
In der Gesundheitswirtschaft gibt es zahlreiche klassische Frauenberufe. Die Krankenschwester oder Arzthelferin sind Synonyme für Berufsbilder, die ganz überwiegend weiblich besetzt sind. Immerhin findet man auch bei ärztlichen Funktionen einen hohen Frauenanteil. Bescheidener sieht es bei Führungs- und Managementpositionen aus. Hier ist – entgegen einem allgemeinen gesellschaftlichen Trend – die Bedeutung der Frauen sogar rückläufig, so die Ergebnisse einer aktuellen PwC-Studie.
“Frauen in der Gesundheitswirtschaft 2020. Yes She can! Warum das Gesundheitswesen mehr weibliche Führungskräfte braucht!” Unter diesem Titel hat die renommierte Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers – kurz PwC – Rollen und Funktionen von Frauen im Gesundheitswesen unter die Lupe genommen. Dazu wurden Stellenbesetzungen in rund 8.000 Institutionen des Gesundheitswesens untersucht – es handelt sich um Krankenhäuser, Krankenversicherungen, Pharma- und Medizintechnikunternehmen, Ministerien, Behörden, Verbände und wissenschaftliche Einrichtungen. Eine Kernerkenntnis in der Analyse: es besteht Handlungsbedarf, denn in Führungsetagen der Gesundheitswirtschaft sind Frauen unterrepräsentiert, und ihr Anteil steigt nicht etwa, sondern sinkt.
Drastischer Frauenrückgang bei Leitung in Politik und Verwaltung
Traditionell ist das Gesundheitswesen ein Segment der Volkswirtschaft mit einem besonders hohen Frauenanteil. Mehr als 75 Prozent der Beschäftigten sind Frauen. Diese sind allerdings zum größten Teil in dienender und ausführender Funktion tätig, eben als Krankenschwester, Arzthelferin, in administrativen Tätigkeiten oder sonstigen Service-Funktionen. Bei Arzt- und Praxishilfen beträgt der Frauenanteil laut Statistischem Bundesamt sogar 98 Prozent. Für diese hohen Anteile gibt es verschiedene Gründe. Einer ist: bei solchen Tätigkeiten sind oft Teilzeitbeschäftigungen möglich, was den Bedürfnissen vieler Frauen entgegenkommt, die Familie und Beruf unter einen Hut bringen wollen oder müssen.
Bei Leitungsfunktionen zeigt sich ein völlig anderes Bild. In den Führungsetagen des Gesundheitswesens ist weniger als jede dritte Führungskraft weiblich – anteilig ausgedrückt 29 Prozent. Gegenüber der letzten Messung vor fünf Jahren bedeutet das einen Rückgang um vier Prozent-Punkte. Damals betrug der weibliche Anteil noch 33 Prozent. Im TOP-Management – an der Leitungsspitze – sieht es noch düsterer aus. Hier ist nur jede sechste Spitzenposition weiblich besetzt. Besonders auffällig bei dieser Entwicklung: in Ministerien und Behörden mit Gesundheitsbezug ist der Frauenanteil in Führungsfunktionen besonders stark eingebrochen – um nahezu ein Drittel. Und das trotz vieler Erklärungen der Politik, Aufstiegschancen von Frauen fördern zu wollen, trotz Gleichstellungsbeauftragten und -gesetzen.
Ostdeutschland – mehr Frauen in der Leitung
Deshalb lohnt es sich, gerade im Bereich der öffentlichen Verwaltung etwas genauer hinzuschauen. 2015 betrug der Frauenanteil in Leitungspositionen von Ministerien und Behörden noch 44 Prozent, fünf Jahre später erreicht er gerade noch bei 31 Prozent. Besonders stark war der Rückgang im Bereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Hier sank der Frauenanteil in Leitungsfunktionen von 46 Prozent auf 28 Prozent. Interessant sind auch geografische Auffälligkeiten. So fiel die Frauenquote auf Führungsebene in den neuen Bundesländern binnen fünf Jahren von 49 Prozent auf 30 Prozent. Das bedeutet sogar einen Rückgang um fast 40 Prozent.
