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Generation 50+, Over-50s, Ü-50er, Best Ager – wie auch immer man die Gruppe der medizinischen Fachkräfte über 50 Jahren im Recruiting nennen mag: Ältere Arbeitnehmer/innen sind gerade in Zeiten des Fachkräftemangels eine große Bereicherung für Krankenhäuser und Praxen. Auf dem medizinischen Arbeitsmarkt ist in der Einstellungspraxis aber eher das Gegenteil der Fall: Für über 50-Jährige gestaltet sich die Jobsuche deutlich schwieriger als für ihre jüngeren Mitbewerber/innen.
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Altersdiskriminierung ist nicht nur strafbar, sondern v.a. für Arbeitgeber im Gesundheitswesen eine selbst gewählte Benachteiligung. Ältere Semester bringen viele Qualifikationen mit, von denen Kliniken, Praxen und Pflegeheime profitieren können. Immer mehr Arbeitgeber im Gesundheitswesen sollten daher gezielt auf die Generation 50+ setzen, statt sie auszugrenzen.
Wir legen hier den Fokus auf die Ärzte-Generation 50+ und erläutern die Gründe, weshalb es durchaus sinnvoll sein kann, ältere Kandidaten/-innen einzustellen.
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Mitarbeiter/innen in Gesundheitsberufen sind besonders belastet
60 bis 64-jährige Beschäftigte im Gesundheitssystem – aber v.a. in der Pflege – meldeten sich laut Angaben des Bundesgesundheitsamtes im Jahr 2021 im Schnitt knapp 47 Tage krank. Dies ist knapp dreimal so lange wie Beschäftigte in IT-Berufen. Die altersbedingte Entwicklung der Fehlzeiten ist somit insbesondere von der konkreten Tätigkeit und den damit verbundenen Arbeitsbedingungen und -belastungen abhängig. Allerdings zählen medizinische Gesundheitsberufe generell zu den eher belastenden Beschäftigungen; nicht nur bei den älteren Arbeitnehmern/-innen im Gesundheitswesen.
Über zwei Drittel aller Beschäftigten über 50 Jahre in Gesundheitsberufen sind laut Angaben des Bundesgesundheitsamtes wegen Muskel-Skelett-Erkrankungen in Behandlung. Davon betroffen sind aufgrund der generellen körperlichen Belastungen des Jobs aber auch 45 Prozent aller Ärzte/-innen unter 50 Jahre. In den nichtmedizinischen Gesundheitsberufen, zu denen auch die Pflege zählt, sind außerdem rund 46 Prozent der Beschäftigten über 50 wegen psychischen Störungen in Behandlung. In den rein medizinischen Gesundheitsberufen sind es 40 Prozent. Bei den jüngeren Ärzten/-innen leiden jeweils mehr als 30 Prozent an einer psychischen Störung, was aber ebenfalls Spitzenwerte im Branchenranking bedeutet.
Diese Zahlen müssen Personaler/innen im Gesundheitswesen alarmieren. Natürlich nimmt die Belastung für Ältere im Gesundheitswesen zu, aber sich nur noch auf jüngere Arbeitnehmer/innen zu verlassen, ist kontraproduktiv. Schließlich leiden diese erstens nur unwesentlich weniger unter dem Druck im Gesundheitssystem, und zweitens kann es sich in Zeiten von Corona-Pandemie und Fachkräftemangel keine Klinik leisten, eine ganze Arbeitnehmer-Generation grundlos auszugrenzen. Dennoch sind viele älteren Ärzte/-innen bei Personalern/-innen negativ behaftet.
Best Ager: Vorurteile
Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt z.B. wegen des Alters ist zwar gesetzlich verboten, die Realität in vielen Personalbüros sieht aber anders aus. Oftmals haben Personaler/innen im Gesundheitswesen inoffizielle „Cut-off-Grenzen“, also Geburtsjahrgänge, die sie gar nicht mehr auf dem Schreibtisch haben wollen. Für viele sind das Arbeitnehmer/innen ab 50 Jahren. Diese Rigorosität beruht meist auf unbegründeten Vorurteilen gegenüber älteren Ärzten/-innen, die sich hartnäckig halten.
Die sind dauernd krank
Ein weit verbreiteter Mythos der Generation 50+ sind häufige Arbeitsausfälle. Im Alter zwickt und zwackt es öfter und regelmäßige Arztbesuche kosten wertvolle Arbeitszeit. Wer z.B. wegen Altersdiabetes oder ähnlichen Wehwehchen regelmäßig zum Check-up muss, fehlt einen Tag im Monat. Das sind zwölf Arbeitstage im Jahr und damit fast zweieinhalb Wochen.
