Ein Medscape-Report aus diesem Jahr deckt auf: 15% der Ärzte haben in den letzten drei Jahren sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz beobachtet. 7% der Mediziner wurden dabei selbst von Kollegen sexuell belästigt. Doch welche Formen der sexuellen Belästigung in Kliniken gibt es? Welche Folgen haben die Übergriffe und wie kann man entgegenwirken?
Formen sexueller Belästigung in Kliniken
Von aufreizender Anmache bis hin zu Grabschen oder sogar Vergewaltigungen – es gibt verschiedene Weisen der sexuellen Belästigung in Krankenhäusern. Mit 61% sind anzügliche Kommentare sowie Blicke zum Aussehen oder auf bestimmte Körperregionen am häufigsten. Somit überwiegen verbale und nonverbale Varianten von Fehlverhalten.
Mit einer Häufigkeit von 56% folgt körperliche Annäherung oder das Unterschreiten eines Sicherheitsabstandes. Mehr als jeder zweite Arzt oder jede zweite Ärztin müssen außerdem unerwünschtes Anfassen, Umarmungen oder sonstigen Körperkontakt über sich ergehen lassen. 32% der befragten Ärzte oder Ärztinnen werden mit Vorschlägen über sexuelle Aktivitäten konfrontiert und 25% ständig nach Treffen gefragt.
Einem von 14 Medizinern wurde gar eine Beförderung als Gegenleistung für eine sexuelle Gefälligkeit in Aussicht gestellt. Ebenso viele wurden zu einem sexuellen Kontakt gezwungen. 5% der befragten Mediziner berichten darüber hinaus von Exhibitionismus, im Zuge dessen die Person sich selbst unsittlich berührt habe.
Wer ist der Täter oder die Täterin – und wer das Opfer?
Während fast jede 7. Ärztin unter den Teilnehmenden mindestens einmal in den vergangenen drei Jahren sexuelle Belästigung erlebte, erwähnte nur einer von 25 Männern solch einen Übergriff. Dementsprechend erlebten Frauen im Gesundheitswesen dreimal häufiger sexuelle Übergriffe. Nur 1% der Männer gaben im Zuge der Umfrage an, dass sie mit sexueller Belästigung, Fehlverhalten oder Missbrauch beschuldigt wurden.
Überraschend ist ferner, dass jede/r 4. Mediziner oder Medizinerin sexuellen Übergriffen von Patienten ausgesetzt war. Aufdringlichkeiten vom Krankenbett aus oder im Sprechzimmer finden also dreimal häufiger statt als von Kollegen oder Mitarbeitenden. Zudem sind Krankenpfleger oder Krankenpflegerinnen mit 38% verstärkt von sexuellem Verhalten seitens der Patienten betroffen. Dies ist damit zu erklären, da die Pfleger körperlich noch näher mit Patienten involviert sind als Ärzte. Und Körpernähe stellt schließlich einen Risikofaktor für sexuelle Verhaltensweisen dar.
Konsequenzen der sexuellen Belästigung
Der Medscape-Report ermittelt, dass fast die Hälfte der unter Belästigung leidenden Ärzte die Erfahrung als verletzend bis sehr verletzend bezeichnen. 39% gaben demnach an, dass das Erlebte eine Beeinträchtigung ihrer Tätigkeit darstelle.
Unter den häufigsten negativen Folgen liegen mit 21% Schlafprobleme, gefolgt von sozialer Isolation. Immerhin haben 67% der Opfer keine der in der Umfrage dargelegten negativen Auswirkungen angegeben. Aus dieser Angabe kann man schließen, dass mehr als der Großteil der Betroffenen keine negativen Veränderungen im Privatleben aufweist.
Erschreckend ist die Zahl der betroffenen Mediziner, welche den Täter nach dem Übergriff nicht melden: ganze 75% schweigen über die erniedrigende Erfahrung. Lediglich 9% sprechen mit einem oder mehreren Kollegen darüber, 5% erstatteten dem Management Bericht.
