Regionalität ist ein Schlagwort, das in vielen Bereichen auftaucht: Nahrungsmittel sollen der Umwelt zuliebe regional sein oder der Handwerker aus Kostengründen nicht zu weit anfahren. Auch beim Kauf größerer Anschaffungen, wie Möbel oder Haushaltsgeräten kaufen viele trotz zahlreicher Online-Angebote immer noch gern beim Fachhändler um die Ecke. Doch auch Kliniken in ländlichen Räumen haben in letzter Zeit die Regionalität für sich entdeckt, um ihren Fachkräftemangel zu decken.
Regionalität im Recruiting ist daher ein wichtiges Thema, sowohl aus Bewerber- als auch aus Unternehmenssicht. Doch die Schnittmenge beider Interessenten zu decken, ist nicht immer einfach. Wie können also Kliniken, die ländlich gelegen sind, bei medizinischen Fachkräften punkten, um diese von sich zu überzeugen?
Tipps für Kliniken für mehr Regionalität im Recruiting
Eine Befragung von meinestadt.de hat ergeben, dass medizinische Fachkräfte in der Nähe ihres Wohnorts arbeiten wollen. Und zwar unabhängig von ihrem Anstellungsverhältnis oder der eigenen Niederlassung. Dabei ist es auch egal, ob es sich um Pflegefachkräfte, Ärztinnen und Ärzte oder Therapeut/-innen handelt. 86 Prozent legen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz nicht mehr als 30 Kilometer zurück. Jede(r) Zweite fährt sogar nur bis zu 9 Kilometer weit.
Dementsprechend klein fällt dann auch der Radius bei der Jobsuche aus. Denn der Job richtet sich nach dem Wohnort, nicht umgekehrt. Umfragen belegen, dass die Nähe zum Wohnort bei der Jobauswahl ausschlaggebend ist. 41 Prozent geben diese als sehr wichtig, 47 Prozent als wichtig und nur 12 Prozent als nicht so wichtig an. 87,8 Prozent wählen bei der Jobsuche einen gewünschten Radius von bis zu 49 Kilometern. Davon suchen 63 Prozent sogar nur im Umkreis von 29 Kilometern.
Welche Bedeutung hat Regionalität bei der Stellensuche?
Darum ist Regionalität im Recruiting auch aus Unternehmenssicht wichtig, um nicht „an der Realität vorbei“ zu rekrutieren. Kliniken müssen sich darüber bewusst sein, dass Pflegekräfte sowie Ärztinnen und Ärzte heimatverbunden sind und mehrheitlich in ihrer Wohnregion nach einem Job suchen. Das wiederum bedeutet, dass Arbeitgeber lernen müssen, das Fachkräfte-Potenzial in ihrer unmittelbaren Umgebung optimal auszuschöpfen.
Hier bieten sich neben Herausforderungen auch Chancen für Kliniken, vor allem bezüglich des sogenannten Employer Brandings. Dies ist eine unternehmensstrategische Maßnahme, bei der Konzepte aus dem Marketing angewandt werden, um ein Unternehmen als attraktiven Arbeitgeber darzustellen. Klinikleitungen sollten sich daher die folgenden Fragen stellen: Bin ich ein attraktiver Arbeitgeber für potenzielle Kandidat/-innen in der Region? Wie zufrieden sind meine aktuellen Mitarbeitenden? Kann ich deren Zufriedenheit steigern, damit sie ihre gute Meinung auch nach außen tragen? Klinikleitungen sollten primär ihre aktuellen Mitarbeitenden „glücklich machen“, um zukünftige zu gewinnen. Denn nichts ist vor allem im regionalen Raum so effektiv wie positive Mund-zu-Mund-Propaganda.
Wie kommen ländliche Kliniken an überregionale Fachkräfte?
Manchmal reicht die Mund-zu-Mund-Propaganda jedoch nicht aus, um das Potenzial der eigenen Klinik als attraktiven Arbeitgeber nach außen hin zu kommunizieren. Der Arbeitsmarkt ist nämlich auch außerhalb des eigenen Umkreises erschließbar, vor allem für junges Pflegepersonal und Ärztinnen und Ärzten mit kleinen Kindern. Hier muss die Botschaft lauten: „Wir sind ländlich, aber nicht provinziell und damit vor allem für junge Familien äußerst attraktiv.“ So kann ein vermeintlicher Standort-Nachteil gegenüber Großstädten zum Vorteil umgemünzt werden.