Das sind lernunwillige IT-Muffel
Das Vorurteil der starrsinnigen Best Ager, die „mit dem neumodischen Zeugs“ nichts zu tun haben wollen, ist meist unbegründet. Heutige 50-Jährige haben mit den radikalen Technik-Gegnern/-innen vor 20 Jahren wenig gemeinsam, denn die meisten Senioren/-innen sind durchaus versiert im Umgang mit E-Mail, Internet, Excel und Co. Aber natürlich tun sich Ältere z.B. bei der Umstellung auf ein neues PC-Programm schwerer als jüngere Digital Natives.
Die haben keine Wechselmotivation
Ein weiterer Mythos der Generation 50+ ist fehlende Wechselbereitschaft im Job. Angehörige dieser Generation haben viel erreicht und sind deshalb wenig motiviert, sich in ein neues, unbekanntes Klinikumfeld einzuarbeiten. Außerdem sehen einige Best Ager von einer Bewerbung ab, da die Aussichten auf einen neuen Job im Vergleich zur jüngeren Konkurrenz vermeintlich schlecht stehen.
Die sind viel zu teuer
Mit zunehmender Expertise durch viele Berufsjahre steigt das Gehalt. Einem/-r Professor/in mit 30 Jahren Erfahrung ein mittleres Gehalt anbieten zu wollen, hat natürlich wenig Chancen auf Erfolg. Allerdings bringen hohe Gehälter für viel Erfahrung auch viel wertvolles medizinisches Knowhow mit sich.
Das sind unmotivierte, nicht belastbare Arbeitsverweigerer
Oft eilt der Generation 50+ der Ruf voraus, dass sie bereits mit einem Bein im Ruhestand steht und sich daher „eben nicht mehr so richtig reinhängt.“ Wer schon viel erlebt und sich seine Sporen verdient hat, hat vielleicht auch tatsächlich nicht mehr den Elan, sich unbedingt beweisen zu wollen.
Was die Best Ager tatsächlich zu bieten haben
Arbeitskräfte aus dieser Generation haben im Gegenteil zu den unfairen Vorurteilen, mit denen sie auf dem Arbeitsmarkt behaftet sind, viele Vorzüge zu bieten. Durch jahrelange Erfahrung im Job konnten sie sich z.B. wertvolles Wissen, Soft Skills und soziale Kompetenzen erarbeiten. Best Ager glänzen daher mit vielen Kompetenzen und beweisen, warum die Vorurteile gegenüber der Generation 50 plus nicht stimmig sind.
Gehalt vs. Kosten
Auch wenn das Gehalt älterer Arbeitnehmer/innen höher ist: Die Kosten für Recruiting, Einarbeitung und Ausbildung fallen dafür deutlich geringer aus als bei Berufsneulingen. Außerdem wechseln junge Mitarbeiter/innen häufiger auf der Suche nach Karrierechancen die Klinik, was wiederum zusätzliche Kosten für das Krankenhaus mit sich bringt. Die Praxis zeigt außerdem, dass die Generation 50+ durchaus zu Kompromissen in puncto Gehalt bereit ist, denn andere Jobfaktoren sind dieser Zielgruppe wichtiger (z.B. Urlaub, gutes Arbeitsklima, freundliches Team etc.).
Technik-Know-how
Die Generation 50+ lernt vielleicht nicht schnell, dafür aber gründlich. Viele ältere Arbeitnehmer/innen glänzen oftmals mit Zuverlässigkeit und Genauigkeit, mit der sie eventuelle Lernschwierigkeiten wieder wettmachen.
Motivation, Werte, Flexibilität
Oft sind es gerade Ältere, die hohe Arbeitsmotivation, gefestigte Werte und eine vernünftige Einstellung zur Arbeit sowie Bereitschaft zum lebenslangen Lernen mitbringen. Außerdem ist im Alter von über 50 Jahren die Familienplanung abgeschlossen. Diese Generation ist daher sogar oft flexibler als junge Mitarbeiter/innen, denn die Kinder sind groß und die Zeit vor der Rente wollen viele nochmal dazu nutzen, sich zu beweisen.
