
Im deutschen Gesundheitswesen bahnt sich eine digitale Revolution an: Künftig darf die Arzt-Patienten-Kommunikation ausschließlich auf elektronischem Wege ablaufen. Für den Ausbau der Telemedizin hat auf dem 121. Ärztetag eine große Mehrheit der Mediziner gestimmt und den Weg für reine Onlinesprechstunden freigemacht.
Onlinesprechstunde lange unerwünscht
Patienten ohne einen persönlichen Erstkontakt ausschließlich online zu behandeln, war für Ärzte in Deutschland lange Zeit nicht möglich. Nur wenn im Einzelfall vertretbar und der Patient bereits mindestens einmal in der Arztpraxis war, durfte die Behandlung per Online-, Telefon- oder Videosprechstunde fortgesetzt werden.
Ganztägige Fernbehandlungs-Bereitschaftsdienste, etwa in Altenheimen oder Landarztpraxen, waren hingegen laut der Bundesärztekammer “berufsrechtlich nicht zulässig”. Lediglich im Rahmen von Modellprojekten, insbesondere in Baden-Württemberg, wurde die reine Onlinehandlung erprobt. Nun beschlossen die Mediziner auf dem diesjährigen Ärztetag eine Lockerung des Fernbehandlungsverbots, dass sich aus den Berufsordnungen für Ärzte ableitet.
Bereits 2017 hatte der Ärztetag beschlossen, sich dem Thema Onlinesprechstunden näher zu widmen. Künftig dürfen Patienten demnach auch per App, Telefon oder Skype behandelt werden, selbst wenn Arzt und Patient sich nie zuvor begegnet sind. Befinden und Beschwerden sollen über die elektronischen Kommunikationswege abgefragt werden, ehe ein Rezept verschickt wird. Vor allem in ländlichen Regionen soll der Ausbau der Telemedizin das Problem des Ärztemangels lösen.
Krankenkassen und Gesundheitsminister dafür
“Ausdrücklich begrüßt” wurde der Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Spahn betonte, dass durch den Ausbau der Telemedizin Patienten “unnötige Wege und Wartezeiten erspart” werden könnten. Auch die gesetzlichen Krankenkassen zeigten sich erfreut über den Beschluss und bezeichneten ihn als einen ersten Schritt in die richtige Richtung. Kritischer äußerte sich der Hausärzteverband. Deren Bundeschef Ulrich Weigeldt hob hervor, dass eine Freiwilligkeit hinsichtlich des Angebots von Onlinesprechstunden entscheidend sei, damit die Fernbehandlung “nicht als Kostensparprogramm für Krankenkassen missverstanden” werde.
Patientenschützer hingegen äußerten Kritik. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz Eugen Brysch sagte, die Fernbehandlung sei bereits üblich und werde “zehntausend Mal am Tag genutzt”. Für Brysch seien “anonyme Telebehandlungen […] aber etwas ganz anderes.” Der Patientenschützer sieht vor allem pflegebedürftige und schwerstkranke Menschen als potenzielle Verlierer bei der Lockerung des Fernbehandlungsverbots, da sie “auf ihren Mediziner daheim” hofften.
Ärzte in Baden-Württemberg positiv gestimmt
Während sich die Mehrheit der Ärzteschaft im Bundesgebiet viele Jahre lang vehement gegen den Ausbau von Onlinesprechstunden gewehrt und immer auf den persönlichen Erstkontakt zwischen Arzt und Patient gepocht hatte, sahen einige Ärzte in Baden-Württemberg die Situation anders. Vor allem die räumliche Nähe zur Schweiz, wo seit dem Jahr 2000 Telemedizin bereits praktiziert wird, war dabei von Bedeutung und hatte die Entstehung der Modellprojekte zum Thema Onlinesprechstunden in Baden-Württemberg befeuert.