“Erfahrung ist der Anfang aller Kunst und jedes Wissens“, so Aristoteles. Das Medizinstudium bietet uns die perfekte Gelegenheit Auslandserfahrungen zu sammeln. Ich habe bereits zwei von vier Famulaturen im Ausland absolviert und war immer begeistert von den Erfahrungen, die ich dort sammeln durfte. Im praktischen Jahr wollte ich dann noch einmal die Chance nutzen, die Arbeit im Krankenhaus in unserem Nachbarland Österreich kennen zu lernen. Wien begeisterte mich bereits bei einem früheren Städtetrip und die Entscheidung, mich dort in einem Krankenhaus zu bewerben, war sofort gefällt. Nicht um sonst gilt Wien als eine der 10 lebenswertesten Städte der Welt. Ich selbst habe in Frankfurt studiert.
Praktisches Jahr Österreich – Vorbereitung und Bewerbung
Die Bewerbung ist im Vergleich zu anderen Ländern recht unkompliziert und organisatorisch auf jeden Fall zu meistern, solange man sich als sogenannter „Free Mover“ bewirbt. Das bedeutet, dass man alles selbst organisiert, also nicht immatrikuliert ist. Am Ende erhält man dann eine sogenannte Äquivalenzbescheinigung der MedUni Wien, die vom jeweiligen Landesprüfungsamt in Deutschland anerkannt werden muss. Da jedes Landesprüfungsamt diese Bescheinigungen unterschiedlich handhabt, ist es mit Sicherheit zu empfehlen, sich diesbezüglich im Voraus zu informieren. Eine Erasmus Bewerbung ist aber deutlich aufwendiger.
Leider waren mir zu Beginn meiner Bewerbungsphase die Abläufe nicht ganz klar, weshalb mehrere Mails bezüglich der Anerkennung hin und her geschrieben werden mussten. Da es das praktische Jahr in Wien erst seit circa 3 Jahren gibt und alles noch ziemlich neu ist, konnte mir auch das International Office in Wien nicht immer sofort detaillierte Auskünfte geben.
Man bewirbt sich als Free Mover dann direkt bei den Sekretariaten der Wunschabteilung, am besten so früh wie möglich, da die Plätze sehr begehrt sind. Ich habe mich acht Monate im Voraus beworben, würde aber sagen, dass das schon etwas zu spät war. Also früh bewerben, um noch Auswahlmöglichkeiten bei den einzelnen Abteilungen zu haben. Wenn man dann eine Zusage erhält, bekommt man verschiedene Dokumente (z.B. Ausbildungsvereinbarung, Datenschutzerklärung etc.), die man ausgefüllt an die Abteilung zurücksenden muss. Damit ist der Platz auch schon fixiert.
Impfungen oder Versicherungen sind nicht zwingend erforderlich. Sobald man in Wien arbeitet, ist man automatisch bei der Gebietskrankenkasse krankenversichert, der Betrag wird direkt vom Gehalt abgezogen und es ist nicht möglich, sich davon befreien zu lassen.
Wie bei allen beruflichen Auslandsaufenthalten empfiehlt sich eine Haftpflichtversicherung, die man als Mitglied beim Hartmann,- oder Marburger Bund jedoch kostenlos erhält.
Anreisen kann man auf verschiedensten Wegen, Wien ist mit Bus, Bahn und Flugzeug optimal erreichbar.
„Grüß Gott“ im Kaiser-Franz-Josef-Spital in Wien
Mit etwas weniger als 800 Betten zählt das Kaiser-Franz-Josef Spital zu den eher kleineren Häusern Wiens. Die familiäre Atmosphäre im Haus wird schon von Anfang an deutlich. Kollegen aus unterschiedlichsten Abteilungen kennen sich untereinander, was das Arbeiten nicht nur viel angenehmer, sondern auch manchmal etwas einfacher macht.
