Zu hohe Arbeitsbelastung, Rufbereitschaft, Nachtschichten sowie anhaltender Stress können verheerende Folgen haben. Die eigenen Grenzen zu erkennen – und zu kommunizieren – fällt vielen Ärztinnen und Ärzten schwer. Rund 81 Prozent der Deutschen sagen nach eigener Aussage zu oft „ja“ statt „nein“, so eine Umfrage des Forschungsinstituts TNS Infratest. Doch wie sagt man im stressigen Krankenhausalltag richtig „Nein“, ohne der Chefärztin oder dem Chefarzt vor den Kopf zu stoßen?
Unvermögen, „Nein“ zu sagen, spielt bei der Entstehung von Burnout und Depression eine entscheidende Rolle
Fast jede(r) zweite Ärztin/Arzt in Deutschland berichtet von Gefühlen körperlicher, emotionaler und mentaler Erschöpfung. Psychische Probleme wie Burnout oder Depressionen sind unter deutschen Medizinerinnen und Medizinern weit verbreitet: Rund 24 Prozent geben laut einer Umfrage von Medscape an, dass sie unter Depressionen und depressiven Verstimmungen leiden. Neun Prozent bezeichnen ihre Symptome als eine Kombination aus Burnout und Depression. Ganze 12 Prozent der Befragten sprechen hingegen von Burnout. Die Ursache ihres Befindens, weisen die Ärztinnen und Ärzte vor allen Dingen ihrem Job zu.
Rund 50 Prozent der Studienteilnehmer sehen den Auslöser außerdem in zu vielen Arbeitsstunden. Denn gerade in Zeiten von dauerhafter Personalknappheit arbeiten neben Pflegerinnen und Pflegern vor allem Ärztinnen und Ärzte bis an ihrer Belastungsgrenze. Nicht ohne Grund gehören Ärzte laut einer Erhebung der AOK zu den Berufsgruppen mit den wenigstens Krankheitstagen pro Jahr. Doch die doppelten Schichten ohne Pause, arbeiten an Wochenenden und in der Nacht – die dauerhafte Belastung schlägt den deutschen Ärztinnen und Ärzten auf das Gemüt. Denn laut einer Befragung des Marburger Instituts arbeiten knapp 65 Prozent der in Vollzeit beschäftigten Ärztinnen und Ärzte mehr als 51 Stunden pro Woche und ganze 18,5 Prozent davon, sind mehr als 60 Stunden pro Woche in deutschen Kliniken tätig.
Warum das „Nein“ so schwer fällt
Hinzu kommt die Unfähigkeit vieler Ärzte und Ärztinnen „Nein“ sagen zu können. Die eigenen Grenzen zu erkennen und zu kommunizieren – fällt vielen schwer. Vor allem Ärztinnen und Ärzte mit engem Patientenkontakt bringen das vermeintlich „böse“ Wort kaum über die Lippen. Zu groß ist die Angst, dass das gesamte System zusammenbricht, wenn zum ohnehin bestehenden Fachärztemangel nun ein weiterer Personalengpass hinzukommt. Doch die Gründe für die Unfähigkeit zum Neinsagen sind vielfältig. Während einige Ärztinnen und Ärzte befürchten es hätte Konsequenzen, insofern sie der Chefärztin bzw. dem Chefarzt den gewünschten Gefallen abschlügen, möchten andere die Kolleginnen und Kollegen keinesfalls im Stich lassen und eine optimale Patientenversorgung gewährleisten.
Anderen hingegen fällt es aus Angst vor Ablehnung, Ausgrenzung oder gar eines möglichen Konflikts schwer nein zu sagen. Viele Ärztinnen und Ärzte fürchten, dass man sie aufgrund eines „Neins“ als nicht ausreichend belastbar, schlechten Teamplayer oder gar Egoisten abstempelt. Vor allem Frauen fällt es häufig deutlich schwerer „Nein“ zu sagen. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass Frauen in der Regel deutlich mehr Wert darauf legen von ihren Mitmenschen akzeptiert und gemocht zu werden. Für Männer spielt es hingegen eine deutlich größere Rolle, eigene Vorteile zu haben, als dass andere sie mögen.
Als Ärztin/Arzt ein souveränes „Nein“ umsetzen
Wer immer zur Stelle ist, kommt schnell an seine Grenzen. Oftmals ist es daher besser, die Bitte des Kollegen abzulehnen, statt zähneknirschend einzulenken und sein eigenes Privatleben in den Hintergrund zu stellen. Zudem muss das verpönte Neinsagen nicht zwangsweise einen harschen Beigeschmack haben. Ein Nein lässt sich souverän und freundlich ausdrücken, indem man zunächst wertschätzend auf das Anliegen des Gegenübers eingeht und anschließend eine alternative Lösung anbietet. Grade zu Beginn ist es häufig leichter, eine Bitte abzuschlagen, wenn eine Alternative angeboten werden kann.
Bittet die Nachbarpraxis also beispielsweise erneut darum, noch heute einen Patienten zu übernehmen, das Wartezimmer der eigenen Praxis aber ebenfalls aus allen Nähten platzt – darf die Bitte höflich aber dennoch konsequent abgelehnt werden. Gepaart mit dem Angebot, den Patienten vielleicht am darauffolgenden Tag anzusehen. Auch die Bitte des Patienten für schnellere Genesung ein Antibiotikum zu erhalten, welches aus medizinischer Sicht allerdings nicht erforderlich ist, darf souverän abgelehnt werden. Alternativ kann das Antibiotikum gerne abgeholt werden, insofern zum Ende der Woche noch keine Besserung eingetreten ist.
Um Bedenkzeit bitten
Selbstverständlich geht es nicht darum, jede Bitte Strikt abzulehnen, vor allem nicht dann, wenn das Patientenwohl darunter leiden könnte. Jedoch kann es enorm hilfreich sein, eine vorschnelle Antwort zu vermeiden und sich etwas Bedenkzeit zu verschaffen. In dieser Zeit sollte sich aktiv mit der Situation auseinandergesetzt werden, um gründlich abzuwägen ob tatsächlich noch Kapazität für die Gefälligkeit gegeben ist. Teilen Sie dem Kollegen aus der Nachbarpraxis oder der medizinischen Fachangestellten also mit, dass Sie nach Schichtende gerne nochmal auf Sie zurückkommen.
Die eigenen Grenzen erkennen
„Ja“-Sager sind oft sehr gutmütig. Ihnen fehlt die Selbstsicherheit die eigenen Belange, Wünsche und Erwartungen in den Vordergrund zu stellen. Deshalb ist es umso wichtiger die eigenen Grenzen zu erkennen. Dabei zeugt es nicht etwa von Schwäche, die eigene Bedürfnisse zu kommunizieren – im Gegenteil. Ein freundliches „Nein“ kann langfristig mehr Respekt einstreichen als grenzenlose Hilfsbereitschaft, schließlich zeigen Sie, dass Sie klare Prioritäten setzen können.
Übung macht den Meister
Kein Meister ist vom Himmel gefallen – dieser Leitsatz gilt auch beim Thema „Nein“ sagen. Was sich anfangs noch unnatürlich anfühlt, Gewissensbisse und Angst vor Konsequenzen hervorruft, wird nach einiger Zeit schon deutlich leichter von der Hand gehen. Was allerdings bleibt ist der Zeitgewinn, um sich nach der dritten Wochenendschicht in Folge, mal wieder etwas Entspannung zu gönnen.