
Überstunden und Sonderschichten gehören vor allem im Gesundheitswesen inzwischen fest zum Berufsalltag. Ärzte/-innen, Therapeuten/-innen und Pflegepersonal sind chronisch überlastet und überarbeitet. Folglich sind die Krankenstände bei medizinischem Fachpersonal so hoch wie nie. Das liegt nicht nur an den Folgen der Corona-Pandemie, sondern an einer generellen Überlastungssituation des Gesundheitssystems durch Fachkräftemangel.
Dass das überarbeitete Personal in Krankenhäusern bei diesen ungünstigen Voraussetzungen nicht gerade mit jubelndem Elan zur Arbeit kommt, ist verständlich. Manchen geht die aktuelle Situation im Gesundheitswesen inzwischen jedoch noch näher: Sie schotten sich auf der Arbeit innerlich ab und verrichten ihre Aufgaben nur noch mechanisch. Diese medizinischen Fachkräfte haben innerlich bereits gekündigt, sind gedanklich einfach nicht mehr bei der Sache oder spielen gar mit dem Gedanken an einen generellen Berufswechsel in eine Berufssparte ohne permanente Überforderung. Dieses psychologische Phänomen nennt man „Quit Quitting“. Wir erläutern, was Quiet Quitting ist, welche Symptome und Ursachen es hat, welche positiven Seiten es mit sich bringt, wie es sich von der inneren Kündigung abgrenzt und was Arbeitgeber/innen im Gesundheitswesen dagegen tun können.
Quiet Quitting: Definition
Quiet Quitting ist ein modernes Phänomen, das publikumswirksam auf der App TikTok durch Zaid Zepplin zu allgemeiner Bekanntheit gelangte. Er riet seinen durchschnittlich sehr jungen Followern/-innen unzweideutig: „Du kündigst nicht deinen Job, arbeitest aber nicht mehr als dein Vertrag vorsieht. Arbeit ist nicht dein Leben. Dein Wert als Mensch definiert sich nicht über deine Produktivität.“
Quiet Quitting meint also „Dienst nach Vorschrift“ ohne die vor allem aktuell im Gesundheitswesen aufgrund der äußeren Umstände essenzielle Bereitschaft, über das vertraglich geregelte Pensum hinaus zu arbeiten. Generell geht der Trend auf dem gesundheitlichen Arbeitsmarkt in den letzten Jahren mehr und mehr zur Wahrung einer Work-Life-Balance über. Die Arbeit und der berufliche Aufstieg stehen selbst für hochqualifiziertes medizinisches Fachpersonal nicht mehr im Fokus. Insbesondere das jüngere, derzeit frisch ausgebildete und erstmals auf den Arbeitsmarkt dränge medizinische Fachpersonal stellt nicht die Karriere, sondern seine eigene berufliche Zufriedenheit und Zeit fürs Privatleben in den Vordergrund.
Die junge Fachpersonal-Generation in Krankenhaus und Praxis verlässt aber nicht den Gesundheitsbereich und kündigt auch nicht, obwohl „quitting“ übersetzt „kündigen“ heißt. Viele richten sich in ihrem für die persönlich unbefriedigenden Job mehr oder weniger gemütlich ein. Sie tun nur das Nötigste und haben als einziges berufliches Ziel, leistungsmäßig „gerade so durchzurutschen“, dass sie nicht aufgrund von Arbeitsverweigerung entlassen werden. Der Trend ist, leistungsmäßig „unter dem Radar zu fliegen“ und weder positiv noch negativ aufzufallen. So behält man seine Stelle und sein Gehalt bei minimalem Leistungsinput.
