
Medizinstudium? Keine Chance, hieß es da bislang häufig für Abiturienten mit einem Numerus Clausus, der nicht im unteren Einserbereich lag. Aber es geht auch anders – zum Glück, wie uns eine Medizinstudentin verrät:
Schon als kleines Mädchen verband ich liebevoll das gebrochene Bein meines Teddybären und verordnete meiner Puppe aufgrund einer schweren Grippe strenge Bettruhe. Schon damals, mit etwa sechs Jahren, war für mich klar: ich wollte unbedingt Ärztin werden.
Dreizehn Jahre später, wir schrieben mittlerweile das Jahr 2010, hatte ich endlich mein Abitur in der Tasche. Teddy und Puppe lagerten mittlerweile auf dem Dachboden, aber mein Traum vom Ärztin-Sein war immer noch derselbe geblieben. Nur wollte ich jetzt nicht mehr gebrochene Beine verbinden, sondern Rechtsmedizinerin werden. Problem: Wie für so viele Schüler und Schülerinnen meines Alters war in der Schulzeit alles wichtig – nur nicht das Lernen für die nächste Klausur. Freunde, Computerspiele, wer mit wem – nur nicht dieser ominöse “Numerus Clausus”, kurz auch NC genannt, von dem die Erwachsenen immer redeten.
Medizinstudium – nur über Numerus Clausus?
Bei einer beruflichen Orientierung in der örtlichen Agentur für Arbeit verzog der Sachbearbeiter nur spöttisch das Gesicht, als ich von meinem Wunsch berichtete, mit einem NC von 2,1 Medizin studieren zu wollen. Bei den guten Noten in Englisch und Deutsch sollte ich doch “irgendwas mit Medien” nehmen oder Lehrerin werden; Medizin sei aufgrund des Auswahlverfahrens nur etwas für Einserschüler.
Da hatte er die Rechnung allerdings ohne meinen friesischen Sturschädel gemacht. Ich wollte mein Medizinstudium, und so fing ich an, mich mit dem Numerus Clausus und seinen Alternativen zu beschäftigen.
Auf einen Studienplatz kommen fünf Bewerber
Das Grundproblem stellt sich in Deutschland wie folgt dar: Auf 9 232 Studienplätze kamen im Wintersemester 2018/19 genau 43 631 Bewerber – das sind fünf Bewerber auf jeden Studienplatz.
Um die Vergabe der Studienplätze dennoch einigermaßen fair zu gestalten, vergibt das Auswahlverfahren der Stiftung Hochschulstart 20% der zur Verfügung stehenden Plätze über die sogenannte “Abiturbestenquote” nach dem Numerus Clausus und weitere 20% an Bewerber nach der angesammelten Wartezeit. Ganze 60% der Studienplätze werden in hochschuleigenen Auswahlverfahren vergeben, wobei die genaue Gestaltung dieses Auswahlverfahrens den einzelnen Hochschulen obliegt.
Nachdem das bisherige Auswahlverfahren im Dezember 2017 vom Bundesverfassungsgericht als teilweise verfassungswidrig beurteilt wurde, soll ab 2020 noch eine weitere Eignungsquote hinzukommen. Mithilfe dieser neuen Quote sollen 10% der Bewerber zum Beispiel aufgrund ihrer beruflichen Vorerfahrung einen Medizinstudienplatz bekommen.
Unterschiedliche Universitäten, unterschiedliche Kriterien
60 % der Studienplätze werden von den Hochschulen nach dem Ergebnis eines hochschuleigenen Auswahlverfahrens vergeben. Die je nach Hochschule unterschiedlichen Auswahlkriterien sollen laut hochschulstart.de das besondere Profil in Forschung und Lehre deutlich machen und unter den Bewerbern die künftigen Studenten, die diesem Profil am besten entsprechen, auswählen.
Hierin liegt eine große Chance für viele Studienbewerber, die keinen NC im unteren Einserbereich vorweisen können. Allerdings ist es äußerst ratsam, sich vor der Auswahl der infrage kommenden Universitäten einen Nachmittag lang mit einem Textmarker, dem Studienangebot der jeweiligen Hochschulen und einem Blatt Papier hinzusetzen und die Kriterien genau zu prüfen: denn nur wer gut sortiert, hat Erfolg. Wenig sinnvoll ist es zum Beispiel, sich mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung an einer Universität zu bewerben, die keine “Bonuspunkte” für Berufsausbildungen gewährt.
Viele Universitäten laden im Rahmen des Verfahrens zu einem Bewerbungsgespräch ein, eventuell gepaart mit einem durch die Interessenten vorzubereitenden Kurzvortrag oder Mini-Tests, wie zum Beispiel einem Anamnesegespräch. Weitere Kriterien für die Auswahl können außerdem sein:
- Gewichtete Einzelnoten des Zeugnisses, z.B. in naturwissenschaftlichen Fächern
- Ergebnis eines Studierfähigkeitstests (“Medizinertest”; z.B. TMS oder HAM-NAT)
- Teilnahme an Veranstaltungen wie “Jugend forscht”
Am Krankenbett zählen nicht nur gute Noten
Ich habe mich dazu entschieden, erst einmal eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin zu absolvieren. Danach habe ich vier Jahre lang in meinem erlernten Beruf gearbeitet, unter anderem als Gesundheits- und Krankenpflegerin in Oxford, Großbritannien. Über die Wartezeit habe ich endlich im August 2017 meine Zusage für einen Studienplatz in Medizin bekommen.
Und auch, wenn es sieben Jahre gedauert hat, und wenn ich mich vielleicht nicht mehr ganz so gut erinnern kann, wie man denn eine Gleichung ableitet: ich bereue keinesfalls, statt dem Weg über den Numerus Clausus einen “alternativen” Weg zum Medizinstudium eingeschlagen zu haben. Ganz im Gegenteil: schon in der Vorklinik hat man durch die Berufserfahrung einen ganz anderen Bezug zur Thematik und kann Erfahrungen aus der Praxis gut einbringen. Auch der Umgang mit den Professoren und das Aufrechterhalten einer gesunden Work-Life-Balance fällt mir sehr viel leichter als vielen meiner Mitstudierenden. Und: Am Krankenbett zählen nicht nur gute Noten, sondern vor allem Empathie, soziale Kompetenz und Kommunikationsfähigkeit. Und die lässt sich nur schwer aus einer Abiturnote ablesen.
Quelle: Hochschulstart.de, Gesamtübersicht Angebot und Nachfrage