
Online Kliniken im Aufwärtstrend: Diagnose per Videochat
Was vor Jahren noch abwegig erschien, erfährt heute immer mehr Zustimmung. Eine ärztliche Diagnose über einen Fragebogen oder sogar ein Arztgespräch per Videochat ist schon längst keine Zukunftsmusik mehr. Eine Diagnose über das Internet kann dabei in vielen Fällen hilfreich sein und die örtlichen Praxen entlasten. Was genau geboten wird, worauf Patienten achten müssen und wie sich der Markt entwickelt, erklären wir jetzt im Artikel.
Online Praxen ist Trend seit Covid-19
Covid-19 hat die Welt schlagartig verändert. Schon zu Beginn der Pandemie wurde deutlich, dass der Virus in vielen Bereichen innovative und unkonventionelle Lösungen erfordert. Das Bundesministerium für Gesundheit sprach im „health innovation hub“ (hih) bereits im ersten Newsletter zum Thema Corona von einem „disruptiven Ereignis.“
Man erkannte Video-Sprechstunden, Apps und Chatbots als Möglichkeiten für Datenaustausch und Kommunikation, wo ein menschliches Zusammentreffen problematisch wird. Doch auch unabhängig von Corona können Online-Praxen unterstützen und ergänzen.
Patienten können sich auf Seiten wie der OnlineKlinik24.com über Krankheiten und Arzneimittel in verständlicher Sprache informieren. Die Seite klärt über die Vor- & Nachteile der Medikamente auf und fasst Erfahrungsberichte in Statistiken zusammen. Ist eine Behandlung erwünscht, kann anschließend ein Anbieter für eine Online Diagnose besucht werden. Dort findet dann die Online Konsultation mit einem Arzt statt, welcher mittels Ferndiagnose ein Rezept ausstellen kann. Ein Service, der über England & den Niederlanden schon seit 2004 bekannt ist.
Der Startschuss für das „Digitale-Versorgung-Gesetz“
Mit dem Wegfall des Fernbehandlungsgesetzes im Jahr 2018 wurde die rechtliche Grundlage für die Behandlung per Videochat geschaffen. Im Dezember 2019 trat schließlich das „Gesetz für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation“ in Kraft. Das Gesetz, kurz DVG, sollte Patientinnen und Patienten möglichst schnell von den neuen und innovativen Ansätzen für Patientenversorgung profitieren lassen.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn berichtet von einer Verlängerung des Innovationsfonds, der jährlich mit 200 Millionen Euro für eine schnelle und erfolgreiche Umsetzung des Konzepts sorgen soll.
Bevölkerung ist offen für die neue Idee
Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung mit 1000 Studienteilnehmern hat ergeben, dass gut die Hälfte der Bevölkerung an Videosprechstunden interessiert ist.
Eine Videosprechstunde zu besuchen, anstelle eine Arztpraxis persönlich aufzusuchen, ist für mehr als jeden zweiten Bundesbürger vorstellbar. Durchgeführt wurde die Studie im Februar 2020. Der Bedarf an Fernsprechstunden stieg jedoch mit Ausbruch der Corona-Pandemie nochmals an. Die Angst vor Ansteckung machte Praxisbesuche für viele Bürger schwierig. Viele verzichteten lieber ganz auf einen Besuch in der Praxis, was wiederum die Gefahr für andere schwerwiegende Folgen mit sich brachte.
Das Hamburger Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf weitete daraufhin umgehend sein telemedizinisches Angebot aus.
Telemedizin durch Corona auf dem Vormarsch
Im April 2020 startete im UKE-Ambulanzzentrum eine Pilotphase für Telemedizin. Therapeuten und Ärzte können über gesicherte Netzwerke per Video ambulante Therapien durchführen. Vor allem die Fachbereiche Flüchtlingsambulanz, Infektiologie und Psychotherapie sind vertreten. Ziel war es, den Patienten auch während der Corona-Pandemie eine optimale Versorgung anzubieten. Physische Kontakte konnten dabei auf ein Minimum reduziert werden.
Arztpraxen erweitern Angebot per Video
Auch viele örtliche Arztpraxen nutzen inzwischen digitale Lösungen und bieten Videosprechstunden an. Dies weitet den Service auf viele medizinische Fachbereiche aus.
Online-Sprechstunden werden für die klassische hausärztliche Versorgung genutzt, genau wie für Immunologie, Rheumatologie, Reproduktionsmedizin, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde und Gefäßmedizin.
Eine besondere Technik ist für interessierte Patienten in der Regel nicht erforderlich. Tablet, Computer oder Smartphone, ausgestattet mit Kamera, Mikrofon und Lautsprecher sowie eine stabile Internetverbindung sind für gewöhnlich vollkommen ausreichend.
Reine Online-Arztpraxen gewinnen an Bedeutung
In Deutschland nimmt die Zahl an Praxen zu, die sich auf ein reines Online-Angebot spezialisiert haben. Die Anbieter des Konzepts arbeiten in Kooperation mit lokalen Apotheken und Ärzten. Bereits über 1,8 Millionen Patienten wurden bisher erfolgreich auf diese Art und Weise versorgt.