Quiet Quitting: Symptome
Wachsende Frustration am Arbeitsplatz ist der Hauptindikator für Quiet Quitting. Diese kann vielfältige Symptome haben und wird je nach Arbeitnehmer/in persönlich anders wahrgenommen. In der Regel stellt sich aber der Eskalationsverlauf wie folgt dar:
- Wachsende Lustlosigkeit: „Ich würde am liebsten gar nicht ins Krankenhaus fahren.“
- Nachlassende Eigeninitiative: „Ich biete nicht mehr von mir aus an, die Tabletteneinteilung zu übernehmen.“
- Passivität und Prokrastination: „Ich mache mir jetzt extra langsam einen Tee, bevor ich die Infusionen richte.“
- Kreativitätsarmut: „Wenn meinen Kollegen/innen keine Idee kommt, wie wir heute den OP-Ablauf organisieren, mache ich mir garantiert keinen Kopf.“
- Ausbleibende Beteiligung: „Ich sage bei der Stationsübergabe nichts mehr.“
- Beginnende Gleichgültigkeit: „Ist mir doch egal, ob die neue Schwesternschülerin damit überfordert ist, wenn sie was wissen will, soll sie jemand anderes fragen.“
- Sinkende Produktivität: „Na und, dann macht das halt die Nachtschicht, die haben doch Zeit.“
- Streichen aller Zukunftspläne (in diesem Unternehmen): „Nee, an dieser Krankenhaus-internen Teambuilding-Maßnahme nehme ich nicht teil.“
- Stiller Rückzug („Dienst nach Vorschrift“): „Überstunden? Pff, ich habe jetzt Schluss.“
- Zunehmende Abneigung (gegenüber Job und Kollegen): „Wenn ich diesen Doktor XY schon auf Station kommen sehe, könnte ich …“
- Häufiges Klagen, negative Kommentare und Kritik: „Ihr schafft es ja nicht mal, den OP allein vorzubereiten.“
- Regelmäßiges Zuspätkommen oder Fehlen (Absentismus): „Den Stress mit dem früheren Zug tue ich mir nicht mehr an, der nächste ist nicht so voll. Dann verpasse ich halt die Stationsübergabe, was soll‘s.“
- Steigende Krankmeldungen: „Ich glaube ich habe ein bisschen Kopfweh, ich bleibe zuhause.“
- Angespannte Beziehungen (zu Chef/in und Kollegen/-innen): „Der Chefarzt ist ein arroganter Vollidiot, der ist nur neidisch auf meinen guten Abschluss im Medizinstudium und gibt mir jetzt wegen seinen Minderwertigkeitskomplexen mehr Aufgaben.“
- Minderleistung: „Ich tue nur das Nötigste auf Station, und das in grade mal ausreichender Qualität.“
- Arbeitsverweigerung: „Nein, die Fieberkurven führe ich nicht mehr. Das kann Schwester XY ab jetzt machen.“
Quiet Quitting: Ursachen
Quiet Quitting kann viele Ursachen haben. Die häufigsten Auslöser sind jedoch fehlendes Feedback und mangelnde Wertschätzung am Arbeitsplatz sowohl von Kollegen/-innen als auch von Vorgesetzten bzw. vom Arbeitgeber. Es ist enorm demotivierend, wenn z.B. eine Physiotherapeutin nicht weiß, ob ihre Kollegen/-innen mit ihrer Arbeit zufrieden sind oder wenn z.B. ein Krankenpfleger von der Stationsleiterin nie ein Feedback erhält.
Bei Arbeitnehmern/-innen mit Karrierewunsch kommt außerdem meist eine zunehmende Perspektivlosigkeit hinzu. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn man z.B. als Krankenschwester bei Weiterbildungsangeboten nie berücksichtigt wird oder z.B. als Chefarzt/-ärztin bei Beförderungen immer wieder übergangen wird.
Zu den häufigsten Ursachen für Quiet Quitting gehören:
- Fehlende Anerkennung
- Unterforderung und Monotonie
- Arbeitsbedingte Überforderung
- Perspektivlosigkeit
- Bedeutungslosigkeit der Arbeit
- Unfaire Kritik
- Ungerechte Bezahlung
- Unrealistische Erwartungen
- Hoher Leistungsdruck
- Willkürliche Entscheidungen
- Belastendes Arbeitsklima
- Intransparente Führung
- Häufige Konflikte
Quiet Quitting im Gesundheitswesen und Corona
Quiet Quitting ist nicht ohne Grund ein Problem vor allem im Gesundheitswesen. Neben genereller Überforderung, Überstunden und Fachkräftemangel gab es in den letzten Jahren einen weiteren großen Einflusspunkt: die Corona-Pandemie.
