Laut Präsidenten der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Uwe Janssen, sind Notaufnahmen von Kliniken oftmals völlig überlaufen – gerade auch von Patienten, die dort nicht hingehören. Einfache Erkrankungen wie etwa Grippe oder ein verstauchter Knöchel sind hier leider keine Seltenheit und erhöhen unnötigerweise die Wartezeit der tatsächlichen Notfälle, sagt Spahn. Das wiederum führt zu Unverständnis, Frust und sogar zu Handgreiflichkeiten unter den wartenden Patienten. Die Tendenz der für Ordnung sorgenden Sicherheitsdienst Einsätze ist steigend. Jährlich werden an die elf Millionen ambulante Notfälle verzeichnet. Zahlreiche Fälle könnten allerdings genauso gut vom ärztlichen Bereitschaftsdienst behandelt werden.
Gesundheitsminister sieht Entlastung der Notaufnahmen vor
Der Gesetzesentwurf des Gesundheitsministers sieht eine erste Selektierung der einzelnen Fälle bereits am Telefon vor. Natürlich kann nach wie vor die Notrufnummer (112) genutzt werden. Allerdings sollen die Rettungsstellen und die Nummer der Kassenärzte (116117) als gemeinsame Notfallleitstelle zusammenarbeiten. Somit könnten Patienten verstärkt zu ärztlichen Bereitschaftsdiensten oder gar einer regulären Arztpraxis delegiert werden.
Fragebögen sollen Gesundheitszustand feststellen
Die Umstrukturierung sieht ein standardisiertes, softwaregestütztes Verfahren vor, mit dessen Hilfe der jeweilige Bedarf des Patienten eingeschätzt werden soll. Einheitlich verfasste Fragebögen z.B. ermöglichen es dem medizinischem Fachpersonal abzuwägen, ob der Anrufer sofort eine Behandlung benötigt, ob ein Hausbesuch oder sogar ein regulärer Arztbesuch ausreicht. Auch die telefonische Zuschaltung von Ärzten ist möglich.
Patientenschleuse vor Notaufnahme
Angedacht sind neue, in den Krankenhäusern integrierte, Notfallzentren. Die Beschwerden von Patienten, die noch aus eigener Kraft ärztliche Hilfe aufsuchen können, sollen mit Hilfe einer Patientenschleuse in der Notaufnahme eingestuft werden.
Einer der Vorreiter in diesem Verfahren ist die Uniklinik Mainz. Von jährlich 16.000 dokumentierten Notaufnahme Patienten der Uniklinik Mainz waren etwa 6.400 tatsächlich eher ein Fall für den Hausarzt bzw. den ärztlichen Bereitschaftsdienst. Das entspricht einer Quote von 40 Prozent!
Pilotprojekt: Uniklinik Mainz mit Allgemeinmedizinischer Praxis am Campus
Die Uniklinik begann im März 2019 mit einem Patientenschleuse Modellprojekt. Mittels einer sogenannten Allgemeinmedizinischen Praxis am Campus (APC) werden die medizinischen Fälle kategorisiert– dies gilt zumindest für Patienten, die nicht von einem Arzt überwiesen oder vom Rettungsdienst gebracht wurden. Die Räumlichkeiten der Praxis befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Notaufnahme. Ohne dass die Patienten Kenntnis davon nehmen, können diese bereits am Empfang an die APC weitergeleitet oder im Ernstfall von der Notaufnahme aufgenommen werden. Auf diesem Weg wird eine schnellstmögliche Versorgung von echten Notfällen gewährleistet. Gleichzeitig wird die Notaufnahme durch diese Patientenschleuse entlastet, da harmlosere Fälle abgefangen aber natürlich auch behandelt werden. Das Projekt ist für vier Jahre angesetzt und wird wissenschaftlich begleitet. Es soll die Notaufnahme von Montag bis Samstag zwischen 8 und 20 Uhr entlasten. Zu diesen Zeiten ist der Andrang an Patienten besonders groß.
Gesetzesänderung und Umsetzung einer Patientenschleuse ungewiss
Da viele bisherigen Zuständigkeiten und Strukturen neu zugeteilt und geordnet werden müssen, ist die Umsetzung einer allgemeinen Reform bisher noch ungewiss. Eine Grundgesetzänderung wird in Betracht gezogen, so dass die Länder nicht mehr allein für den Rettungsdienst zuständig sind. Gleichzeitig sollen sie mehr Rechte und Pflichten erhalten. So werden die Länder z.B. zur Sicherstellung der Patientenversorgung außerhalb der regulären Sprechstundenzeiten zur Verantwortung gezogen. Bisher obliegt dies den kassenärztlichen Vereinigungen.
Ab wann genau dieses neue Gesetz gelten soll, und bis wann die Umsetzung der Patientenschleuse in der Notaufnahme stattfinden wird, konnte der Bundesgesundheitsminister noch nicht sagen.