Man weiß, wen man anrufen muss, wenn man einen Patienten auf eine andere Station verlegen will oder ein schnelles Konsil braucht. Der nicht allzu stressige Stationsalltag bietet Raum für ein kleines Frühstück, eine Kaffeepause oder ein Gespräch über die Pläne am Wochenende. Ich habe mich sehr schnell Willkommen und wohl gefühlt und auch Menschlichkeit gespürt. Das hat mir schon in so manchen Krankenhäusern in Deutschland gefehlt.
Für Studenten ist das Mittagessen kostenlos und für Kantinenessen sogar genießbar. Dreißig bis Vierzig Prozent der verwendeten Zutaten stammen aus biologischem Anbau.
Unterkunftsmöglichkeiten am Krankenhaus gibt es zwar keine, dafür aber zahlreiche Angebote über WG-gesucht und es ist nicht schwer, etwas zu finden. Wien besitzt wunderschöne Altbauten, in denen es sich sehr gut und mit Glück nicht allzu teuer wohnen lässt.
Im Unterschied zu Deutschland arbeitet man im Kaiser-Franz-Josef-Spital als Arzt nur bis 13 oder 14 Uhr. Durch die sogenannten verlängerten Dienste (25 Stunden, wobei es erlaubt ist, nachts zu schlafen) kommt man allerdings trotzdem auf sehr viele Wochenstunden. Die 72-Stunden-Woche erreichen hier fast alle mindestens einmal im Monat. Von meinen bisherigen Erfahrungen in deutschen Krankenhäusern bin ich aber der Meinung, dass die Work-Life-Balance hier noch deutlich mehr stimmt, was mir auch eine der deutschen Ärztinnen meiner Abteilung bestätigt hat. Mir boten die kurzen Arbeitstage immer genug Möglichkeit die Stadt und Umgebung zu erkunden.
Der Fachbereich für Onkologie und Hämatologie in Österreich
Ich war für 8 Wochen auf der 3. medizinischen Abteilung – Fachbereich für Onkologie und Hämatologie. Unsere Abteilung umfasst knapp 50 Betten, eine onkologische Ambulanz sowie die onkologische Tagesstation, in die Patienten beispielsweise zur ambulanten Chemotherapie kommen. Auf unsere Station kommen vor allem Patienten zur Therapieplanung, Fortsetzung der Therapie oder bei Verschlechterung des Allgemeinzustandes beziehungsweise neu aufgetretenen Nebenwirkungen. Die meisten Patienten sind schon diagnostiziert, natürlich gibt es aber auch Fälle, in denen es noch keine Diagnose gibt und man sozusagen detektivisch arbeiten muss. In Österreich übernehmen die Schwestern einige unserer ärztlichen Aufgaben in Deutschland wie beispielsweise Blutabnahmen oder Zugänge legen. Wenn man üben will kann man die Schwestern aber jederzeit unterstützen.
Als Arzt verbringt man aber auch hier, ganz ähnlich wie in Deutschland, einen überaus großen Teil seiner Arbeitszeit am PC oder ist mit dem Schreiben von Papierakten beschäftigt. „Wir sind zu Verwaltern der Patienten geworden“, sagte unsere Oberärztin mehrmals. Ich war zu Anfang geschockt, wie viel hier noch mit handschriftlichen Akten gearbeitet wird. Da bis 2018 die elektronische Patientenakte eingeführt werden soll, wird derzeit sehr viel doppelt dokumentiert, also in Akte und PC, was die Arbeit unglaublich mühsam macht. In einer so fortschrittlich digitalisierten Millionenstadt wie Wien hatte ich so etwas nicht erwartet.
Meine Aufgaben waren insgesamt sehr vielfältig. Ich habe neue Patienten aufgenommen, untersucht und vorgestellt, Patientenbriefe geschrieben, EKG´s befundet, war bei Visite dabei, habe Harnkatheter und Magensonden gelegt, Aufklärungen gemacht, die Schwestern mit Blutabnahmen, Zugängen und Porth-A-Cath`s unterstützt und mit unserer Oberärztin Therapien und Vorgehensweisen bei bestimmten Tumoren besprochen.