Gesundheit
Die heutigen Senioren/-innen sind die gesündesten „Alten“, die es je gab. Hilfsmittel wie Kontaktlinsen und Hörgeräte gleichen Alterserscheinungen leicht aus und Medikamente fangen vieles ab. Außerdem haben viele den Sinn von Sport und Aktivität für Körper und Geist erkannt und halten sich privat fit und gesund. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (WFO) hat dazu im Dezember 2021 eine Studie veröffentlicht: Junge Personen fallen im Fehlzeitenreport demnach öfter als Personen höheren Alters infolge von Krankheit oder Unfall am Arbeitsplatz aus. Vor allem Personen bis 19 Jahre, aber auch die Altersgruppe der 20- bis 24-Jährigen weisen eine deutlich überdurchschnittliche Krankheitsinzidenz auf. Die Ü50-er punkten hier mit deutlich weniger Fehlzeiten.
Souveränität
Arbeitskräfte der Generation 50+ sind durch ihre Berufserfahrung krisenerprobt und wissen mit Rückschlägen und brisanten Situationen umzugehen. Sie glänzen durch souveränes Auftreten und eine gefestigte Persönlichkeit, durchdenken Entscheidungen logisch und reflektieren ihr eigenes Verhalten eher als jüngere.
Netzwerke
Vor allem im Bereich der Medizin und Pflege glänzen Ältere durch gute persönliche Vernetzung. Die Erarbeitung und Pflege beruflicher Netzwerke nehmen meist viele Jahre in Anspruch. Dies haben v.a. die Mediziner/innen der Generation 50+ bereits hinter sich. Sie kennen Professoren/-innen, Fachärzte/-innen und Kollegen/-innen verschiedenster medizinischer Bereiche und können mit einem einzigen Anruf stundenlanges Diagnoseraten überflüssig machen: „Ich habe grade einen interessanten Fall auf der Urologie-Station, zu dem ich gerne deinen Input als Virologe/-in hätte.“
Verantwortung
Was für die jüngeren Generationen oftmals abschreckend wirkt, ist für die Generation 50+ bereits Normalität. Ältere Arbeitnehmer/innen können mit verantwortungsvollen Aufgaben und dem damit verbundenen Leistungsdruck gut umgehen. Störende Nervosität und unangemessene Selbstzweifel liegen hinter ihnen.
Vertrauen
Gerade im Gesundheitswesen und in beratungsintensiven Tätigkeiten haben Arbeitnehmer/innen der Generation 50+ den Vorteil, dass sie automatisch mit Vertrauen und Glaubwürdigkeit verbunden werden. Es mag ein Vorurteil sein, aber Patienten/-innen aller Generationen neigen eher dazu, dem älteren Professor mit grauem Bart zu glauben oder der 60-jährigen Chefärztin mit Nickelbrille. Außerdem lassen sich junge Pflegekräfte und Ärzte/-innen gerne von Älteren helfen, wenn es um Fachwissen geht. Denn oft fühlt es sich – zumindest unbewusst – so an, als würde man einen Rat von einem Elternteil erhalten.
Führungskräfte
Ältere Mitarbeitende sind es meist gewohnt, Führungsqualitäten zu zeigen. Sie waren schon in vielen brenzligen Situationen und haben daher gelernt, auch unter misslichsten Umständen den Überblick zu behalten. Die bloße Anwesenheit von alten Hasen führt daher zu einer deutlichen Beruhigung von medizinischen Teams in Stresssituationen.
Best Ager: Vorteile
Die Vorteile der Generation 50+ auf einen Blick:
- Erfahrung und fachliches Know-how
- Engagement und Motivation
- hohe Sozialkompetenz
- geringe Bereitschaft, vor der Pensionierung den Job zu wechseln (wenig Fluktuation)
- hohe Loyalität gegenüber dem Krankenhaus
- Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen
- gute Ausbildung
- Flexibilität – finanziell und zeitlich
- großes medizinisches Netzwerk
- Fähigkeit, effizient zu priorisieren
- Disziplin und Zuverlässigkeit
- Souveränität im Umgang mit Problemen
- Selbstbewusstsein und Durchsetzungsvermögen
- professionelle Weitsicht in brenzligen medizinischen Fällen
- geschätzte Personalverantwortliche
- oft die erste Anlaufstelle bei Problemen von Pflegekräften, Ärzten/-innen und Therapeuten/-innen
- guter Eindruck bei Patienten/-innen und externen Therapeuten/-innen
Best Ager im Gesundheitswesen
Gerade im Gesundheitswesen drohen Personalmangel und Wissensverlust durch die Ausgrenzung von Ärzten/-innen ab 50. Kliniken sind demnach gut beraten, die Generation 50+ proaktiv einzubinden, denn es droht ein unkontrollierbarer Wissensverlust: Bis 2060 wird sich laut Angaben des Statistischen Bundesamtes die Zahl der potenziell erwerbsfähigen Menschen um 30 Prozent verringern. Und diese anstehende Pensionierungswelle wird dank der geburtenstarken Babyboomer schubweise kommen, denn schon seit 2020 gehen die ältesten Vertreter/innen in den Ruhestand.