Rund 35 Beschwerdebilder lassen sich mit dem digitalen Arztbesuch behandeln, darunter grippale Infekte, Schlafstörungen, Kopfschmerz oder Magen-Darm-Erkrankungen. Ist das Symptom nicht aus der Ferne behandelbar oder soll noch eine weiterführende oder physische Untersuchung erfolgen, werden Patienten an einen Arzt vor Ort überwiesen.
Entscheidend ist, dass der ärztliche Besuch durch das digitale Angebot nicht ersetzt, sondern ergänzt werden soll. Diese Ergänzung bringt vielerorts Komfort und eine garantierte Versorgung für den Patienten mit sich, aber auch eine Entlastung des Gesundheitssystems.
Werden rezeptpflichtige Medikamente ausgestellt, erfolgt dies durch ein Online-Rezept. Es wird an eine Versandapotheke oder auch an eine Apotheke vor Ort weitergeleitet.
Online-Sprechstunde für Komfort und Versorgungsgarantie
Die Corona-Pandemie hat innovative Lösungen gefordert und nötig gemacht, sie hat dadurch aber auch die Entwicklung und Akzeptanz der Telemedizin vorangetrieben.
Neben der Notwendigkeit in Pandemie-Zeiten haben Online-Sprechstunden viele weitere Vorzüge.
Wo beispielsweise in ländlichen Gegenden eine ärztliche Versorgung knapp bemessen ist, fallen lange Anfahrten weg, gerade dann, wenn Patienten gesundheitlich gar nicht in der Lage wären, diese auf sich zu nehmen. Telemedizinische Untersuchungen können trotz räumlicher Entfernung stattfinden. So können Patienten auch vom Urlaubsort aus einen Arzt kontaktieren, mit dem sie vertraut sind.
Zudem kann auf lange Wartezeiten beim Arzt verzichtet werden, welche auch in Erkältungszeiten ein Infektionsrisiko mit sich bringen. Der Zeitaufwand für ein telemedizinisches Gespräch ist gering.
Für ein Erstgespräch, bei dem auf eine körperliche Untersuchung verzichtet werden kann und bei dem nur Fragen geklärt werden müssen, ist eine Video-Sprechstunde ideal, vor allem wenn ohnehin die Überweisung zu einem Facharzt folgen soll.
Kleinere Hemmschwelle bei Telemedizin
Für viele Patienten mit schambehafteten Problemen ist das persönliche Gespräch in der Praxis schwierig.
Oft ist die Hemmschwelle groß, in persona über Symptome zu sprechen, die als peinlich empfunden werden. Haarausfall, Sexualprobleme oder starkes Übergewicht sind Beispiele, bei denen viele Patienten sich scheuen, sich offen einem Arzt anzuvertrauen. Wird für ein intimes Anliegen eine innovative Lösung geboten (bsp. Potenzkur), verliert der illegale Schwarzmarkt an Bedeutung. Das Schaffen von einer legalen Alternative zum Arztbesuch, lässt illegale Betreiber somit in den Hintergrund rücken.
Die hohe Diskretion über das Internet ist für viele Patienten also ein großer Vorteil. Manchmal werden Arztbesuche auch unnötig lange herausgeschoben, weil die emotionale Barriere sie für den Patienten unangenehm oder sogar unmöglich macht. Groß ist außerdem die Angst, im Wartezimmer Bekannte zu treffen und sich möglicherweise erklären zu müssen. Nicht zuletzt empfinden manche Patienten es als Eingeständnis von Schwäche, überhaupt zum Arzt zu gehen.
Mediziner können in solchen Fällen per Telemedizin beraten – individuell und professionell. Dies beugt auch Falschinformationen vor, die Betroffene manchmal aus Verzweiflung im Internet zusammentragen. Im Gespräch mit dem Arzt lassen sich medizinisch fundierte Lösungen erarbeiten, welche auf den Patienten zugeschnitten sind und welche zu der individuellen Symptomatik passen.
Das Gespräch kann zudem in einer vertrauten Umgebung stattfinden, in der sich der Patient geborgen und sicher fühlt.
Positiver Ausblick in die Zukunft
Die Telemedizin war bereits vor der Corona-Pandemie im Aufwärtstrend. Die Entwicklungen der Digitalisierung wurden durch diese Ereignisse allerdings vorangetrieben und gewinnen seit dem an Bedeutung.
Langfristig wird auch der gelbe Zettel für den Arbeitgeber Geschichte sein. Die elektronische Bescheinigung kann dann den mühsamen Weg, im kranken Zustand, zur Post abschaffen. Das Konzept der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung läuft bei der TK bereits seit 2017 als Pilotprojekt ziemlich erfolgreich.
Alleine durch diese Erneuerung, könnten jährlich über 200 Millionen gelbe Zettel weniger im Umlauf sein.
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