
22% der Ärzte erlebten laut einer britischen Studie im Jahr 2016 Mobbing, Belästigung oder Missbrauch am Arbeitsplatz. Paradox ist dies deswegen, da gerade Mediziner/innen die Konsequenzen doch kennen müssten. Aber die Arbeitsbedingungen in Kliniken sind unter anderem ein Grund, weswegen dieses Phänomen so häufig auftritt. Was Mobbing genau ist, weshalb und wie es in Kliniken verstärkt auftritt und was man dagegen unternehmen kann, betrachten wir hier.
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Was ist Mobbing und Folgen
Das vom Englischen abgeleitete Wort “to mob” bedeutet anpöbeln und schikanieren. Vom Bundesarbeitsgericht wird Mobbing demnach als ein “systematisches Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte ” definiert. Hierbei ist die Länge und Häufigkeit kennzeichnend. Findet es mindestens sechs Monate statt und dabei mindestens einmal pro Woche, spricht man also von Mobbing.
Besonders schwierig ist es dann, wenn die Aktivitäten scheinbar harmlos sind und vordergründig wahrgenommen werden. Erst durch die Regelmäßigkeit und systematische Durchführung werden sie tatsächlich zur Schikane.
Als Folge neben Kränkung und reduzierter Leistungsfähigkeit haben die Mobbingopfer zudem mit körperlichen und seelischen Beschwerden zu kämpfen. Dazu gehören beispielsweise Schlafstörungen, Kopfschmerzen, Angstreaktionen, oder Depressionen.
Welche Formen der Schikanen gibt es?
Mobbing in Kliniken gibt es in vielfältigen Ausprägungen. Einerseits von den Chef- und Oberärzten nach unten ausgehend, welches “Abwärts-Mobbing” genannt wird. Andererseits kann es auch unter den Kollegen auftreten, welches “Horizontales Mobbing” genannt wird. “Aufwärts-Mobbing” geht demgemäß von den Assistenzärzten nach oben aus. Ebenso breitet sich das “Rudelmobbing” aus, wobei der Chef und andere Ärzte als Gruppe eine Person mobben.
Die Liste der Schikanierformen ist lang. Verbreitet sei beispielsweise das Stehlen geistigen Eigentums, indem Forschungsergebnisse entwendet oder unter falschem Namen publiziert werden. Häufig werden Kollegen während einer Visite an den Pranger gestellt. Durch hochkomplexe Fragen werden sie in Verlegenheit gebracht, sofern sie diese nicht beantworten können.
Gesundheitswesen bei Mobbing auf Platz 1
Groß angelegte Untersuchungen zu Mobbing in Kliniken gibt es in Deutschland leider noch nicht. Deswegen ist es schwierig, genaue Aussagen zu treffen. Nichtsdestotrotz berichtet die Gründerin der Mobbing-Zentrale Deutschlands, Margit Ricarda Rolf, dass das Gesundheitswesen hinsichtlich Mobbing an erster Stelle stehe. Das liege primär an den strengen Hierarchien.
Damit einher gehen fehlende Gewaltenteilung und geringe Kontrollinstanzen. Auch die berufsbedingte Abschottung ist ein gefährlicher Faktor. Aufgrund dessen leiden gerade Ärztinnen und Ärzte unter einem schlechten Arbeitsklima.
Darüber hinaus gibt es Konkurrenzkämpfe. Sobald ein Arzt oder eine Ärztin das Krankenhaus verlässt, wird er oder sie direkt ersetzt.
Betroffene in Kliniken überwiegend junge Ärzte und alte Oberärzte
Vorrangig trifft es allerdings Assistenzärzte sowie junge Fachärzte, die unter den Schikanen leiden. Durch das Muss bestimmter Operationen für die Anmeldung zur Facharztprüfung werden junge Ärzte in Weiterbildung mit “operativem Kaltstellen” erpressbar. Ferner werden diese Gruppe Ärzte mit Aufgaben überhäuft, sodass für ihre eigentlich wichtigen Tätigkeiten die Zeit fehlt.
Während junge Ärzte hingegen die Chance haben, eine andere Tätigkeit auszuführen, haben das die Oberärzte nicht. Vor allem ältere Oberärzte sind zu nah am Ruhestand für eine Niederlassung oder eine neue Stelle.
Die Folge: Die Verwaltung möchte sie möglichst billig loswerden. Für eine fristlose Kündigung muss jedoch ein Fehlverhalten nachgewiesen werden. Häufig mündet dieses Dilemma in Lügen seitens der Verwaltung. Ein Oberarzt hat daraufhin zum Beispiel mit falschen Vorwürfen von Unfähigkeit bis hin zu Alkoholismus zu kämpfen.
Wie kann man Mobbing entgegenwirken?
Laut der britischen Studie berichten nur 33% der Betroffenen ihren Vorgesetzten von den Schikanen. Der Grund liege in der Angst vor Sanktionen. Dabei ist miteinander reden die beste Prävention. Das Opfer sollte die schädlichen Aktivitäten schnellstmöglich zur Sprache bringen. Allerdings muss es hierfür erst einmal ein Umfeld geben, welches offene Äußerungen ermöglicht.
Eine Lösung könnte auch die Einbindung von sogenannten “Mental-Health-Mitarbeitern” sein. Diese Mitarbeitenden dienen als unparteiliche Ansprechpartner zur Konfliktlösung nach dem Vorbild amerikanischer Armeen.
Generell ist es jedoch fundamental, dass sich alle Angestellten solidarisch verhalten. Das Publikmachen der Schikanen am Arbeitsplatz und in den Medien sei dafür ausschlaggebend. Indem man ein Klima für “political correctness” schaffe, werde das Mobbingverhalten sozial nicht mehr akzeptiert.
Ein ärztlicher Direktor eines akademischen Lehrkrankenhauses fordert des Weiteren die Entwicklung von Sozialkompetenz im Studium. Es sei essenziell, dass bereits im Studium Tutorials zwischenmenschliche Beziehungen thematisieren.
Überdies argumentiert der Direktor, dass Kliniken diese soziale Kompetenz gleichermaßen wie fachliche Kenntnisse fordern sollten. Außerdem solle dies als Messlatte für die Besetzung von Vorgesetztenstellen gelten. Erst dann sei die Chance gegeben, dass sich eine Änderung vollziehe.
Führungskräfte müssen demnach durch die strengeren Auswahlkriterien mehr Soft Skills aufweisen. Denn Mobbing ist seiner Auffassung nach Führungsschwäche des Chefs, dem es an sozialen Kompetenzen fehlt.