
Vielen Eltern ist der letzte Winter noch in schlechter Erinnerung. Die schlimmsten Corona-Zeiten schienen gerade überstanden, da schwappte eine neue Infektionswelle über das Land. Viele Kinder wurden von den üblichen Grippe- und Erkältungskrankheiten in der kalten Jahreszeit „erwischt“ und Arzneimittel für die Jüngsten wurden plötzlich zur Mangelware. Solche Lieferengpässe soll es nicht noch einmal geben. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will in diesem Jahr mit einem 5-Punkte-Plan Vorsorge treffen und rechtzeitig gegensteuern.
Vor allem Antibiotika waren vor einem Jahr schwer zu bekommen. Aber auch bei anderen Medikamenten gab es Versorgungsmängel. Die Ursachen für die plötzliche Arzneimittelknappheit waren vielschichtig. Gestörte Lieferketten, die über Jahre erfolgte Verlagerung der Arzneimittelproduktion nach Fernost, Festpreisregelungen für Medikamente, die bestehenden Rabattverträge der Krankenkassen mit den Arzneimittelherstellern und last but not least die plötzliche und stark gestiegene Nachfrage sorgten für eine akute Knappheit.
Produktionskapazitäten verdoppelt, aber an der Leistungsgrenze
Einige Maßnahmen wurden bereits im Zuge der Lieferengpässe vor einem Jahr in Gang gesetzt. Die Hersteller knapper Medikamente haben ihre Produktionskapazitäten inzwischen deutlich ausgeweitet. Diese Anstrengungen für Produktionsausweitung werden von Bundesgesundheitsminister Lauterbach auch ausdrücklich gewürdigt. Anlässlich der Vorstellung seines 5-Punkte-Plans vor gut zwei Wochen erklärte der Minister, man sei in Sachen Lieferengpässe deutlich besser aufgestellt als vor einem Jahr. Dies sei nicht zuletzt dank der aktiven Mithilfe der Arzneimittelindustrie erreicht worden. Diese habe zum Beispiel bei der Produktion von Antibiotika und Fiebersäften ihren Ausstoß um bis zu 100 Prozent erhöht. Allerdings sei jetzt eine Leistungsgrenze erreicht, wo nicht mehr viel mehr möglich sei.
Der Plan von Minister Lauterbach
Folgende fünf Punkte sollen nach den Vorstellungen des Ministers einer erneuten Arzneimittelknappheit bei Kinderarzneien vorbeugen:
1. Regelmäßige Situationsanalysen
Zur Steuerung einer gleichmäßigen Arzneimittelversorgung soll ein im Herbst und Winter regelmäßig tagender Steuerungskreis (High-Level-AG) eingerichtet werden. Daran beteiligt sind u.a. Pharmaunternehmen, Apothekerschaft, Kinder- und Jugendärzte/-innen sowie Hausärzte/-innen. Bund und Pharmaunternehmen wollen außerdem regelmäßig Situationsanalysen zur Arzneimittelproduktion austauschen.
2. Appell, auf Hamsterkäufe zu verzichten
Hausärzte/-innen, Kinder- und Jugendärzte/-innen appellieren an die Eltern, auf Hamsterkäufe bei Kinderarzneimitteln zu verzichten. Dem steht eine „vernünftige“ Bevorratung nicht entgegen. Bei Antibiotika soll eine sparsame und an der Wirksamkeit orientierte Verschreibung erfolgen. Tabletten können bei Bedarf geteilt oder anderweitig gestückelt werden, um benötigte Dosierungen zu ermöglichen.
3. Sicherstellung einer bedarfsgerechten Apotheken-Versorgung
Die Apotheken sollen eine gleichmäßige und bedarfsgerechte Versorgung mit Kinderarzneimitteln im Rahmen ihrer Bevorratung unterstützen. Die Dringlichkeitsliste mit vorrangig zu beschaffenden Arzneimitteln wird ausgeweitet. Ferner soll es für die Apotheken Erleichterungen bei der Herstellung von Rezepturen und beim Austausch von Darreichungsformen bei Medikamenten geben. Anstatt als Tabletten können Medikamente dann zum Beispiel auch in Tropfenform abgegeben werden, ohne dass dies zu Nachteilen führt.
4. Preismaßnahmen für Kinderarzneimittel
Die zu Jahresbeginn erfolgte Aussetzung der Festbeträge für rund 180 dringend benötigte Kinderarzneimittel soll über den Jahreswechsel hinaus verlängert werden. Ebenso bleiben Rabattverträge für diese Medikamente weiterhin ausgeschlossen. Die Regelungen des Mitte des Jahres in Kraft getretenen Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) sollen darüber hinaus strukturelle Verbesserungen im Bereich der Arzneimittelversorgung bringen, die allerdings eher langfristig wirksam werden können.
5. „Sachlich-realistische Kommunikation“
Die Bundesregierung will gemeinsam mit Ärzteschaft, Apotheken und Pharmaindustrie eine sachlich-realistische Kommunikation unterstützen, um einer übermäßigen Bevorratung von Kinderarzneien entgegenzuwirken.
Betrachtet man die fünf Punkte des Ministers zusammen, dann umfasst das Maßnahmenpaket in erster Linie die Fortsetzung und Verlängerung bereits bestehender Maßnahmen, mehr Informationstransparenz bezüglich der Versorgungssituation und Appelle für einen verantwortungsbewussten Arzneimittelkauf und -einsatz. Der Antritt von Lauterbach ist klar. Der Minister will die Öffentlichkeit und insbesondere die Elternschaft im Vorfeld der kalten Jahreszeit beruhigen. Eine Situation akuter Knappheit wie im vergangenen Jahr soll sich nicht wiederholen.
Nicht nur Kinderarzneien sind knapp
Ganz so optimistisch wie der Minister sehen nicht alle an der Arzneimittelversorgung Beteiligten die Lage. Nach Angaben des pharmazeutischen Großhandels sind die Vorräte für viele in der Grippesaison benötigte Medikamente derzeit eher knapp. Eigentlich sollte die Bevorratung für vier Wochen reichen. Bei 85 Prozent der Arzneimittel reichten die Vorräte aber aktuell für höchstens zwei Wochen. Der Verband der Kinderärzte weist darauf hin, dass die Versorgungssituation mit Kinderarzneien in Städten und Ballungsgebieten derzeit zwar gut sei, in ländlichen Räumen gebe es aber durchaus schon jetzt Engpässe. Eltern müssten oft etliche Kilometer zurücklegen, um das gesuchte Medikament zu erhalten.
Dass Medikamentenknappheit nicht nur Kinderarzneien betreffen, sondern auch Arzneimittel für Erwachsene, darauf weist der Verband der Hausärztinnen und Hausärzte hin. Bei rund 500 Medikamenten gebe es zurzeit Lieferengpässe. Vor einem Jahr seien es nur 300 gewesen. Nach Angaben des Apothekerverbands Nordrhein ist vor allem bei Antibiotika die Versorgungslage nach wie vor labil. Täglich seien rund 1,5 Mio. Menschen von Lieferengpässen bei Medikamenten betroffen. Es spricht daher viel dafür, dass das Problem einer ausreichenden Arzneimittelversorgung den Bundesgesundheitsminister auch weiterhin beschäftigen wird.