Studien zeigen, dass die Mehrheit, der auf dem Land oder in einer Kleinstadt lebenden Fachkräfte von den Vorzügen des Landlebens überzeugt ist. Vor allem in Mangelberufen wie der Altenpflege, in Kliniken oder Hausarzt-Praxen können sich Fachkräfte ihren Arbeitsplatz inzwischen aussuchen. Klinikleitungen sollten daher ihr Recruiting ganzheitlich betrachten und herauskehren, dass sich der Umzug in ihre Region auch für den Familienanhang lohnt. Stellenanzeigen sollten daher auf bezahlbare Mieten, gute Nahverkehrsmittel, Schulen und ein aktives Gemeindeleben hinweisen.
Wo suchen Fachkräfte nach regionalen Stellen?
Neben Stellenanzeigen in den Regionalzeitungen sind OnlineJobbörsen eine Anlaufstelle für die meisten Fachkräfte mit Berufsausbildung, insbesondere für die Jüngeren. Klinikleitungen sollten sich daher der steigenden Bedeutung von OnlinePlattformen bewusst sein. Besonders zu empfehlen sind Parallelschaltungen von Online- und Printanzeigen, um die Reichweite zu optimieren.
Regionalität: Was überzeugt Fachkräfte von einer Stellenanzeige?
Die Aussicht auf raketenhafte berufliche Werdegänge in international führenden Forschungskliniken sprechen zwar Karrieristen und Forschungsinteressierte an, sie geht aber an den tatsächlichen Bedürfnissen der meisten qualifizierten medizinischen Fachkräfte vorbei. Phrasen wie „Freuen Sie sich auf eine spannende, vielseitige und verantwortungsvolle Tätigkeit” oder „Ihrer Karriere stehen alle Türen offen“ beeindrucken viele Kranken- und Gesundheitspfleger sowie Ärztinnen oder Ärzte nicht.
Sie sind stattdessen an ehrlichen Vorzügen interessiert, die ihnen berufliche Sicherheit vermitteln: Argumente wie „klinikinterne Zulagen”, „langfristiges Beschäftigungsverhältnis” oder „Weihnachts- und Urlaubsgeld” überzeugen viel besser. Weitere Pluspunkte – sofern vorhanden – bringen „sehr gute Nahverkehrsanbindung“, „betriebsinterne Kinderbetreuung“ oder ähnliche Vorteile.
Praktische Tipps für Berufseinsteiger im ländlichen Bereich
Viele Krankenhäuser in ländlichen Regionen haben vor allem Probleme, junges ärztliches Personal und Berufseinsteiger zu finden. Die Frage, wie Klinikleitungen aktiv junges Personal rekrutieren können, ist daher wichtig. Das DRK Krankenhaus Kirchen im Westerwald bietet ein praktisches Beispiel für kreative Wege im Recruiting – mit gleichzeitigen Synergieeffekten für Hausarztpraxen.
„Famulatur-Urlaub“ und Schaffung von Anreizen
Das DRK Krankenhaus Kirchen im Westerwald wirbt bei der Rekrutierung seines ärztlichen Personals mit einem „Famulatur-Urlaub“ speziell um Medizinstudierende. Damit hofft das Krankenhaus, junge Ärztinnen und Ärzte zu gewinnen, die dann auch lange bleiben. Famulaturen bieten als Teil des Medizinstudiums über vier Monate hinweg praktische Einblicke in den Arztberuf und müssen von allen Studierenden am Ende des Studiums absolviert werden.