Über Pflichtimpfungen für Medizin-Personal kann man denken, wie man will. Klar ist aber: Die Vorgehensweise vieler Krankenhausverwaltungen bezüglich einer betriebsinternen Impfpflicht war etwas fragwürdig bis absolut unangemessen. Vor allem Angestellte im Gesundheitswesen haben schmerzhaft bemerken müssen, dass ihre Arbeitgeber sie nicht nur komplett im Stich gelassen haben, sondern oftmals zusätzlich schikaniert: Vielen Impfunwilligen wurde widerrechtlich gekündigt, freiberufliche Hebammen/Geburtshelfer wurden einfach nicht mehr eingeteilt und viele wurden massiv unter Druck gesetzt, sich gegen ihren Willen impfen zu lassen.
Diese missbilligende Behandlung haben weder die Impfunwilligen selbst vergessen noch die geimpften Kollegen/-innen auf Station. Sie haben als Zuschauende unmittelbar gesehen, wie harsch mit jemandem umgegangen wird, der eine andere Ansicht hat. Viele haben daraus den Schluss gezogen, dass sie sich für einen Arbeitgeber, der ihre Wünsche nicht respektiert, künftig nicht mehr überarbeiten.
Quiet Quitting oder Innere Kündigung?
Quiet Quitting klingt nach einer englischen Übersetzung der inneren Kündigung und scheint damit auf den ersten Blick dasselbe zu sein. Das ist jedoch nicht korrekt, denn Quiet Quitting und die innere Kündigung unterscheiden sich in einer Kleinigkeit: Beim Quiet Quitting ist man zwar allgemein mit der beruflichen Gesamtsituation unzufrieden, kann sich aber noch nicht zu einer aktiven neuen Jobsuche aufraffen, weil man noch nicht „genervt“ genug dazu ist. Man fühlt sich zwar unwohl und alles ist irgendwie suboptimal, aber ein Arbeitgeberwechsel ist (noch) zu arbeitsaufwendig: Stellenanzeigen durchforsten, Lebenslauf aktualisieren, Bewerbungen schreiben, Vorstellungsgespräche …
Bei der inneren Kündigung ist das unzufriedene Fachpersonal gedanklich aber schon in einer anderen Klinik oder Praxis. Gekündigt wurde in diesem Fall nur noch nicht tatsächlich, weil z.B. noch keine passende Jobalternative gefunden wurde oder weil man noch mit Feinheiten hadert, z.B. dass man ggf. einen Umzug, eine längere Anfahrt jeden Morgen oder eine Gehaltskürzung hinnehmen müsste. Da wird dann eher abgewogen: Bin ich wirklich so unzufrieden, dass es mir dreihundert Euro im Monat weniger auf dem Konto und dafür den Stress eines Umzugs oder einen längeren Arbeitsweg jeden Morgen wert ist?
Quiet Quitting positiv betrachtet
Quiet Quitting wird generell sehr negativ betrachtet, kann aber auch positiv ausgelegt werden. Vor allem die jüngere Generation der Arbeitnehmenden ist bei positivem Framing nicht etwa „zu faul“ oder „zu egoistisch“, um „ordentliche Arbeit zu leisten“. Die jungen Fachkräfte haben vielmehr ein intuitives Gespür dafür, dass die „Work-till-you-drop“-Einstellung der 1980er- und 1990er-Jahre inzwischen einfach der Vergangenheit angehört.
