Etlichen Abiturienten, die Medizin studieren wollen, macht der Numerus Clausus zu schaffen, denn wer Humanmedizin studieren möchte, muss erst das zentrale Studienplatzvergabesystem durchlaufen. Auf rund 9000 Studienplätze kommen regelmäßig über 40000 Bewerbungen.
Nur mit Glanznoten schafft man es direkt an die Uni, andere Bewerber müssen bis zu 15 Semester darauf warten. Kann das legal sein? Am 4. Oktober wird das höchste deutsche Gericht darüber entscheiden, ob das System der Studienplatzvergabe mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Seit wann und warum gibt es den Numerus clausus überhaupt?
Die begrenzten Kapazitäten der Hochschulen sind kein neues Problem, bereits in den 1960er Jahren waren die Hörsäle überfüllt. Damals sahen sich die Universitäten gezwungen den Zugang zum Medizinstudium vorübergehend zu begrenzen. Der Numerus clausus war Teil eines im Jahr 1968 durch die Westdeutsche Rektorenkonferenz (WRK) vorgestellten Maßnahmenkatalogs, der als zeitlich begrenzte Notmaßnahme für Entlastung an den Unis sorgen sollte.
Gegen die Vergabepraxis regte sich schnell Widerstand. Nach einer Welle von Gerichtsverfahren beschäftigte sich schließlich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den Siebzigerjahren mit der Thematik und machte in einem weichenstellenden Urteil aus der Notlösung Numerus clausus eine bundesweite Institution. Die Gründung der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS veraltet, heute Stiftung für Hochschulzulassung (SfH)) folgte. Das Urteil stellte allerdings auch klar, dass der Numerus clausus nur bei echten Kapazitätsengpässen zulässig sei. Zudem dürfe die zur Zulassung benötigte Wartezeit nicht länger als die Regelstudienzeit sein.
Schulnoten spielen Schlüsselrolle
Inzwischen hat sich vieles verändert. Während 1999 noch Abi-Noten im Bereich von 1,6 bis 2,2 für das Medizinstudium ausreichten, ergattert man heute einen Studienplatz nur, wenn der Abiturschnitt mindestens 1,2 beträgt. Ende der Neunzigerjahre warteten Interessenten ohne Bestnoten vier Semester auf den Studienstart, heute müssen angehende Medizinstudenten 15 Wartesemester ansammeln. Einen anderen Weg Pluspunkte zu gewinnen gibt es kaum.
Der Vergabeschlüssel der SfH funktioniert so: 20 Prozent der Studienplätze werden über die Abiturnote verteilt, weitere 20 Prozent über die Anzahl an Wartesemestern, die übrigen 60 Prozent darf jede Hochschule theoretisch nach eigenen Kriterien vergeben. Doch eine Studie vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) zeigt, dass die große Mehrzahl der Universitäten (80 Prozent) auch nur auf die Abiturnote schaut. Der Schulabschlussnote kommt somit eine zentrale Bedeutung zu.
Prozess um den Numerus clausus: Verfassungsmäßigkeit auf dem Prüfstand
Bereits vor Jahren befand das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, dass der Numerus clausus mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei (Az. 1 BvL 3/14 und 4/14). Konkret geht es um das Grundrecht auf freie Wahl von Beruf und Ausbildungsstätte. Die Gelsenkirchener Richter bemängelten, dass die Abiturnote beim Vergabeverfahren fürs Medizinstudium eine zu große Rolle spiele. Zudem seien Abiturnoten bundesweit nicht vergleichbar, Landesquoten wären eine bessere Option. Auch die ursprünglich vom Bundesverfassungsgericht definierte Richtlinie ist nicht mehr gegeben, da die Wartezeit mit 15 Semestern die Regelstudienzeit von 12 Semestern übersteigt.
Hinter der Klage stecken zwei Studienplatzbewerber, die aufgrund ihrer Schulnoten keinen Platz erhalten hatten. Der Kläger ist ausgebildeter Rettungssanitäter, die Klägerin ausgebildete Krankenpflegerin. Die medizinische Ausbildung der beiden hat keine Auswirkung auf ihre Studienplatzzulassung – allein Abi-Note und Wartezeit zählen. Beide stecken seit Jahren in der Warteschleife, das Verfahren liegt inzwischen seit gut drei Jahren beim BVerfG.
Zukunftsperspektiven für den Numerus clausus
Die Karlsruher Richter entscheiden Anfang Oktober, ob die Rechtsprechung zum Numerus clausus fortentwickelt werden muss. Das Urteil wird mit Spannung erwartet. In der Vergangenheit hatte das Bundesverfassungsgericht sein ursprüngliches Urteil über 20 Mal bestätigt. Dieses Mal deuten Beobachter jedoch mündliche Verhandlungen mit Vertretern von Bundesregierung, Gewerkschaften und Landesregierungen als positives Indiz für eine mögliche Änderung des Vergabesystems. Doch auch wenn das höchste deutsche Gericht den Numerus clausus für verfassungswidrig erklären sollte, sind schnelle Veränderungen unwahrscheinlich. In einem solchen Fall würden Bundes- und Landesregierungen beauftragt, eine neue Gesetzgebung als Grundlage für das Vergabesystem der SfH auf den Weg zu bringen. Bis angehende Mediziner davon profitieren, kann es also dauern.
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