Lange Arbeitszeiten, straffe Dienstpläne: Gerade im Klinikwesen scheint eine vernünftige Work-Life-Balance besonders schwer umsetzbar zu sein. Was Arbeitgeber effektiv tun können, um Burnout und Unzufriedenheit bei Pflegekräften und Medizinern zu vermeiden, ist das Thema dieses Artikels.
Was ist Work-Life-Balance?
Die Definition des Dudens beschreibt die Work-Life-Balance als „ausgewogenes Verhältnis zwischen beruflichen Anforderungen und privaten Bedürfnissen einer Person”. Es geht also um die Vereinbarkeit bzw. ein Gleichgewicht zwischen der Lebens- und Arbeitswelt eines Individuums. Und genau an diesem Punkt schließt schon die Frage an, wie sich ausmachen lässt, wo die Arbeitswelt genau beginnt. Denn das ist für viele Mediziner und Pflegekräfte bereits der Beginn des Dilemmas.
Mit Besprechungen, Patienten-Kontakt und administrativen Aufgaben ist im Arbeitsalltag noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Die zunehmende Digitalisierung und der Einsatz mobiler Technologien führt aufgrund der ständigen Erreichbarkeit oft zu einer Vermischung von Freizeit und Arbeitszeit — nicht nur im Klinikwesen.
Problem: Freizeit ist nicht „frei” von Verpflichtungen
Wer im ärztlichen Dienst oder in der Pflege tätig ist, kann nach der Arbeit ohnehin oft schlecht abschalten. Schwer kranke Patienten und Pflegefälle sind schließlich auf eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung angewiesen. Oft sind starre Schichtpläne nötig, die eine geordnete Freizeitgestaltung zusätzlich erschweren.
Dazu kommt, dass auch die Freizeit nicht wirklich „frei” von Verpflichtungen ist. Denn neben Schlaf, gesunden Mahlzeiten, Sport und Qualitäts-Zeit mit der Familie stehen auch wiederkehrende Aufgaben wie Nahrungsmitteleinkauf, Wäsche waschen und Putzen auf dem Plan. Zeit für die eigene Wellness bleibt dabei häufig auf der Strecke.
Work-Life-Balance: Die Probleme im Klinikbereich
Die Vereinbarkeit von Arbeits- und Familienleben hat gerade bei Berufen im Klinikwesen einen schlechten Ruf. Grund dafür sind ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren:
- Demografischer Wandel und geringe Verdienstmöglichkeiten (gerade im Pflegebereich) führen zu einem Mangel an geschultem Personal im Pflege- und Medizinwesen
- Gleichzeitig steigt der Bedarf an Fachkräften im Gesundheitswesen kontinuierlich, da die Gesellschaft in zunehmendem Maß überaltert
- Die Arbeitslast muss auf das (wenige) vorhandene Personal aufgeteilt werden — eine vernünftige Work-Life-Balance wird erschwert
Die Lösung könnte darin liegen, die jüngere Generation, sowie Quer- und Wiedereinsteiger, vermehrt für eine Karriere im Gesundheitswesen zu gewinnen. Das Problem: Gerade diese Branche ist nicht für flexible Arbeitszeiten bekannt, die jedoch für die Berufswahl eine große Rolle spielen.
Verbesserte Work-Life-Balance durch flexiblere Arbeitszeiten
Während flexiblere Arbeitszeiten eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben versprechen, hinkt gerade der Klinikbereich diesbezüglich etwas hinterher. Dass dies sich ändern kann, zeigen verschiedene Arbeitszeitmodelle, die sich in höherem Maße an den Bedürfnissen von Medizinern und Pflegepersonal orientieren:
- Gleitzeit mit fester Kernarbeitszeit
- 7/7-Arbeitszeitmodell
- Springerpool
- Jobsharing
Die einzelnen Modelle, sowie deren jeweilige Vor- und Nachteile stellen wir im Anschluss genauer vor.
Vier flexible Arbeitszeitmodelle für mehr Work-Life-Balance im Klinikbereich
Ob ein Arbeitsplatz für zwei Beschäftigte wie im Job-Sharing oder ein Springerpool als Entlastung für das medizinische Klinikpersonal — wir beschreiben vier beliebte Arbeitszeitmodelle für den Klinikbereich und erklären ihren Nutzen.
Modell 1: Gleitzeit mit fester Kernarbeitszeit
Wer früher kommt, darf auch früher gehen. Das ist das Prinzip der Gleitzeitregelung. Im Klinikwesen wird dieses Modell meist mit einer festen Kernarbeitszeit kombiniert. Während dieser besteht allgemeine Anwesenheitspflicht. Beginn und Ende der Kernarbeitszeit stellen dagegen variable, selbstbestimmte Gleitzeitphasen dar. Die Dauer der täglichen Arbeit entspricht dabei der vertraglich festgelegten Arbeitszeit.
Vorteile dieses Modells:
- unkomplizierte Umsetzung mit wenig organisatorischem Aufwand
- höhere Flexibilität kann helfen, Personalfehlzeiten (z.B. durch Arzttermine) zu verringern
- Beschäftigte können persönliche und berufliche Aufgaben besser miteinander vereinbaren (Kinder morgens zur Schule bringen, Behördengänge)
- Reduktion von Zeitstress zu Beginn des Arbeitstages (etwa bei Pendlern und/oder Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel)
- größerer Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitszeit und Berücksichtigung von individuellem Tagesrhythmus ist möglich
Nachteile dieses Modells:
- das Arbeiten in Gleitzeit eignet sich nicht für alle Berufe im Klinikwesen, in nicht berücksichtigten Abteilungen kann es zu Unzufriedenheit kommen
- auf die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit müssen Beschäftigte eigenständig achten
Modell 2: Das 7/7-Arbeitszeitmodell
Sieben Tage Arbeit, danach sieben Tage frei — das ist bei Feuerwehr und Polizei vielfach Berufsalltag. Ein Konzept, das sich auch für den Klinik- und Pflegebereich eignet und bereits vielerorts Erfolge verbuchen konnte. Das 7/7-Arbeitszeitmodell sieht zwei Schichten vor: Tages- und Nachtdienst. Auf eine siebentägige Arbeitswoche mit täglich 10 Stunden (plus zwei Stunden Pause) folgen sieben freie Tage. Berechnungsgrundlage in diesem Modell ist eine 35-Stunden-Woche in Vollzeit-Beschäftigung.
