Mehr als die Hälfte aller Ärztinnen wurde im Beruf schon einmal aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt. Das ist ein Ergebnis aus dem Medscape-Report 2021 mit dem Titel „Gleichberechtigung im Job – Unterschiede zwischen Ärzten und Ärztinnen“. Weibliche Führungskräfte kämpfen zum Beispiel häufiger mit Selbstzweifeln, zudem übernehmen Frauen immer noch einen großen Anteil der Kinderbetreuung.
60 Prozent der Teilnehmerinnen fühlten sich aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt
Bereits die offiziellen Statistiken lassen darauf deuten, dass es bis zur vollkommenen Chancengleichheit von Ärztinnen und Ärzten noch ein weiter Weg ist. Zwar sind heute zwei Drittel aller Medizinstudierenden weiblich, der Frauenanteil unter den approbierten Medizinern liegt jedoch nur bei 48 Prozent. Im Jahr 2019 waren zudem nur 13 Prozent der Führungspositionen in der Universitätsmedizin mit Frauen besetzt. Medscape wollte wissen, wie Medizinerinnen und Mediziner selbst die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz beurteilen und hat insgesamt 1.040 Nutzerinnen und Nutzer des Online-Portals befragt, darunter 500 Frauen und 534 Männer. Die Ergebnisse wurden Ende November 2021 veröffentlicht.
Wie der Report zeigt, haben sich 60 Prozent der teilnehmenden Ärztinnen schon einmal aufgrund ihres Geschlechts im Beruf benachteiligt gefühlt. Unter den Männern bejahten nur 14 Prozent diese Frage.
Danach befragt, welche Sorgen sie im Job umtreiben, zeigt sich ebenfalls ein deutlicher Unterschied zwischen Frauen und Männern. So stören sich zum Beispiel 16 Prozent der Männer an ihrem Einkommen, während dies nur bei zehn Prozent der Frauen der Fall ist. Dagegen machen sich acht Prozent der Frauen Gedanken um die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz. Unter den befragten Männern ist es nur ein Prozent. Ebenfalls acht Prozent der Frauen sorgen sich um ihre Karriereaussichten, während dies nur drei Prozent der Männer angeben. Frauen machen sich zudem häufiger Sorgen um die Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung (15 Prozent) als Männer (acht Prozent).
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf die Gleichberechtigung im Beruf aus?
Medscape wollte von den Ärztinnen und Ärzten auch wissen, wie sich die Corona-Pandemie auf die Gleichstellung im Beruf ausgewirkt hat. 40 Prozent der Frauen und zehn Prozent der Männer glauben, dass die Pandemie Verschlechterungen für Frauen mit sich gebracht hat. Verschlechterungen speziell für Männer sehen sieben Prozent der Ärzte und null Prozent der Ärztinnen gegeben. 84 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen konnten keine Veränderung zum Zeitpunkt vor der Pandemie feststellen.
Kinderbetreuung: Meist kümmern sich die Frauen
Die Umfrageergebnisse lassen den Schluss zu, dass die Kinderbetreuung immer noch vorrangig Frauensache ist. So kümmern sich im Krankheitsfall 32 Prozent der befragten Frauen selbst ums Kind, aber nur drei Prozent der Männer. Während 72 Prozent der Ärztinnen bei Geburt eines Kindes in Elternzeit gegangen sind oder planen, Elternzeit zu nehmen, sind es unter den Männern nur 20 Prozent.
Der Report zeigt jedoch auch, dass bei jüngeren Männern ein Umdenken einsetzt. In der Altersgruppe der unter 45-Jährigen sehen 44 Prozent der Männer die fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Familie kritisch. Unter den Frauen sind es 24 Prozent. Unter ihren jüngeren Kollegen wünschen sich sogar 46 Prozent der Ärzte eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, während dies nur 25 Prozent der Ärztinnen angeben.
Eingefahrene Denkweisen und Vorurteile zeigen sich derweil auch bei der Beurteilung der Ärztinnen und Ärzte durch Dritte. 81 Prozent der befragten Frauen geben an, manchmal oder sogar häufig mit Pflegekräften verwechselt zu werden. Unter den männlichen Ärzten sagen dies nur 26 Prozent.
Selbstzweifel bei weiblichen Führungskräften
Von den Teilnehmenden geben 42 Prozent der Frauen und 61 Prozent der Männer an, in einer Führungsposition zu arbeiten. 18 Prozent der Frauen und 15 Prozent der Männer sind in einer leitenden Funktion tätig. Die Umfrageergebnisse lassen jedoch den Schluss zu, dass Frauen häufiger unter Selbstzweifeln leiden als ihre männlichen Kollegen. So geben 29 Prozent der Männer an, als Teamleiter selbstsicher zu sein. Unter den Frauen sind es nur 19 Prozent. Als wenig oder überhaupt nicht selbstsicher bezeichnen sich neun Prozent der Frauen und nur drei Prozent der Männer. Drei Viertel der befragten Medizinerinnen gibt zudem an, sich manchmal oder sogar oft zu verstellen, um im Beruf ernst genommen zu werden. Unter den Männern sind es nur 48 Prozent.
Gleichberechtigung: Welche Fortschritte sehen die Befragten?
Bei aller Kritik an der bestehenden Situation sehen die Befragten auch einige Fortschritte. 19 Prozent der Ärztinnen und 36 Prozent der Männer sehen eine Verbesserung bei der Gleichstellung der Gehälter. Ebenfalls 19 Prozent der Frauen und 44 Prozent der Ärzte denken, dass sich die Chancengleichheit bei den Aufstiegschancen verbessert hat. 55 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Ärzte berichten von positiven Entwicklungen bei Teilzeitangeboten. Verbesserungen bei den Arbeitszeiten haben 41 Prozent der Frauen und 54 Prozent der Männer beobachtet.