Doch weshalb melden Opfer der sexuellen Belästigung diese nicht? 40% der befragten Ärzte und Ärztinnen haben diesbezüglich Angst, dass man ihnen vorwerfe, überreagiert zu haben. 26% äußerten die Sorge, dass ohnehin niemand etwas unternehme. Auch mangelnde Unterstützung durch den Arbeitgeber spielt eine wichtige Rolle. Die Befürchtung, dass man Daten nicht vertraulich nutzt, haben ebenfalls 21% der Betroffenen.
Ferner erfolgt im Kontrast eine Kündigung sehr selten: nur jeder 4. Mediziner kündigt, während jeder 3. Arzt unter den Teilnehmenden versucht, dem Aggressor nach der Tat auszuweichen. Man muss dazu hingegen erwähnen, dass nur 3 von 10 der unter Übergriffen leidender Mediziner diese nicht oder kaum mit negativen Gefühlen abspeichern.
Wie kann man sexueller Belästigung in Kliniken entgegenwirken?
Die Gründe, weswegen die Opfer die Aggressoren oder zumindest die Tat nicht melden, implizieren einen größeren Handlungsbedarf der Arbeitgeber. Deswegen sei es wichtig, offen über das Thema in Kliniken zu kommunizieren. Dies sei ein wichtiger Schritt, um potenzielle Täter im Voraus abzuschrecken. Dies gilt sowohl für Mitarbeiter, als auch für Patienten. Zusätzlich gilt es, den richtigen Ansprechpartner zu finden. Dennoch reagieren Opfer von Übergriffen anders.
Ansprechpartner finden
Beschwerdestellen oder die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte sollten erste Ansprechpartner sein. Vertrauenspersonen könnte man zudem ernennen, dies ist jedoch abhängig von der Größe der Klinik. Hierbei sollten die Personen betonen, dass sie absolute Schweigepflicht haben und Vertraulichkeit wahren.
Außerdem ist die anonyme Möglichkeit der Meldung von Vorteil, wenn sich Opfer aus den oben genannten Gründen sonst nicht trauen. Die Anonymität erschwert zwar ein formelles Vorgehen, trotzdem ist die präzise Untersuchung von hoher Relevanz – und dieses Gefühl sollen die Betroffenen bekommen.
Spezifisch bei Patienten können mit sexuellen Übergriffen konfrontierte Ärzte oder Pfleger ihre professionelle Rolle hervorheben. Dazu gehört, den Patienten zu verdeutlichen, dass man als Mediziner lediglich seinen Job ausführt. Eine weitere Option ist, mit der Stationsleitung zu sprechen. Diese könnte den Patienten darauf aufmerksam machen, dass ein solches Verhalten nicht akzeptiert wird.
Alternativ können die Opfer einen Kollegen oder eine Kollegin zur Behandlung des aufdringlichen Patienten mitnehmen. Überdies bietet der Deutsche Ärztinnenbund (DÄB) mittels eines Faltblatts Hilfe an, wie man sich gegen sexuelle Taten wehren bzw. schützen kann. Weitere Informationen über sexuelle Belästigung bei Ärztinnen und wie sie sich wehren können, gibt es in diesem Artikel.
Ratschläge von Betroffenen
Doch zu welchem Handeln raten die betroffenen Ärzte oder Pfleger in der Praxis überhaupt? Die Ratschläge von Ärzten oder Ärztinnen, welchen sexuelle Verhaltensweisen widerfahren sind, könnten unterschiedlicher nicht sein. Während beispielsweise geraten wird, direkt zur Polizei zu gehen, mahnen andere zu Fingerspitzengefühl. Denn nicht immer sei sexuelle Belästigung als solche gemeint gewesen. In der Tat gebe es bei Menschen verschiedene Schwellen, bei welchen sexuelle Belästigung beginne. Das zeigt allerdings ebenso auf, dass Personen differierende Wahrnehmungen haben und Arbeitgeber diese ernst nehmen sollten.
Eine Ärztin spricht sich für einen Stufenplan aus: Zunächst dem Aggressor verbal unmissverständlich die Meinung sagen. Falls es notwendig sein sollte, sollte man sich auch körperlich wehren. Wirken die Worte nicht, sollte man Zeugen oder Dritte zur Hilfe holen. Das sei insbesondere dann essenziell, damit eine polizeiliche Anzeige Erfolg habe.