Nicki Billig, Kaufmännischer Direktor am DRK Krankenhaus Kirchen, erklärt die Hintergründe der Aktion so: „Die Anzahl der ärztlichen Bewerber stagniert insbesondere auf dem Land und in kleineren Häusern wie dem unseren für die Grund- und Regelversorgung. In einer Umgebung, in der andere Urlaub machen, sollen die angehenden Ärztinnen und Ärzte einen erholsamen Aufenthalt haben und gleichzeitig praktische Erfahrung sammeln.“
Die Studierenden sollen von der Arbeit in einer der schönsten Regionen Deutschlands durch zahlreiche Sehenswürdigkeiten in der Umgebung, interessante Freizeit- und Sportangebote und die Nähe zu den Großstädten Köln, Bonn und Koblenz überzeugt werden. 300 Euro Taschengeld, die Kostenübernahme für die Verpflegung sowie aktive Unterstützung bei der Suche nach einer bezahlbaren Unterkunft bieten zusätzliche Anreize für Studierende mit knappen Budgets.
Das DRK Krankenhaus Kirchen betont außerdem, dass in seiner vergleichsweise kleinen Klinik die Betreuung der Famulantinnen und Famulanten in engem Kontakt und familiärer Atmosphäre stattfindet. Da die Studierenden den Ärztinnen und Ärzte aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen über die Schulter schauen können, fällt ihnen später die Auswahl einer eigenen Fachrichtung deutlich leichter.
Synergie-Effekt für Hausarztpraxen
Die Aktion „Famulatur-Urlaub“ soll nach Nicki Billig jedoch nicht nur Fachkräfte für das eigene Krankenhaus bringen: „Zum einen dient der Famulatur-Urlaub der Nachwuchsgewinnung im eigenen Krankenhaus, in der Folge aber auch für die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Im regionalen Umfeld haben die meisten niedergelassenen Hausärzte früher im Krankenhaus gearbeitet – viele davon in unserem DRK Krankenhaus Kirchen. Die aktuelle Altersstruktur dieser Hausärzte ist ein Problem. Da in den nächsten Jahren viele von ihnen in den Ruhestand gehen werden und eine Praxisnachfolge nicht gesichert ist. Vor diesem Hintergrund haben Kommune und Krankenhaus ein beiderseitiges Interesse, ärztliches Personal für die Region zu gewinnen.“
Auch Stadtbürgermeister Andreas Hundhausen unterstützt von kommunaler Seite aus: „Die Stadt Kirchen unterstützt das DRK Krankenhaus gerne bei der Rekrutierung von medizinischem Personal. Für uns als Kommune ist das wichtig, daher finden wir das Engagement genau richtig.“
Weitere Beispiele für innovative Versorgungskonzepte in ländlichen Regionen
Wenn nicht schnell genug geeignetes Personal rekrutiert werden kann, muss die vorhandene Arbeit sinnvoll strukturiert werden. Denn nur dann kann der gesundheitliche Versorgungsbedarf der Bevölkerung gedeckt werden. Wie können Krankenhäuser, Arztpraxen und andere Gesundheitseinrichtungen in ländlichen Regionen also bereits in der Zwischenzeit wirtschaftlich arbeiten und gleichzeitig die wohnortnahe Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger gewährleisten? Mit einer Mischung aus professioneller Bedarfsplanung und innovativen Versorgungskonzepten kann dieser Konflikt so lange entschärft werden, bis das Recruiting Erfolg hat.
Beispiele hierfür sind:
- Die Entwicklung einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Gesundheitsberufen,
- Kooperationen zwischen haus- und fachärztlichen Arztpraxen zur Sicherstellung spezieller Leistungen z.B. in der Kinderheilkunde,
- die Übernahme von Aufgaben im ambulanten Bereich durch Kliniken in Kooperation mit niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten z.B. durch die Übernahme fachärztlicher Sprechstunden,
- Beratungsleistungen von größeren Krankenhäusern gegenüber kleineren Krankenhäusern für spezialisierte Bereiche, die dort nicht vorgehalten werden können,
- die digitale Vernetzung von Leistungserbringern auf Basis regionaler Patienten- oder Fallakten und
- telemedizinische Leistungen zwischen Leistungserbringern und Patienten, z.B. in Form von Video-Sprechstunden oder Monitoring von Vitalparametern wie Herzfrequenz, Blutdruck, Körpertemperatur etc.