Es kann auch als positiv bewertet werden, dass Arbeitnehmende heutzutage ein Gefühl dafür entwickelt haben, wann bei ihnen das Limit erreicht ist. Noch bevor es zu einem Burnout kommt, ziehen viele intuitiv die Notbremse – oftmals ohne es zu wissen oder sich bewusst dafür zu entscheiden. Sie spüren einfach: „Ich kann gerade nicht mehr leisten als das Minimum, ohne mich zu überfordern.“ Manche Quiet Quitter haben einfach nur eine mehr oder weniger kurze Phase, in der sie runterschalten, und drehen danach aber wieder von ganz allein auf „Normalniveau“ auf. Das dient nicht nur der Selbsterhaltung und der eigenen Gesundheit, sondern damit auch langfristig den Kollegen/-innen, dem Krankenhaus und dem Arbeitgeber. Wer seine Gesundheit schützt, bevor sie einen Schlag erhält, tut allen etwas Gutes.
Fazit: So beugen Arbeitgeber im Gesundheitswesen Quiet Quitting vor
Arbeitgeber im Gesundheitswesen stehen dem Quiet Quitting längst nicht so machtlos gegenüber, wie es scheinen mag. Natürlich gibt es einige Faktoren, die sich negativ auf die Arbeitgeberzufriedenheit – und damit auf das Zunehmen des Quiet Quitting – auswirken, und die nicht im Einflussbereich der Arbeitgeber stehen: Überarbeitung durch Fachkräftemangel, Fehlzeiten durch Krankheit, Stress durch hohes Arbeitsaufkommen etc.
Es gibt jedoch auch einiges, was Arbeitgeber im Gesundheitswesen trotzdem tun können, um Quiet Quitting wirksam vorzubeugen:
- Benefits: Arbeitszeitflexibilisierung, Work-Life-Balance, Überstundenvergütung, Kinderbetreuung etc. sind heutzutage beliebte Anreize, die das Personal zuverlässig binden.
- Workforce Planning: Wer effektiv plant, verhindert Personalunterdeckungen und folglich Mehrarbeit. Dazu ist regelmäßige und vor allem ehrliche Rücksprache mit den Stationen nötig: Geht bei euch grade die Grippe um? Gibt es sichtbar überforderte oder kränkelnde Mitarbeitende?
- Absenz-Management: Fehlzeiten im Unternehmen können durch zuverlässige Vertretungspläne bereits im Vorfeld aufgefangen und damit kurzfristige Engpässe reduziert werden.
- Überstundenregelung: Zusätzliche Arbeit muss bezahlt oder anderweitig entlohnt werden, z.B. durch Urlaubstage, Zuschüsse zu Weiterbildungen etc.
- Mobile Working: Home-Office, Remote Work etc. sind generell für Verwaltungspersonal denkbar, aber je nach technischer Ausrüstung auch auf manchen Stationen z.B. für den „Papier- bzw. Computerkram“ denkbar.
- Ausgleichsprogramme: Entspannende Ausgleichs-Sportarten wie Tai-Chi, Yoga und Meditation können den Stresspegel nach der Arbeit senken. Aber auch schweißtreibende Power-Sportarten wie Boxen, Circle Training und Crossfit sollten Beachtung finden, da sich manche Mitarbeitende lieber aktiv auspowern statt passiv entspannen.
- Betriebliches Gesundheitsmanagement: Raucherentwöhnungsangebote, Abnehm-Kurse, gemeinsames Kochen, Autogenes Training, psychologische Beratungsangebote etc. unterstützen die gesundheitliche und mentale Fitness.
- Wertschätzungskultur: Lob und Anerkennung am Arbeitsplatz sind unverzichtbar. Stationen sollten eine grundlegende Wertschätzungskultur etablieren, in der Stationsleiter/innen freigiebig Lob und Ansporn verteilen.
- Chefsache Mitarbeiter-Wertschätzung: Klinikchefs/-innen und Personalleiter/innen sollten sich gelegentlich persönlich auf den Stationen sehen lassen und Lob verteilen, Kritik annehmen, Wünsche ernst nehmen und mit den Mitarbeitenden auf Augenhöhe interagieren.