Dennoch täuscht der Eindruck, in Ostdeutschland hätten es Frauen besonders schwer, in Führungspositionen im Gesundheitswesen aufzusteigen. Über alle Bereiche hinweg betrachtet ist ihr Leitungsanteil sogar deutlich höher als in den alten Bundesländern. Besonders ausgeprägt zeigt sich das in der Leitung von Krankenhäusern. Hier liegt der Frauenanteil in vier von sechs der neuen Bundesländer bei über 40 Prozent, in Thüringen und Berlin nur knapp unter dieser Marke. In den alten Bundesländern schafft das nur Bremen mit einem Anteil von 44 Prozent. Je weiter man nach Westen schaut, umso geringer wird der Frauenanteil. Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bilden die Schlusslichter mit Anteilen von 30 Prozent.
Ein typisches Beispiel für die Geschlechterverteilung in einem westdeutschen Krankenhaus bietet vielleicht das Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Hier beträgt der Frauenanteil in der Gesundheits- und Krankenpflege mehr als 80 Prozent, im ärztlichen Dienst liegt er immerhin bei 45 Prozent. Dennoch bildet das Klinikum eine Ausnahme im Vergleich zu vielen anderen Häusern im Land, denn zwei Frauen sind für die kaufmännische Geschäftsführung zuständig – eine Seltenheit.
Veränderung zum Positiven oft nur langsam
Es gibt aber auch positive Veränderungen: nicht in allen Bereichen des Gesundheitswesens sind die Frauenanteile in Leitungsfunktionen in den letzten Jahren rückläufig gewesen. Bei wissenschaftlichen Einrichtungen hat sich der Frauenanteil in der Leitung seit 2015 von 32 Prozent auf 35 Prozent erhöht, bei Verbänden vom gleichen Ausgangsniveau aus auf 36 Prozent. Von einer repräsentativen Vertretung entsprechend des Bevölkerungsanteils ist das allerdings noch weit entfernt. Würde die Veränderungsgeschwindigkeit der letzten fünf Jahre beibehalten, könnte man in etwa 20 bis 25 Jahren mit einer ungefähren Gleichverteilung der Geschlechter rechnen. Das dürfte vielen Frauen deutlich zu langsam sein.
Auch in Managementfunktionen gibt es typische weibliche Domänen und “weiße Flecken”. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wird seit jeher überdurchschnittlich häufig von Frauen geleitet – in wissenschaftlichen Einrichtungen zu 69 Prozent, in Verbänden zu 56 Prozent. Weitere Bereiche mit guten Karrierechancen für Frauen: Personalwesen und Rechnungswesen. Selbst bei den traditionell als Männerdomäne geltenden Krankenversicherungen steht der Human Resources-Bereich zu 51 Prozent unter Leitung von Frauen.
Erfreulich positiver Trend im Pharmabereich
Die wohl erfreulichste Entwicklung weist die Pharmabranche auf. Pharmaunternehmen gelten eigentlich eher als konservativ und männerbestimmt. Dennoch liegt der Frauenanteil in der deutschen Pharmaindustrie mittlerweile bei 40 Prozent. Und auch an der Spitze der Unternehmen tut sich was. Mittlerweile ist jede fünfte Position im TOP-Management von Pharmaunternehmen mit Frauen besetzt – das ist fast ein Drittel mehr als vor fünf Jahren. Im mittleren Management gibt es sogar ein leichtes Frauen-Übergewicht. Hier sind 55 Prozent der Stellen weiblich besetzt. Insgesamt ist in der Pharmabranche jede vierte Führungskraft eine Frau. Das ist immer noch deutlich weniger als der Frauenanteil in der Bevölkerung, aber die Veränderungsdynamik der Pharmabranche zum Positiven lässt nahezu alle anderen Bereiche des Gesundheitswesens weit hinter sich.
Mehr Anstrengungen erforderlich
2015 wurde das “Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im Öffentlichen Dienst” eingeführt. Betrachtet man das Gesundheitswesen, hat es – von Ausnahmen abgesehen – seither eher Rückschritte als Fortschritte in dieser Hinsicht gegeben. Das Ziel, den Anteil von Frauen in den Führungsgremien von Wirtschaft und Verwaltung wesentlich zu erhöhen, wurde im Gesundheitswesen offenkundig nicht erreicht. Die bisherigen Anstrengungen für mehr Frauen in Führungspositionen genügen nicht – es muss mehr getan werden.
1. Das Gesundheitswesen legt personalpolitisch den Rückwärtsgang ein, www.pwc.de (Abrufdatum: 01.12.2020)
2. Personal in Krankenhäusern und medizinischen Praxen arbeitet häufiger in Teilzeit, www.destatis.de (Abrufdatum: 01.12.2020)