Wer in Deutschland krank wird, sucht sich selbst aus, zu welchem Arzt er geht: zum Hausarzt oder zu dem Spezialisten, den er für passend hält. Dieser Arzt untersucht und behandelt. Seine Daten und Untersuchungsergebnisse behält er für sich. Die Deutsche Gemeinschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) will, dass sich das ändert. In einem Positionspapier fordert sie das Primärarztprinzip. Was würde diese Umstellung für den Patienten bedeuten?
So funktioniert das Primärarztprinzip
Das Primärarztprinzip ist in mehreren Ländern Europas schon lange üblich. Egal, welcher Körperteil Beschwerden macht, als erstes geht man zum Hausarzt. Der hört zu, untersucht und ordnet die Durchführung einer Blutabnahme an oder führt andere Tests durch. Was der Allgemeinmediziner diagnostizieren und behandeln kann, darum kümmert er sich sofort. Wenn ein Besuch beim Spezialisten nötig ist, schreibt der Hausarzt eine Überweisung. Mit der geht man dann zum Facharzt. Dieser übermittelt alle Informationen an den Hausarzt zurück: Testergebnisse, Behandlung, verschriebene Medikamente. In der Hausarztpraxis laufen alle Fäden zusammen.
Kürzere Wartezeiten, schnellere Behandlung
Zuerst zum Hausarzt, egal was wehtut – was bringt das?, könnte man sich fragen. Viel, wie sich herausstellt. Denn für die häufigsten Krankheiten braucht es keinen Facharzt. Der Allgemeinmediziner ist umfassend ausgebildet und kann vieles direkt selbst behandeln. Das spart den Gang zum Spezialisten.
Außerdem kann sich der Hausarzt bei jedem Besuch um mehrere Körperteile kümmern. Statt mit dem Rücken zu einem Facharzt zu gehen, mit dem Knie zu einem anderen und mit dem Magen zu einem dritten, reicht ein einziger Besuch in der Hausarztpraxis. Die Facharztpraxen hätten das Wartezimmer also nicht mehr halb so voll. Das bedeutet: Wenn man wirklich einen Facharzt braucht, bekäme man mit dem Primärarztprinzip deutlich schneller einen Facharzttermin.
Zu den wichtigsten Vorteile gehört außerdem sicherlich, dass der Hausarzt im Sinne des ersten Ansprechpartners auch Vertrauensarzt, Koordinator und Lotse ist. Er behandelt selbst, was er kann und gleichzeitig begleitet und koordiniert er die Behandlung des Patienten und leitet ihn im Rahmen der heutigen vielfältigen Behandlungs- und Therapiemöglichkeiten.
Umfassende Untersuchungen statt Fachblindheit
Geht der Patient direkt zum Facharzt und übergeht den Hausarzt, können Nachteile entstehen.
Ein Patient kommt mit Brustschmerzen zum Kardiologen. Welches Organ wird dieser verdächtigen? Das Herz. Entsprechend wird er seine Untersuchungen anstellen. Erst, wenn er am Herzen wirklich nichts gefunden hat, wird er den Patienten nach Hause schicken. Die Schmerzen sind noch da. Wo geht der Patient als nächstes hin? Vielleicht zum Lungenarzt. Dieser untersucht die Lunge und findet nichts. Erst der dritte Mediziner kommt auf die richtige Lösung: Die Speiseröhre ist schuld. Solche Facharzt-Odysseen sind in Deutschland trauriger Alltag. Denn jeder Spezialist kennt sich nur in seinem Fachgebiet gut aus. Dort hat er viel Erfahrung.
Aber von dem, was im menschlichen Körper noch so alles passieren kann, haben die Spezialisten weniger Ahnung als die Allgemeinmediziner. Der Hausarzt dagegen sieht täglich die verschiedensten Beschwerden. Er weiß, was häufig ist und was selten. Seine Untersuchungen beziehen alle möglichen Organe mit ein. So kommt man schneller zur richtigen Diagnose – und, falls nötig, zum richtigen Spezialisten.
Alle Rezepte und Medikamente im Blick
In Deutschland muss sich heutzutage der Patient selbst um seine Medikamente kümmern. Der Dschungel an Medikamenten wie Schmerzmitteln ist schier unüberschaubar. Jeder Spezialist verschreibt, was er für nötig hält. Ohne zu wissen, was der Patient sonst noch nimmt. Deshalb kommt es häufig zu schädlichen Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Medikamenten.
Mit diesen neuen Beschwerden geht man dann zum nächsten Facharzt. Der verschreibt dann meistens gleich noch eine Tablette, weil er die wahre Ursache für die Symptome nicht erkannt hat. Vor allem Senioren nehmen in Deutschland oft ein Dutzend oder mehr verschiedener Medikamente, verschrieben von unterschiedlichen Ärzten.
Mit dem Primärarztprinzip dagegen weiß der Hausarzt genau, welche Rezepte sein Patient bekommen hat. Er kann Wechselwirkungen aufspüren und eventuell die Behandlung umstellen. Das spart den Kassen viele Kosten. Den Patienten spart es Nebenwirkungen und Beschwerden.