in Frankreich noch in der Schweiz in dieser Form gibt) ähnliche Verhältnisse: Eine Anstellung in einer Praxis können sich 52,1 Prozent aller französischen und 65,7 Prozent aller schweizerischen Studierenden vorstellen. Ins Krankenhaus zieht es 71,3 Prozent aller Franzosen/Französinnen, respektive 79,1 Prozent der Schweizer/innen.
Allgemeinmedizin und Chirurgie/Orthopädie: Rekrutierungspotential
Eine Präferenz für Allgemeinmedizin zeigten mit 36,8 Prozent grade mal ein gutes Drittel aller Studierenden (37,4 Frauen, 35,7 Männer). Dies unterteilt sich in 33 Prozent Vorklinik, 38 Prozent Klinik und 36,7 Prozent PJ.
Eine Präferenz für Chirurgie bzw. Orthopädie fiel jedoch noch verhaltener aus: Nur 25,7 Prozent aller Studierenden können sich eine Karriere in diesem Bereich vorstellen (23,9 Prozent Frauen, 29,9 Prozent Männer). Dies unterteilt sich in 35 Prozent Vorklinik, 22,6 Prozent Klinik und 19,3 Prozent PJ.
Wo (nicht) arbeiten?
Deutsche Studierende haben definitiv ihre Präferenzen bezüglich attraktiver Regionen und „No-Go-Areas“. Sie wurden dabei gefragt, wo sie (nicht) arbeiten wollten bzw. ob die folgenden Regionen für sie als Arbeitsort in Frage kämen. Dabei kristallisierte sich das Land als deutlich unbeliebt heraus: In Landgemeinden bis 5.000 Einwohner/innen wollten 44,1 Prozent aller deutschen Studierenden keinesfalls arbeiten und in Landkreisen mit Städten bis 10.000 Einwohner/innen 39,9 Prozent nicht.
Dabei ist Deutschland der Spitzenreiter bei der vergleichsweisen „Aversion gegen das Land“. In Frankreich lehnten nur 28,8 Prozent Landgemeinden bis 5.000 Einwohner/innen strikt ab und 34,1 Prozent Landkreise mit Städten bis 10.000 Einwohner/innen. In der Schweiz entsprach diese Aversion 24,7 Prozent, respektive 29,6 Prozent.
Auswandern für eine ärztliche Karriere kam für deutsche Studierende ebenfalls in Frage. Dabei gab es klare Präferenzen für die Schweiz (67,3 Prozent), Österreich (49,6 Prozent) und Kanada (44,9 Prozent). Die Top-3 der französischen Studierenden waren Kanada (63,5 Prozent), die Schweiz (45,3 Prozent) und Großbritannien (31,8 Prozent). Die schweizerischen Studierenden gaben als beliebteste Länder für ihre ärztliche Tätigkeit Kanada (46,4 Prozent), Deutschland (43,8 Prozent) sowie gleichauf Großbritannien und die USA (beide 42,5 Prozent) an. Verhältnismäßig unbeliebt ist als Arbeitsland in Deutschland Frankreich (22,8 Prozent), in Frankreich Österreich (7,6 Prozent) und in der Schweiz Dänemark (16,3 Prozent).
Studieren während der Corona-Pandemie
Beim Studieren während der Corona-Pandemie berichteten viele Studierende von Einschränkungen. 67,7 Prozent der deutschen Studierenden berichteten von spürbaren Auswirkungen auf ihre persönliche Entwicklungsfähigkeit wichtiger ärztlicher Kompetenzen. 58,4 Prozent bezeichneten ihr gesamtes Studieren während dieser Zeit als eher negativ.