Insgesamt konnte ich sehr eigenständig arbeiten und habe viel gelernt, vor allem was die Arbeitsabläufe auf Station betrifft. Außerdem hatten wir viele gute Fortbildungen, auch andere Bereiche der Inneren Medizin betreffend, was sehr hilfreich war und den Stationsalltag mit ein wenig Theorie gut ergänzt hat. Invasive Tätigkeiten wie Knochenmarkspunktionen, Aszitespunktionen oder ZVK legen werden im Kaiser-Franz Josef-Spital in nahezu allen Fällen an die Radiologie delegiert, was schade war, da ich so nicht die Möglichkeit bekam solche Eingriffe zu sehen oder selbst unter Anleitung durchzuführen. Früher sei das noch anders gewesen und man habe alles selbst auf Station gemacht, erzählt mir die Oberärztin.
Im Großen und Ganzen empfinde ich die “Entfremdung vom Patienten“ hier verglichen mit Deutschland aber als weniger präsent. Für Visiten gibt es noch keine Zeitlimits, die es einzuhalten gilt und man hat deutlich mehr Zeit, sich mit dem Patienten zu befassen. Personalmangel und Einsparungen in allen Bereichen sind allerdings auch in Österreich allgegenwärtig. Nach langen Diskussionen wurde nahezu allen Ärztinnen und Ärzten der Sommerurlaub gestrichen. Alternativ hätte die Station teilweise geschlossen werden müssen.
Da jederzeit ein Oberarzt/eine Oberärztin auf Station sein muss, hat man immer die Möglichkeit Fragen zu stellen und Rücksprache zu halten, was die Betreuung sehr gut macht. In Deutschland habe ich schon erlebt, dass Assistenzärzte/ Assistenzärztinnen, die erst seit Kurzem da sind, die Station alleine schmeißen müssen.
Feierabend in Wien
Trotz der knapp 1,9 Millionen Einwohner spüre ich sofort eine gewisse Entschleunigung in Wien. Die Menschen kommen mir ausgeglichener und fröhlicher vor, was aber vielleicht auch an dem fast durchweg guten Wetter liegt, das ich in meiner Zeit hier genießen durfte. Außerdem gefällt mir der Wiener Dialekt. Wien besitzt ein umfassendes kulturelles Angebot, besticht mit wunderschönen Altbauten und es ist immer etwas los. Im Sommer jagt ein Festival das Nächste, man geht auf Open Air Konzerte der Wiener Philharmoniker, schlemmt sich beim Genussfestival durch die kulinarische Vielfalt der österreichischen Küche, genießt die Spezialitäten der lebendigen Weinszene beim Wiener Heurigen oder besucht eine der zahlreichen Veranstaltungen im Museumsquartier. Bei schlechtem Wetter schlendert man durch Museen und Kunstgalerien, genießt ein Stück Kuchen oder einen klassischen Mehlspeis in einem der vielen wunderschönen Cafés.
Auch Naturfreunde kommen in Wien auf ihre Kosten. Baden in der alten Donau, Spaziergänge durch die zahlreichen Parks und Gärten oder Ausflüge in den Wiener Wald. Auch die Berge sind nicht weit, was die Region meiner Meinung nach noch attraktiver macht. Auf keinen Fall verpassen sollte man eine Fahrt in die Rax, ein Bergmassiv an der steirisch-niederösterreichischen Grenze, wo es sich mit atemberaubender Aussicht wandern lässt.
Abschließend kann ich jedem empfehlen für einen Teil des praktischen Jahres nach Wien zu kommen. Ich bin begeistert von der Stadt und möchte die vielen Erfahrungen, die ich hier sammeln durfte, auf keinen Fall missen. Für mich war es die perfekte Mischung aus lehrreichem Stationsalltag und vielfältigem Freizeitangebot. Meinen Facharzt werde ich wohl trotzdem in Deutschland machen, da mich das Ausbildungssystem in Österreich nicht voll und ganz überzeugt hat. Nicht ausgeschlossen, dass ich nicht eines Tages wiederkomme.
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