Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes werden derzeit 1,5 Millionen Menschen in Deutschland im Berufsleben gemobbt. Es mag durch den hohen Stresspegel bedingt sein, dass auch viele Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte betroffen sind. Bei der Mobbingberatungsstelle der Ärztekammer Nordrhein gehen pro Jahr etwa 25 Anfragen von Ratsuchenden ein. Diese leiden bis zu ihrem Anruf schon sehr lange unter Mobbing im Klinikalltag. Wie Mobbing genau definiert wird, welche Formen des Mobbings es gibt und in welchem Rahmen Arbeitgeber agieren können, um Mobbing zu verhindern, zeigt dieser Artikel.
Was ist Mobbing?
Wie auch bei anderen Problempunkten im Klinikalltag gilt vor allem beim Mobbing: Je früher Betroffene reagieren, desto schneller und leichter kann etwas dagegen unternommen werden. Die folgenden Alarmsignale sollten daher als erste Anzeichen wahrgenommen werden:
- Es bilden sich Fronten auf der Station zwischen einzelnen Arbeitnehmern oder ganzen Arbeitnehmergruppen.
- Der Betroffene selbst wird als Gesprächspartner gemieden, z.B. beim Kaffeeklatsch oder in den Pausen.
- Gerüchte über den Mitarbeiter machen die Runde, entweder über sein Privatleben oder vermeintliche Fehlverhaltensweisen auf der Station.
- Der Betroffene wird bei Fachdiskussionen persönlich angegriffen, z.B. wird ihm gesagt, er habe von einem Fachgebiet keine Ahnung.
- Informationen laufen an ihm vorbei, z.B. wird er bei der Übergabe auf der Station ignoriert.
- Unangenehme Aufgaben, die niemand gern macht, werden oft dem Mobbingopfer „zugeschustert“.
Die oben genannten Punkte sind ein Indikator, aber noch keine definitiven Anzeichen für Mobbing. Diplompsychologe und Mobbingforscher Heinz Leymann sieht Mobbing „dann gegeben, wenn ein Betroffener mindestens einmal in der Woche mindestens ein halbes Jahr lang von einer oder mehreren Personen attackiert wird.“ Mobbing im Klinikalltag kann sich vielfältig ausdrücken, Leymann benennt aber als „Faustformel“ die folgenden fünf Formen des Mobbings:
- Angriffe auf Möglichkeiten, sich mitzuteilen, z.B. in Form von Unterbrechen, Anschreien, Schimpfen, Drohungen oder verbalen Abwertungen.
- Angriffe auf die sozialen Beziehungen, z.B. Verweigerung von Kommunikation oder Ignorieren des Betroffenen, wenn dieser das Problem ansprechen will.
- Angriffe auf das soziale Ansehen, z.B. das Verbreiten von Gerüchten, das Lächerlich-Machen des Betroffenen, die Infragestellung seiner Entscheidungen, sexuelle Belästigung o.ä.
- Angriffe auf die Qualität der Berufs- und Lebenssituation, z.B. bewusste Zuweisung stark über- oder unterfordernder Aufgaben, sinnloser Aufgaben oder überhaupt keiner Aufgaben
- Angriffe auf die Gesundheit, z.B. durch Androhung körperlicher Gewalt, Misshandlung, aber auch Zerstörungen am Arbeitsplatz des Betroffenen
Häufige Mobbing-Konstellationen im Klinikumfeld
Mobbing ist an jedem Arbeitsplatz ein Problem, besonders schlimm ist es aber im Klinikumfeld. Stefanie Esper, Ansprechpartnerin für das Thema Mobbing bei der Ärztekammer Nordrhein, erlebt oft Ratsuchende, die in Tränen ausbrechen, freiwillig ihre Stelle ohne Folgeanstellung kündigen, dauerhaft krankgeschrieben sind oder sogar nie wieder ins Arbeitsleben zurückkehren können. Im hierarchischen Gefüge der Kliniken kann man nach ihrer Erfahrung verschiedene häufige Mobbing-Konstellationen beobachten: „Die Ratsuchenden sind oft Oberärzte, die von dem leitenden Oberarzt oder Chefarzt gemobbt werden, oder Oberärzte mobben die Assistenzärzte oder Fachärzte. Es gibt aber auch Mobbing im Team auf horizontaler Ebene, z.B. bei Assistenz- oder Oberärzten.“
Gründe für Mobbing
