Die Energiekrise ist in vielen Arztpraxen angekommen, zeigt eine aktuelle Erhebung. Einige niedergelassene Ärzte/-innen überlegen schon aufgrund der gestiegenen Energiekosten, die Sprechzeiten zu reduzieren, um an Strom und Heizung zu sparen. Die Ergebnisse im Überblick.
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Hintergrund: Energie im Winter 2022 ein knappes Gut
Dass die Energiepreise geradezu explodiert sind, lässt sich auf eine multifaktorielle Genese zurückführen, um einen medizinischen Terminus zu verwenden. Die Entwicklung hat bereits im Vorjahr angefangen. Einerseits drosselte der russische Gasproduzent Gazprom die Gaslieferungen nach Europa, wohl in Vorbereitung auf die Invasion der Ukraine. Gleichzeitig führten die Witterungsbedingungen zu einer geringeren Produktion an erneuerbarem Strom in Deutschland. Gas und Strom hängen zusammen: Rund 13 Prozent des Stroms werden aus Gas erzeugt. Während das Energieangebot sank, stieg die Nachfrage – ein Symptom der Erholung nach der Akutphase der Pandemie. Dann startete Russland den Angriffskrieg, die russischen Gaslieferungen blieben komplett aus und eine Energiekrise entstand. Die Menge an verfügbarem Gas in Deutschland ist im Winter 2022 beschränkt – das treibt die Energiekosten nach oben. Denn auch der Strompreis ist vom Gaspreis abhängig.
Bis 2021 galt: Eine durchschnittliche Arztpraxis wendet etwa ein bis zwei Prozent des Jahresumsatzes für Strom und Heizung auf. Bis zu 60 Prozent dieser Ausgaben entfallen auf die Heizung, denn eine angenehme Raumtemperatur ist in Wartezimmer, Behandlungszimmer und im Aufenthaltsraum des Praxisteams wichtig. Rund 50 Prozent der Wärmegewinnung stammt in Deutschland aus Gas. Durch die gestiegenen Energieausgaben dürften Arztpraxen künftig deutlich mehr als zwei Prozent des Jahresumsatzes zahlen müssen. Auch bei Verträgen mit einer Preisbindung werden die Energieversorger die gestiegenen Beschaffungspreise früher oder später weiterreichen. Der Preisschock kann verzögert kommen.
Ergebnisse der Befragung im Detail
Der Ärztenachrichtendienst (änd) hat Ende September 2022 bei knapp 800 niedergelassenen Ärzten/-innen im ganzen Bundesgebiet nachgefragt, wie sie die Energiekrise in ihrer Praxis erleben.
25 Prozent der befragten Ärzteschaft gab an, dass die gestiegenen Energiekosten ihre Praxis bereits stark finanziell belasten würden. Weitere 43 Prozent sagten, dass erste Effekte spürbar seinen und nur 32 Prozent meinten, dass die Kosten für Energie die Wirtschaftskraft ihrer Praxis noch nicht beeinträchtigt hätten.
Mit 46 Prozent hat bisher nur knapp die Hälfte der befragten Ärzte/-innen von ihren Energielieferanten einen Preisanstieg für die Heizung angekündigt bekommen oder muss bereits höhere Abschläge zahlen. Da die Kosten für Energie generell stark gestiegen sind und praktisch alle Energielieferanten betroffen sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis auch die restlichen 54 Prozent eine entsprechende Mitteilung erhalten. Zum Teil können vereinbarte Preisbindungen oder sogenannte eingeschränkte Preisbindungen, die sich auf den Beschaffungspreis beziehen, dafür sorgen, dass die Erhöhung der Kosten verzögert kommt. Diejenigen, die bereits eine Erhöhung oder Ankündigung einer Preiserhöhung erhalten haben, müssen mit erheblichen Energiekosten rechnen. Jede dritte Praxis muss eine Preissteigerung von 100 Prozent oder mehr hinnehmen, zeigt die Umfrage.
Aber nicht nur die Heizkosten steigen. Auch die Stromkosten klettern nach oben. 45 Prozent der befragten Ärzte/-innen haben bereits eine Preiserhöhung erhalten und müssen fortan zwischen 20 und 60 Prozent mehr für Strom zahlen.
Wirtschaftliche Lage hat diverse Auswirkungen auf Arztpraxen
Neben den steigenden Ausgaben für Heiz- und Stromkosten merken die Arztpraxen auch an anderen Stellen, dass die wirtschaftliche Lage sich zuspitzt. Für September 2022 beläuft sich die prognostizierte Inflationsrate für Deutschland auf +10,0 Prozent, im August 2022 hatte sie noch +7,9 Prozent betragen.
Das wirkt sich auf die Preise von medizinischen Verbrauchsgütern aus. Beim Einkauf der benötigten Materialien merken 55 Prozent der befragten Ärzteschaft, dass die Preise „etwas gestiegen“ sind. Weitere 39 Prozent der Ärzte/-innen berichten hingegen bereits von sprunghaft gestiegenen Preisen.
Ein weiterer Kostenfaktor sind die Gehälter des Praxispersonals. Rund ein Viertel der Praxisinhaber/innen (24 Prozent) hat die Gehälter für MFA und Co. erhöht. Weitere 34 Prozent der Ärzte und Ärztinnen haben Bonuszahlungen veranlasst, anstatt die Gehälter zu erhöhen. Damit haben insgesamt 58 Prozent ihr Personal in wirtschaftlich unsicheren Zeiten entlastet und die eigenen Kosten erhöht.
Geplanter Umgang mit gestiegenen Energiekosten: das sagt die befragte Ärzteschaft
Ein Teil der Umfrage zielte auf den Umgang mit den gestiegenen Energieausgaben. Demnach wollen rund 80 Prozent der Praxisinhaber/innen die Heizung runter drehen. Pro Grad lassen sich so etwa sechs Prozent Energie einsparen. Allerdings gilt es die „Arbeitsstättenverordnung“ zu beachten, die Temperaturuntergrenzen festlegt. 58 Prozent sehen bei der Beleuchtung Einsparpotenzial. Fast ein Viertel (22 Prozent) der befragten Ärzteschaft erwägt noch radikalere Schritte und gab an, die Sprechzeiten reduzieren zu wollen, um die eigenen Energiekosten zu senken.
Die Politik berät derzeit, wie die Versorgung mit Wärme und Strom diesen Winter gesichert werden kann. Denn in schlimmsten Fall könnte es zu Blackouts kommen. Für den Totalausfall sind die Allerwenigsten vorbereitet. Lediglich zehn Prozent der befragten Gemeinschafts- und Einzelpraxen besitzen ein Notstromaggregat.
Arztpraxen gelten bei einer Gasmangellage als geschützte Kunden und würden präferiert versorgt werden. Zusätzlich empfiehlt die eingesetzte Gaskommission weitere Maßnahmen, um die Versorgung mit Wärme für Gas- und Fernwärmekunden zu sichern.