Vorteile dieses Modells:
- der Wechsel vom Drei-Schicht-Modell zum Zwei-Schicht Modell verringert die mit jedem Schichtwechsel einhergehende Gefahr eines Informationsverlustes
- feste Dienstpläne ermöglichen dem Klinikpersonal eine verbesserte Zeit- und Urlaubsplanung
- Beschäftigte können Termine und Familienunternehmungen in die freie Woche legen
- höherer Erholungsfaktor durch sieben aufeinanderfolgende freie Tage
- individuelle Planbarkeit und damit Übertragung des Modells in Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisse möglich
Nachteile dieses Modells:
- die Dienstanwesenheit von insgesamt 12 Stunden (plus Arbeitsweg) kann je nach familiärer Situation eine Herausforderung darstellen
- in der freien Woche fehlen womöglich die Kraft und Energie, um Termine wahrzunehmen oder aktiv zu sein
- während der Arbeitswoche ist es möglicherweise schwierig, die Betreuung von Kindern oder Angehörigen zu organisieren
Modell 3: Springerpool
Das Universitätsklinikum Tübingen ist eine von vielen Kliniken, die die Vorteile eines Springerpools für die Entlastung ihres Klinikpersonals erkannt haben. Das Prinzip funktioniert so: Fällt ein Mitarbeiter aus oder ist abwesend, kompensiert die Klinik diesen Personalengpass durch den Einsatz von sogenannten Springern. Die Beschäftigten im Springerpool erfahren erst kurzfristig, an welchem Einsatzort sie benötigt werden. Bezüglich der Arbeitszeit herrscht durch den im Voraus aufgestellten Dienstplan jedoch relative Planungssicherheit.
Vorteile dieses Modells:
- Springer sichern die freien Tage des Klinikpersonals bei kurzfristigen Personalausfällen, was sich positiv auf die Zufriedenheit der Beschäftigten auswirken kann
- der Einsatz im Springerpool ermöglicht eine größere Einflussnahme auf die Gestaltung der eigenen Arbeitszeiten und eignet sich deshalb insbesondere für Beschäftigte, die ihre familiären Verpflichtungen mit ihrem Beruf in Einklang bringen wollen
- bei Personalausfällen wird durch Springer der Organisationsaufwand der einzelnen Fachgebiete minimiert
- geringerer Bedarf an der Einstellung externer Zeitarbeitskräfte
Nachteile dieses Modells:
- da Springer häufig zwischen Fachbereichen und Stationen wechseln, wird das Entstehen eines Integrations- und Zugehörigkeitsgefühls erschwert
- aus demselben Grund ist die Spezialisierung in eine bestimmte Fachrichtung bzw. die Wissensvertiefung in einem spezifischen Bereich seltener möglich
Modell 4: Jobsharing
Ein Job für zwei?! Dieses innovative Arbeitsmodell hält Einzug in immer mehr Kliniken in Deutschland — und zwar bis in die Chefetage. Das beweist die Evangelische Elisabeth Klinik in Berlin, wo sich zwei Ärztinnen die Chefarztstelle für Innere Medizin teilen. Das Aufteilen einer Vollzeitstelle auf zwei Tandem-Partner sorgt nicht nur für eine verbesserte Work-Life-Balance, sondern birgt auch das Potenzial doppelter Produktivität und Kompetenz.
Vorteile dieses Modells:
- durch Teilzeitmodelle kann Fluktuation entgegengewirkt werden
- individuelle Absprachen der Tandem-Partner sorgen dafür, dass stets ein Ansprechpartner für die Klinik verfügbar ist
- die Klinik profitiert von den individuellen Stärken und Qualifikationen beider Job-Partner
- Mitarbeiter, die ihre Arbeitszeit aus persönlichen oder gesundheitlichen Gründen reduzieren wollen, können weiterhin durch Jobsharing in den Klinikalltag integriert werden
- Jobsharing gilt als innovativ und familienfreundlich — ideal für Kliniken, die sich als attraktive Arbeitgeber positionieren möchten
Nachteile dieses Modells:
- um Informationsdefizite zu vermeiden, ist eine intensive und lückenlose Kommunikation beider Tandem-Partner notwendig, die im Alltag als anstrengend empfunden werden kann
- gleichzeitig müssen beide Partner die eigenverantwortlich getroffenen Entscheidungen des jeweils anderen tolerieren bzw. Verantwortlichkeiten klar aufteilen
Fazit: Vorteile für Unternehmen, Beschäftigte und Patienten
Eine verbesserte Work-Life-Balance für Beschäftige im Klinikwesen sorgt für eine höhere Mitarbeiterbindung und -motivation, sowie zufriedenes medizinisches Personal. Verschiedene flexible Arbeitszeitmodelle ermöglichen eine stärkere Berücksichtigung der individuellen Bedürfnisse von Medizinern und Pflegekräften. So kann die Produktivität gesteigert und die Patientenversorgung langfristig verbessert werden: Eine Win-Win-Win-Situation für alle Beteiligten.
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