Gründe für Mobbing sind vielschichtig. Stefanie Esper zufolge haben sie aber meist einen Hauptauslöser: Der Klinikalltag ist stressig und die Personaldecke dünn. Auch Neid spielt oft eine Rolle. Zum Beispiel, wenn ein Assistenzarzt bei der Vergabe von OP-Einsätzen bevorzugt wird oder eine Krankenschwester immer die „einfachen Schichten“ bekommt. Angst vor Konkurrenz ist vor allem in der Ärzteschaft ein Faktor. Vorgeschoben werden aber meist simple Gründe. Diese könnten sein, dass der Gemobbte die Kollegen übervorteilt, weniger Arbeitseinsatz zeigt, sich nicht voll einbringt usw. Doch selbst wenn Ungleichbehandlungen – egal ob eingebildet oder real – vorkommen, sollte Mobbing nicht die Lösung sein. Esper rät daher, das Gespräch zu suchen: „Manchmal beruht die ganze Situation auf einem Missverständnis und die beiden Parteien haben einfach nur einen ganz unterschiedlichen Kommunikationsstil.“
Die „Top 5 Ursachen von Mobbing“ im Klinikumfeld sind die folgenden:
- Mangelnde Kommunikation: Gerüchte entstehen, wenn Ärzte und Pfleger den Informationsaustausch nicht aktiv suchen. Irrtümer schaukeln sich auf und die Folge sind Vorwürfe oder Schuldzuweisungen gegenüber der betroffenen Person.
- Fehlende Strukturen: Ohne Struktur herrscht Chaos, Mitarbeiter sind überfordert, reizbar und unzufrieden. Die Arbeitsaufteilung sollte daher klar vorgegeben und nicht die Mitarbeiter darauf angewiesen sein, sich untereinander zu einigen. Chefärzte sollten daher frühzeitig Regeln aufstellen und Zuständigkeiten vergeben.
- Missbrauch von Hierarchien und Machtverhältnissen: Chefärzte nutzen oft ihren Status, um ungeliebte Assistenzärzte grundlos zu demütigen und beliebte Mitarbeiter unfair zu bevorteilen.
- Konkurrenzkampf: Manche Ärzte gehen im konkurrenzgeprägten Klinikalltag mit durchdachter Strategie vor, um Kollegen auszuschalten. So soll die eigene Karriere vorangetrieben werden.
- Persönliche Abneigungen: Auch die menschliche Komponente spielt eine große Rolle, und manchmal passen einfach gewisse Persönlichkeiten nicht zueinander.
Physische und psychische Folgen von Mobbing
Mobbing-Opfer stehen durch die Anfeindungen ihrer Kollegen oder Vorgesetzten unter hohem Druck, was zu auffälligen Verhaltensweisen oder Persönlichkeitsveränderungen führen kann. Wiederholte oder langfristige Krankschreibungen sind ein Hinweis, ebenso das Zurückziehen der betroffenen Person von den anderen Mitarbeitern. Mobbing-Opfer verändern sich auch oft psychisch, haben keinen Spaß mehr an der Arbeit, machen oft Fehler oder sind unaufmerksam. Die Folge sind seelische und körperliche Erkrankungen. Diese können Depressionen, Burn-Outs, Verlust des Selbstwertgefühls, Migräne, Rückenschmerzen, stressbedingtes Reizdarmsyndrom und viele weitere Erkrankungen sein.
Was kann der Arbeitnehmer selbst gegen Mobbing tun?
Wer unter Mobbing am Arbeitsplatz leidet, sollte in der Anfangsphase zunächst selbständig versuchen, gegen das unfaire Arbeitsklima vorzugehen. Die folgenden Maßnahmen können als „Erste Hilfe“ aber nur dann funktionieren, wenn das Mobbing noch in den Anfangszügen ist:
- Außenstehende Kollegen um Hilfe bitten: Unbeteiligte, die das Mobbing miterleben, sollte man bitten, gemeinsam mit Opfer und Mobber ein klärendes Gespräch zu führen. Oftmals lösen sich Probleme, wenn z.B. eine weitere Pflegekraft oder ein weiterer Arzt dem Mobber erklären, dass sein Verhalten nicht angemessen ist und nicht zur Problemlösung beiträgt.
- Das Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen: Wenn auf der eigenen Ebene kein Verbündeter zu finden ist, sollte die Stations- oder Klinikleitung angesprochen werden. Diese sind gesetzlich dazu verpflichtet, Probleme zu klären und wenn nötig dem Mobber Konsequenzen anzudrohen.