Ähnliche Ergebnisse gab es auch unter den französischen Studierenden und in der Schweiz. Die Franzosen/Französinnen gaben zu 64,4 Prozent an, Auswirkungen auf die Entwicklung wichtiger Kompetenzen beobachtet zu haben; bei den Schweizern/-innen waren es 61,4 Prozent. Die Franzosen/Französinnen bezeichneten ihr Studienerlebnis während der Maßnahmen jedoch zu fast „fifty-fifty“ als weder negativ noch positiv, und von den Schweizern/-innen bezeichneten sogar 67,2 Prozent ihr umständehalber erzwungenes Heimstudienerlebnis als eher positiv. Dies mag an der besseren Netzabdeckung in der Schweiz sowie an besseren IT-Angeboten der jeweiligen Universitäten liegen.
Parameter | Verbesserung | Verschlechterung |
Selbstorganisation | 55,2% | 5,6% |
Kommunikation mit ärztlichen Kollegen/-innen | 21,3% | 32,5% |
Kommunikation mit Patienten/-innen | 23,2% | 43,7% |
Praktische Fertigkeiten Untersuchung/Behandlung Patienten/-innen | 20,4% | 55,0% |
Digitalisierung
Eine deutliche Verbesserung in der Digitalisierung der ärztlichen Profession attestierten 80,7 Prozent aller deutschen Studierenden. Ebenfalls gut bewertet wurden Verbesserungen in den Behandlungsmöglichkeiten (74,1 Prozent), Arbeitsorganisation (81,6 Prozent) und sektorenübergreifenden Versorgung (74,3 Prozent). Immerhin noch im Mittelfeld bewerteten sie die Verbesserungen bei der Verfügbarkeit von Ärzten/-innen (59,5 Prozent) und der Delegation ärztlicher Leistungen (39,3 Prozent). Deutlich schlecht bewerteten 41,1 Prozent aller deutschen Studierenden die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Arzt/Ärztin-Patienten/-innen-Vertrauensverhältnis.
Parameter | Verbesserung | Verschlechterung |
Diagnosemöglichkeiten | 80,7% | 5,6% |
Behandlungsmöglichkeiten | 74,1% | 4,4% |
Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis | 14,0% | 41,1% |
Arbeitsorganisation | 81,6% | 4,6% |
Verfügbarkeit von Ärzten/-innen | 59,5% | 6,1% |
Delegation ärztlicher Leistungen | 39,3% | 8,3% |
Sektorenübergreifende Versorgung | 74,3% | 1,7% |
Ähnliche Bewertungen zeigten sich auch in Frankreich. Dort zeigten sich 70,9 Prozent angetan von den Verbesserungen in den Diagnosemöglichkeiten, 74,5 Prozent von den Behandlungsmöglichkeiten, 74,8 Prozent von der Arbeitsorganisation, 74,3 Prozent von der sektorenübergreifenden Versorgung und 71,9 Prozent von der Kommunikationsverbesserung mit anderen Gesundheitsberufen. Ganz in Ordnung waren für die Franzosen/Französinnen mit 49,4 Prozent die Verbesserungen bei der Verfügbarkeit von Ärzten/-innen und immerhin 38 Prozent bei der Delegation ärztlicher Leistungen. Ähnlich schlecht bewerteten 46,2 Prozent die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Arzt/Ärztin/-Patienten/-innen-Vertrauensverhältnis.
Auch die Schweiz schlägt diesbezüglich kaum aus dem Rahmen, bewertet jedoch noch etwas massiver als Frankreich und Deutschland. 85,1 Prozent lobten die Verbesserungen der Diagnosemöglichkeiten und 80,1 Prozent die Verbesserungen bei den Behandlungsmöglichkeiten. Immerhin noch 71,6 Prozent lobten die Arbeitsorganisation, 60,5 Prozent die sektorenübergreifende Versorgung und 60,8 Prozent die Kommunikationsverbesserung mit anderen Gesundheitsberufen. Ganz ok fanden 37,8 Prozent die Verbesserungen bei der Delegation ärztlicher Leistungen. Deutlich schlecht bewerteten über die Hälfte (52,1 Prozent) aller schweizerischen Studierenden die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Arzt/Ärztin-Patienten/-innen-Vertrauensverhältnis.