Generationentandems, Job Sharing und Beraterverträge sind gute Lösungen. Man sollte die Generation 50+ schon jetzt aktiv einbinden und den Wissenstransfer an die jüngeren Ärzte/-innen einläuten. In der Praxis haben sich dabei sog. Generationentandems bewährt: Dabei arbeiten jeweils ein/e frisch ausgebildete/r Arzt/Ärztin und ein/e langjährig beschäftigte/r zusammen. So geht fast nebenbei und ganz natürlich wertvolles Erfahrungswissen auf den Nachwuchs über. Der/die jüngere Arzt/Ärztin kann dem/-r älteren Kollegen/-in gleichzeitig bei IT-Fragen helfend zu Seite stehen und Digitalkompetenzen weitergeben.
Eine abgewandelte Form des Generationentandems ist eine spezielle Form des Jobsharings: Dabei teilen sich ein/e junge/r und ein/e ältere/r Arzt/Ärztin eine Vollzeitstelle. Statt 100 Prozent arbeiten beide nur 50 Prozent und erzielen somit einen Generationen-Win-Win: Der/die ältere Arzt/Ärztin hat weniger Stress und der/die jüngere Arzt/Ärztin kann sich entweder der noch jungen Familie widmen oder die übrige Zeit für Fortbildungen und seine/ihre steile Karriere nutzen.
Steht das Rentenalter dann an, muss der Ruhestand jedoch kein finaler Abschied sein. Viele top-qualifizierten Ärzte/-innen sind weit über ihre Pensionierung hinaus körperlich und geistig fit und hoch motiviert. Auf dieses Wissen aufgrund einer Jahreszahl auf dem Personalausweis zu verzichten, wäre grob fahrlässig. Diese Ü-50er können ihren jüngeren Kollegen/-innen durch Beraterverträge helfend zur Seite stehen. Sie können individuell geschlossen, ausgestaltet und hoch flexibel eingesetzt werden.
Wie gewinnen Kliniken Best Ager für sich?
Krankenhäuser und Arztpraxen sollten bei der Rekrutierung älterer Semester drei wesentliche Punkte beachten.
- Recruiting-Strategie an die älteren Arbeitnehmer/innen anpassen: Beim Rekrutieren älterer Mitarbeiter/innen sollten Krankenhäuser und Praxen ihre Anforderungen neu definieren und die Bedürfnisse der Ü-50er berücksichtigen. Statt per Social Media sollte man nach Best Agern eher auf klassischen Karriere-Portalen und per Zeitungsannonce suchen.
- Attraktive Voraussetzungen am Arbeitsplatz für ältere Semester schaffen: Viele Arbeitgeber schicken ihre älteren Mitarbeiter/innen einfach in den Ruhestand. So gehen geübte Fertigkeiten und wertvolles internes Wissen zugunsten einer vermeintlichen Kostenersparnis verloren. Ein besserer Weg ist der Übergang zur Pensionierung per schrittweiser Altersteilzeit. Gesundheits-Programme (z.B. klinikinterne Gymnastik-Angebote von Physiotherapeuten/-innen) oder andere gesundheitsfördernde Maßnahmen (z.B. Power Napping, Yoga, vitaminreiches und kalorienbewusstes Kantinenessen) tragen zu einem gesunden Miteinander von Jung und Alt bei.
- Förderungen für die Generation 50 plus nutzen: Auch der Staat hat mittlerweile erkannt, wie wichtig es ist, das Potenzial älterer Semester am Arbeitsmarkt zu nutzen. Ein relevantes Förderangebot ist daher z.B. die sog. „Beschäftigungsinitiative 50+ zur Integration älterer Arbeitnehmer/innen“ des Bundesministeriums für Arbeit. Dabei übernimmt der Staat einen Teil des Gehalts, sofern dadurch ältere Arbeitnehmer/innen aus dem vorzeitigen Ruhestand oder längerer Altersarbeitslosigkeit herausgehalten werden. Die finanzielle Eingliederungsbeihilfe des Bundes für die Anstellung von Arbeitslosen ab 50 Jahren macht dies attraktiv.