- Kontakt zum Betriebsrat oder Personalrat aufnehmen: Alternativ zu Stations- oder Klinikleitung kann man auch den Betriebs- oder Personalrat um Hilfe bitten. Diese sind dazu verpflichtet, im Interesse der Mitarbeiter zu handeln und lösungsorientiert zur Seite zu stehen.
- Regionale Mobbingtelefone oder psychologische Beratung in Anspruch nehmen: Wenn die Probleme zu groß werden, bieten regionale Mobbingtelefon-Hotlines (Nummern im Internet) und psychologische Beratungsstellen effektive Hilfe an. Wenn auch das nicht mehr weiterhilft, sollte man den Gang zum Hausarzt nicht scheuen. Dieser kann einen zu einem geeigneten Therapeuten überweisen.
- Hilfe durch Reha-Maßnahmen oder Selbsthilfegruppen: Als Direktentlastung ist ein zeitweiser Berufsausstieg oftmals hilfreich. Viele Krankenkassen bieten Reha-Maßnahmen oder Selbsthilfegruppen an. Bei diesen kann man im direkten Austausch mit anderen Mobbing-Opfern die wichtige Erfahrung machen, dass man nicht allein ist.
Welche Möglichkeiten und Pflichten hat der Arbeitgeber?
Wenn die Klinikleitung oder der Chefarzt den Verdacht hat, dass ein Mitarbeiter unter Mobbing am Arbeitsplatz leidet, sollte sie schnellstmöglich das Gespräch mit dem Betroffenen suchen. Es gibt heutzutage Präventionsprogramme oder Maßnahmen zum Teambuilding, die klinikinterne Konflikte lösen und das Mobbing am Arbeitsplatz zu unterbinden helfen. Um die Teamdynamik langfristig zu stärken, sollte man direkt an den mobbingfördernden Strukturen (z.B. einem konkurrenzorientierten Klima oder starren Hierarchien) ansetzen und diese ausräumen. Die Etablierung klinikinterner Strukturen z.B. in Form einer Anlaufstelle mit geschulten Mitarbeitern für Mobbingvorfälle oder das Einsetzen von ausgebildeten Konfliktlotsen sind ebenfalls moderne Lösungswege. Viele Beraterfirmen bieten entsprechende Schulungen an. Sie helfen bei der Etablierung solcher Programme. Dies geschieht z.B. durch ein Angebot von Weiterbildungen für alle Mitarbeiter, (Cyber-)Mobbing-Schulungen von Führungskräften, Unterstützung bei der Wahl einer geeigneten Organisationstruktur, eines durchdachten Konzeptes für die Integration neuer Mitarbeiter sowie die Schaffung einer guten Diskussions- und Streitkultur.
Die Klinikleitung muss sogar zwingend nach einem Urteil des Landesarbeitsgericht Thüringen (vom 10.4.2001, AZ 5Sa 403/00) eingreifen. „Der Arbeitgeber ist verpflichtet, das allgemeine Persönlichkeitsrecht der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer nicht selbst durch Angriffe in deren Persönlichkeits- oder Freiheitssphäre zu verletzen, diese von Belästigungen durch Mitarbeiter oder Dritte, auf die er einen Einfluss hat, zu schützen, einen menschengerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen und die Arbeitnehmerpersönlichkeit zu fördern.“ Gesetzlich verpflichtet ist die Klinikleitung also zu folgenden Schritten:
- Gespräch suchen (mit Mobbing-Opfer und Mobber),
- Ursachen klären (im gemeinsamen Gespräch),
- Konsequenzen aufzeigen (erst Ermahnung, dann Abmahnung und letzten Endes sogar die Kündigung des Mobbers),
- Entlastung bringen (durch Problemlösung, Schichtwechsel oder Versetzung)
- und Unterstützung suchen (bei Beraterfirmen).
Fazit
Mobbing ist ein ernstes Thema, vor dem Arbeitgeber die Augen nicht verschließen dürfen. Neben präventiven Möglichkeiten, wie beispielsweise Teambuilding-Maßnahmen, Gesprächsangeboten, um mögliche entstandene Konflikte schnell zu klären, sollte die Klinikleitung auch vor arbeitsrechtlichen Schritten nicht zurückschrecken. Idealerweise legt man den Fokus auf die Erarbeitung klinikinterner Strukturen, welche die Gefahr der Entstehung von Mobbing bereits erschweren.